Ein Mensch mit scharfen Umrissen

Das Buch enthält insgesamt 38 Beiträge von Leuten aus der Theaterbranche, von denen die meisten Gotscheff sehr gut kennen. Durch die vielen Zeugnisse entsteht ein ausgereiftes Persönlichkeitsbild, und jene Theaterinteressierten, die Gotscheff nur von seinen Auftritten beim Premierenapplaus kennen, wissen nun um einen Menschen mit scharfen Umrissen. Der Nachteil an der Überfülle der Texte sind zahlreiche Wiederholungen, weshalb man bereits Gesagtes zum dritten Mal lesen muss. Wegen der häufigen Erwähnung der Inszenierung von Heiner Müllers "Philoktet"  1982 in Sofia bestehen durchaus Aussichten, dass eine  nachträgliche Legendenbildung gedeiht. Und der angeblich berühmte Brief des begeisterten Müller ist nur einem schmalen Insiderkreis bekannt; leider erwächst der Eindruck einer allen Theatergängern eindringlich bekannten Botschaft.

 

Ein Steinbruch, aus dem er Brocken schlägt

Dass dieses Buch Müller-lastig werden würde, war von vornherein klar. Gotscheff, der Müller in sich eingesogen, sich einverleibt hat, fühlt sich als einziger legitimer Nachlassverwalter des verstorbenen Lichtenberger Regisseurs. Aus diesem Grund werden permanent Müller-Dramen herausgehauen, zuletzt "Zement" im Münchener Residenztheater (Mai 2013). Bibiana Beglau, die auch schon bei "Ödipus, Tyrann" dabei war, gibt ein interessantes Interview, das über den psychologiefernen Gotscheff hinaus interessante Einblicke ins Theaterverständnis gewährt. Eine Studentengruppe (Lucia Bihler u.a.) sieht ihn politischer als viele Regisseure, "die sich folkloristisch Kampftheater auf die Fahne schreiben. Statt Steine werfen zu wollen, sucht sich Gotscheff einen Steinbruch, aus dem er Brocken schlägt." Selbstverständlich wird das von der Kritik überschätzte Drama "Die Perser" intensiv untersucht (Hans-Thies Lehmann/Helene Varapoulou und Mark Lammert), aber auch das Bühnenbild der völlig unterschätzten "Chinesin" wird beleuchtet, im wahrsten Sinne des Wortes.

 

Bauchmensch unter Bauchmenschen

In diesem Buch findet eine teils beiläufige, teils scharfsinnige Glorifizierung statt. Selbst des Regisseurs Schwächen, etwas seine Unschlüssigkeit, sein Gefühl des Nichtgelingens, werden als Stärken ausgelegt. Sogar sein nach langem Probenschweigen ertönender Schrei gerät zu einem Strahlenglanz des Frohlockens. Immerhin, im Buch ist auch Josef Bierbichler vertreten, und der hat den Ruf als ein Mann, dem es gelegentlich an Zartgefühl gebricht. Bierbichler jedenfalls gestattet sich ein paar Seitenhiebe, relativ ungraziöse Sticheleien, um dann doch zu einem Lob anzuheben. Denn die wahren Gegner sind die "Ermüdeten und Matten" – die Zunft der Kritiker. Zarte Kritik äußern auch Peter Jordan und Christian Grashof, wobei Letzterer, wie er hervorhebt, als  Bauchmensch mit diesem Bauchmenschen schon einmal "auseinandergeflogen" sei. Ansonsten hat man als Leser den Eindruck, dass viele Kollegen und Schauspieler kräftig zu einer Mythisierung beigetragen haben. Nach dem Lesen der Texte möchte man beinahe einer Probe beiwohnen.

 

Theater der Zeit: Dimiter Gotscheff. Dunkel das uns blendet. (Herausgegeben von Dorte Lena Eilers, Klaus Caesar und Harald Müller) Theater der Zeit, Berlin 2013. 186 Seiten, 18 Euro. 

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