Theaterdiscounter Berlin: Kritik von "Demetrius/Trollfabrik" – Georg Scharegg
Der Intendant und Regisseur Scharegg hat in seinem Schaffen das Machtstreben, die Diktatur und die Medienmanipulation entdeckt. "Demetrius" ist stark an Schillers Fragment angelehnt.Cornelius Schwalm als naturfreudiger Machtritter (Bild: © Malina Ebert)
Machtpoker in der obersten Etage
Wie im untersubventionierten Theaterdiscounter üblich, wird auf historische Kostüme verzichtet, auch der Hals unter Schwalms dünn besiedeltem Haupt bleibt ohne Halskrause. Demetrius, ausgestattet mit einem kräftigen, fleischfreudigen Oberkörper, hat bei seiner anvisierten Machtergreifung niemandem im Nacken, ganz im Gegenteil: Im Rücken hat er das polnische Parlament, zumal er im Machtpoker dazu fungieren soll, den Gegenspieler Godunow zu entmachten. Die Frauenrollen Marfa, Demetrius" Mama, und Marina, die Gattin, werden von Sylvia Schwarz und Kirstin Warnke übernommen. Die körperlich fragile Warnke ist durchaus dazu imstande, kraftvolle Auftritte hinzulegen, und Schwarz, bebrillt und unbebrillt, zieht sich zweimal einen Schal als islamisches Kopftuch über. Poltern können sie beide. Schwalm spielt seine Figur nicht als Karikatur, sondern ernsthaft, im Gegensatz zu Felix Goeser, der unter Stefan Kimmigs Regie (DT-Premiere 30.8.2013) eine halbe Lachnummer dargeboten hat. Das Publikum blickt auf Monitore, die zwecks Potenzierung und Übervisualisierung von der Decke herabhängen. Gegen Ende des Stückes erweist sich Demetrius als Betrüger, der sich seine Rolle als Zarensohn wohl so lange eingeredet hat, bis er selber daran glaubte.
Die Machtblase zerplatzt
Seine Mutter Marfa ist die Schlüsselperson der Inszenierung. Ihr Gewissen ist ihr wichtiger, als den ehrgeizigen Politparvenü zu protegieren. Sie kann in Demetrius ihren eigenen Sohn nicht erkennen und bestimmt so die Geschicke eines Staates, dem vielleicht ein unlegitimer, aber brauchbarer Herrscher entgangen ist. Georg Scharegg, dem mit "Iffland" (Premiere 30.5. 2012) eine sehr gute Inszenierung gelungen ist, legt eine flotte Bearbeitung hin, die zwar keine Bäume rausreißt, aber akzeptabel ist. Er hat gemäß Pressetext mit Nachrichtenbildern und den "Waffenarsenalen des Informationskrieges" gearbeitet, die als Trollfabriken bezeichnet werden. Das Gewicht liegt auf gezielt lancierten Pressekampagnen und teilweise bewusst eingestreuten Fehlinformationen. Demetrius, der nach seiner Entlarvung urplötzlich an Menschlichkeit einbüßt, kann sich lange halten, bis alles wie ein Kartenhaus zusammenbricht. Das Ziel war es, so Cornelius Schwalm im anschließenden Publikumsgespräch, den Schwindel so lange wie möglich aufrechtzuerhalten. Um eine Parallele zur heutigen Medienpolitik zu ziehen, hat der Theaterdiscounter das Journalistennetzwerk n-ost zur – recht intellektuell geführten - Diskussion eingeladen. Einige Zuschauer, die möglicherweise als repräsentativ einzustufen sind, haben offensichtlich das Vertrauen in die Medien verloren, namentlich in die der staatsnahen gesteuerten Öffentlich-Rechtlichen. Bei all der Medienvielfalt setze jeder Informationswillige auf jene Quellen, die ihm als besonders vertrauenswürdig vorkommen. Nun, kampagnenartige Manipulationsversuche hat es immer gegeben – nur haben sie heute um einiges zugelegt.
Demetrius/Trollfabrik
nach Friedrich Schiller
Regie: Georg Scharegg, Raum und Video: Erik Scheuerling/Camila Puls de la Cruz, Kostüme: Elena Gaus, Grafik: Christiane Patic.
Es spielen: Kirstin Warnke, Cornelius Schwalm, Sylvia Schwarz, Marc Ottiker, Leopold Hornung.
Theaterdiscounter Berlin
Premiere war am 21.01.2016, Kritik vom 22.01.2016
Bildquelle:
Ruth Weitz
(Lilli Chapeau und ihr kleinstes Theater der Welt in Miltenberg)