Hormone für termingerechte Schweine

Wie alt wird ein Schwein? Eine einfache Frage, die in der Massentierhaltung anders formuliert wird. Hier heißt es: welche Nutzungsdauer ist möglich? Und wann wird es geschlechtsreif, wann ist die Sau paarungsbereit, wann setzt die Geburt ein? Wie viele Ferkel kommen zur Welt? Wie schnell ferkelt die Sau ab? Alles normal formulierte Fragen, für die die Natur normale Antworten hat. Ein Betrieb, dessen höchstes Ziel darin besteht, möglichst effektiv für den preisbewussten (oder vielleicht kritischer bezeichnet geizigen) Kunden billiges Fleisch zu produzieren, kann mit den von der Natur gegeben Antworten dieses Ziel nicht erreichen. Geburtsraten werden erhöht, Wurfgrößen maximiert, die Säugezeit verkürzt und der Ablauf all dieser verschiedenen Fruchtbarkeitsereignisse termingerecht gesteuert. Neben Antibiotikapräparaten machen es Hormone möglich, immer mehr Ferkel pro Jahr und Sau zu produzieren. Laut oben genannter Studie wurden im Jahr 2003 rund 670 Kilogramm Hormone in der Veterinärmedizin eingesetzt. Eine weitere Zahl macht nachdenklich. Für ca. 20 Millionen Euro wurden 2000 und 2001 Veterinärhormone verkauft. Inzwischen dürften es weit mehr sein. Genaue Zahlen liegen jedoch nicht vor. Die Landwirte müssen den Einsatz zwar dokumentieren, erfasst wird er an zentraler Stelle aber nicht. Die oben erwähnten Zahlen stammen aus einer Hochrechnung aus Befragungen von Tiermedizinern.

Kosten sparen auf Kosten der Sauen

Es geht darum, die Arbeitsleistung der Mitarbeiter in der Schweineproduktion so optimal wie möglich auszunutzen. Diese sollen an festen und immer gleichen Tagen die gleichen Routinearbeiten erledigen. Künstliche Besamung und Überwachung der Geburten sind arbeitsintensiv. Dies innerhalb eines Stalles gleichzeitig erledigen zu können, spart Zeit und somit Geld. Zusätzlich bringen die Sauen bis zu 19 Ferkel pro Wurf zur Welt. Die Natur hat den Tieren 14 Zitzen gegeben. Die Säugezeit beträgt noch drei bis vier, statt sechs bis sieben Wochen, wobei drei Wochen laut Tierschutzverordnung vorgeschrieben sind. Die Zeit bis zum nächsten Wurf verkürzt sich entsprechend und damit natürlich auch die Erholungsphase für die Sauen. 

Da nicht alle Jungsauen zur gleichen Zeit geschlechtsreif werden, bringen Hormongaben diese zunächst in einen gleichen Zyklusstand. Hormonell gesteuert tritt bei den Sauen die Brunst gleichzeitig ein. Ebenso wird hormonell gesteuert, dass der Eisprung bei allen termingerecht erfolgt, was eine Besamung an einem den Landwirten genehmen Tag möglich macht. Selbstverständlich legt der Mensch mit Einsatz von Medikamenten fest, dass alle Sauen zeitgleich und in kürzerer Zeit abferkeln. Auf diese Art ist eine geplante Gruppenabferkelung möglich. Die Ferkelproduzenten können den Schweinemästern somit gleichaltrige und gleichschwere, also normgerechte Ferkel liefern. Ihr Leidensweg geht dann an anderer Stelle weiter.

Dass nicht alle Tiere auf den ihnen aufgezwungenen Termindruck störungsfrei reagieren, liegt auf der Hand. Auftretenden Fruchtbarkeitsprobleme werden mit Hormonen behandelt, oft mit den gleichen, die auch den Sexualzyklus steuern sollen. Bringt das keinen Erfolg, geht die Sau zur vorzeitigen Schlachtung. 

