Theaterdiscounter Berlin: Kritik von "Die Irre von Chaillot" – Mariakron
Premiere einer Satire von Jean Giraudoux. Der Regisseur Cornelius Schwalm präsentiert ein entstaubtes Stück gegen die Gentrifizierung. Die Übeltäter werden liquidiert.Anne Retzlaff, Mareile Metzner, Silvina Buchbauer, Verena Unbehaun (Bild: © Mariakron)
Die neuen Stadtplaner als Seelenvernichter
Cornelius Schwalm hat Giraudoux' Satire verdichtet, zugespitzt und in ein Stück transformiert, in dem gewiefte Spekulanten die monetär schwach aufgestellten Alteingesessenen an die Stadtperipherie drängen. Berlin droht das Schicksal einer seelenlosen Betonwüste, der auch noch der letzte Charme ausgehaucht wird durch hektische Geschäftsmänner, die von etlichen Kiezen Besitz ergreifen. Was die Skrupellosen unter geordneten Verhältnissen verstehen, ist eine neue Form einer fassadenhaften Ordnung, die die raue, aber sympathische Aura Berlins unwiderruflich beseitigt und etwas kühl Austauschbares inauguriert. Für die im Café gestrandeten Bohemians sind die neuen "Stadtplaner" Seelenvernichter, mit denen man nun abrechnen möchte. Die extrovertierte Aurélie ist immer noch einer losgelösten Ästhetik und einem ungetrübten Humanismus verpflichtet, also beschließt sie, das Geschwader der machthungrigen Börsianer zu bezwingen. Der nervenschwache Sprenger (Robert Rating), nun zu den Tagträumern und Idealisten übergelaufen, redet von einer Verschwörung der neuen Bauherren und ruft die "Irren" auf den Plan.
Gruppenfoto
© Mariakron
Ein Kampfstück mit beißendem Spott
Obwohl Teile des Ensembles teilweise stark aufspielen – vor allem Silvina Buchbauer und Verena Unbehaun – bleibt einiges Stückwerk. Es fehlen die zündenden Ideen, der Wortwitz, die zart daherkommende Ironie auch. Es ist ein Kampfstück, angefüllt mit beißendem Spott, dem auch etwas Leichtes anhaftet, als befinde man sich auf einem Kinderspielplatz für Erwachsene. Im Original sind die Kapitalisten, Erneuerer, Technikfreaks und Ausbeuter die Übeltäter, hier wird noch das Thema Gentrifizierung hinzugenommen. Bei verschiedenen Textstellen merkt man, dass es Regisseur Cornelius Schwalm mit seinen Thesen verdammt ernst ist. Die angeblich Progressiven sind die Rückschrittlichen, die Irren sind die diejenigen, die den Durchblick haben und ein menschliches Miteinander favorisieren. Der Bauwahn muss mit allen Mitteln gestoppt werden, deshalb wird den Verantwortlichen eine Falle gestellt. Zunächst einmal werden die anvisierten Geschäftsleute von einem improvisierten (Volks-) Gericht zu Tode verurteilt. Die Dramaturgin Sophie Nikolitsch verliest eine lange Liste, auf der etliche bekannte Promis und Politiker auftauchen. Dann werden sie in Aurélias angeblichen Öl-Keller gelockt, wo sie eingesperrt und endgültig ausgeschaltet werden. Das ist der Triumph von Kleinkünstlern, die sich vorerst ihr Terrain bewahrt haben, bis der nächste Ansturm der Mächtigen kommt. Gut wird es immer dann, wenn gesungen wird und Matthias Rheinheimer zur Gitarre greift. Die Funken versprühende Silvina Buchbauer trägt sogar eine grüne Fahne, als handele es sich um eine Freiheitsbewegung. Ein provisorischer Glückszustand: Die Schauspielerinnen gehen ins Publikum und umarmen einige Gäste, Verena Unbehaun trällert The Power of Love, fast wie in einem Hippie-Märchen.
Die Irre von Chaillot
von Mariakron
nach Jean Giraudoux
Text/Regie: Cornelius Schwalm, Dramaturgie/Text: Sophie Nikolitsch, Bühne: Hovi-M, Kostüm: Andrea Göttert.
Es spielen: Silvina Buchbauer, Verena Unbehaun, Mareile Metzner, Anne Retzlaff, Matthias Rheinheimer, Robert Rating.
Premiere vom 22. Januar 2015
Dauer: ca. 90 Minuten
Bildquelle:
Ruth Weitz
(Lilli Chapeau und ihr kleinstes Theater der Welt in Miltenberg)