Soliarität mit den sogenannten Anderen

Soliarität mit den sogenannten Anderen (Bild: Frl. Wunder AG)

Happy-Land, aber nicht für alle

Das Ende. Es ist kein finales Ende, was ja ein Pleonasmus wäre, sondern ein vorläufiges. Drei weiße weibliche Puppen – westliche "touristische" Kulturarrangeure in Afrika – in der Tat auch heute noch ökonomisch ausbeutungsrelevante "Entwicklungsländer" - befinden sich in einem Dauerschlummer. Man beobachtet sie bei engagierter Tätigkeit und hört: "Drei weiße Kulturschaffende bei der Arbeit". Wenn das nur das Goethe-Institut nicht hört. In Wahrheit sind also die normativen Weißen, die neben den Turbo-Raubtieren zuweilen auch Kulturträger sind, die Bösen: So einfach ist es denn doch nicht, irgendwo stößt das Differenzierungsvermögen an eine Grenze und schlittert ab ins schlechte Gewissen, was denn "wir", die vorangegangenen und aktuellen Generationen, angerichtet haben. Nun, es wird schon von Beginn an angerichtet: Eine Hütte steht auf der Bühne, erinnernd an ein Schrebergarten-Idyll, das in eine "exotische" Welt verpflanzt wurde. Darauf steht "Happy-Land" und die Glücklichen haben auch eine männliche nackte Leiche aufgehängt – der böse Kolonialist im Untergang -, einen klaustrophobischen transparenten Telefon-Kasten und einen Mond, auf den die Vorgänge im Innern der extravaganten kolonialen Scheune projiziert werden. Es wird auch gefrühstückt, an einem Camping-Tisch, und man reflektiert angesichts der Tochter: "Wie soll ich die kleine Blondine antirassistisch erziehen?" Und die Figur Melanie versetzt sich in die Rolle der weißen Schwarzaktivistin Rachel Doleza, die back to the roots will und sich für eine Sache einsetzt, für die sie hautmäßig nicht geboren ist, aber sich berufen fühlt, mit allen textiltechnischen Verkleidungvarianten, die als Identifikationsmuster fungieren.

 

Geglaubte und tatsächliche Unterdrückungsphänomene

Derartige Inszenierungen sind vor allem deshalb notwendig, weil die Problematik in der hiesigen Öffentlichkeitsarbeit von den etablierten Parteien nur programmatisch bewältigt wird – Sprache wird als Handlung ausgegeben - ohne die inofiziell-öffentlichen und inwendigen Schwierigkeiten der -"Straßen"-Basis überhaupt anzurühren. Vom Eingreifen ganz abgesehen. Das Projekt ist als Telefon-Konferenz in Angriff genommen worden. Bedauerlicherweise kommt es bei manchen Besucher*innen, die sich per Handy oder Smartphone korrekt eingeloggt haben, zu technischen Störungen, so dass nur ein Teil seine Spontankommentare abgeben kann, die allerdings rein privat sind: Per Lautsprecher ist nichts von der Publikumsbeteiligung zu hören. Alles verfließt im gebremsten Rausch einer gewünschten aktualisierten Gegenwartskommunikation, die nur unter der Oberfläche stattfindet. Letztlich begeht die Performance-Truppe einen Fehler, der sich bei geglaubten und tatsächlichen Unterdrückungsphänomenen förmlich anbietet: Die Weißen sind die Bösen. Eine Zitter-Gymnastik wird präsentiert, und das "Happy-Land" wird deinstalliert mit der eingangs erwähnten, jetzt einem weiblichen Körper vorgespannten Nacktmannleiche. Hier wird eine Diskussionsgrundlage ungewollt abgewürgt, um des Effekts Willen. Böswillig könnte man meinen, die Performance sei aus baren Menschlichkeitsgründen tendenziös und monokausal - doch dafür sind sie zu sehr dem Analytischen verpflichtet und mitunter treffen die wahllos verschossenen Pfeile auch ins Schwarze. In Abzug einiger – selbstverständlich subjektiv empfundener - Schwächen lässt sich sagen, dass Frl. Wunder AG einen weiteren Ansatz, eine zugleich plumpe und sensible Bereicherung zur Gesprächsintensivierung beigetragen hat. Der phasenweise undergroundige, stets eine notwendige Plattform liefernde Theaterdiscounter hat ein Problem ganz anderer Art: Wahrscheinlich hört's trotz eines gesteigerten Publikumsinteresses wieder kein Schwein.

 

Das weisse Stottern

von Frl. Wunder AG

Von und mit: Verena Lobert, Melanie Hinz, Marleen Wolter

Kostüm/Bühne: Büro unbekannt Berlin, Video: Gernot Wöltjen, Telefonie: Georg Werner, Musik: Stephanie Krah, Technik/Assistenz: Anahí Pérez.

Theaterdiscounter Berlin

Kritik vom 3. September 2017

 

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