Billiges Fleisch mit umstrittenen Folgen

Dass der hohe Einsatz von Antibiotika in der Tierproduktion für Mensch und Umwelt negative Nebenwirkungen hat, ist schon lange anerkannt. Der Einsatz von Hormonen wird dagegen weniger kritisch betrachtet. Die Meinungen und auch Argumente dafür und dagegen gehen erwartungsgemäß auseinander. Ohne Zweifel gelangen auch Hormone über Dung oder Gülle der Tiere in den Boden und somit in Oberflächengewässer (Seen und Flüsse) und in das Grundwasser. Von hier ist der Weg zum Trinkwasser nicht mehr weit. Dennoch wird die BUND-Studie zum Einsatz der Hormone auch kritisiert. Die Berliner Zeitung vom 08. Januar 2014 zitiert dazu Johannes Kauffold, Professor an der Uni Leipzig: "Alle Hormone, die in der Ferkelproduktion zum Einsatz kommen, werden im Körper der Tiere in extrem kurzer Zeit vollständig abgebaut und können daher Mensch und Umwelt nicht belasten." Zugleich geht Kauffold davon aus, dass diese nicht flächendeckend eingesetzt werden. Er vermutet, dass nur zehn bis 15 Prozent der Sauen Hormone erhalten. Die Studie besagt jedoch, dass in Ostdeutschland inzwischen 100 Prozent aller Sauen künstlich besamt werden, was eine vorhergehende Brunstkontrolle notwendig macht. Gleichzeitig sprechen Angaben des Zentralverbandes der Deutschen Schweineproduktion (ZDS) für 2011 gegen den vermuteten niedrigen Einsatz von Hormonen. Denn 81 Prozent der ausgewerteten Ferkelerzeuger produzieren in einem festen Wochenrhythmus über das Gruppenabferkeln. Unabhängig von den umstrittenen Mengen zum Einsatz gibt das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) an, dass die eingesetzten Mittel geprüft und zugelassen sind. Kauffeld räumt ein, dass ein Präparat "eventuell gesundheitlich belastend" sein könnte. Es ist das Steroid Altrenogest. Hier schicken die Befürworter des Hormoneinsatzes ein weiteres Argument ins Rennen. Rund 95 Prozent aller Hormonpräparate kommen in der Humanmedizin zum Einsatz. Auch die Anti-Baby-Pille enthält Steroide. 

Forschungsarbeit und Verbraucher sind gefordert

Laut der BUND-Studie sind in der Zukunft dringend aussagefähige Untersuchungen zu den Wirkungen von Hormonen in der Umwelt notwendig. In den USA werden in großer Menge Steroidhormone, besonders Östrogene in der Rindermast eingesetzt. Bereits sehr geringe Mengen können sich in der Umwelt auswirken. Sie sollen zum Beispiel zur Verweiblichung männlicher Fische führen. Auch besagen bisherige Untersuchen, dass die Hormonbelastung, die aus den Exkrementen der Nutztiere stammt, erheblich höher ist, als die, die durch den Menschen erzeugt wird. Welche Auswirkungen ihr Eintrag in die Umwelt konkret hat, muss laut BUND dringend weiter untersucht werden.
Weitere Informationen zum Thema finden Sie in der Kurzfassung der Studie "Zum Einsatz von Hormonen in der intensiven Sauenhaltung". Das verständlich formulierte PDF-Dokument macht nachdenklich. Schließlich stellt sich nicht nur die Frage, ob diese Art der Ferkelproduktion negative Auswirkungen auf unsere Gesundheit und Umwelt hat. Es stellt sich auch die Frage, ob wir berechtigt sind, Tiere nur noch als Produzenten zu betrachten, deren Haltung in Fließbandmanier zu optimieren und natürlich gegebene Antworten auf einfache Fragen auszuhebeln, als ließe sich alles kontrollieren, manipulieren, beherrschen und maximieren. Die Nutzungsdauer einer Sau ist nicht gleich deren Lebenserwartung. Unter natürlichen Bedingungen kann ein Schwein zehn und mehr Jahre alt werden. Als Hochleistungstier wird es selten älter als drei Jahre. Die Nutzungsdauer, also die Zeit in der eine Sau Ferkel produziert, liegt unter zwei Jahren. Dann hat sie pro Jahr bis zu 25 Ferkel geboren und gesäugt. Bei genetisch besonders fruchtbaren Hybrid-Sauenlinien werden laut Studie bis zu 34 Ferkel vorhergesagt. 

Wem dieser Gedanke nicht gefällt, lässt billiges Schweinefleisch zukünftig im Regal der Supermärkte liegen. Wenn der Kunde beim Fleischkonsum nicht nur auf den Preis achtet, sondern auch auf seinen gesunden Menschenverstand und Gewissen, kann er viel bewirken.

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