Mareile Metzner, Matthias Horn, Johanna Dieckmeyer, Patrick Khatami.

© post theater

 

Die Macher und die Bewerber

Dieses Theater ist ein Dokumentationstheater mit vielen Fakten, begleitet von gespielten Szenen und Gesang. Matthias Horn, Markenzeichen wohlpolierte Glatze, einst Boss vom undergroundigen, experimentellen Orphtheater in Berlin-Mitte, heute Boulevardakteur im Monbijoupark (Ex-Hexenkessel) und anderes, hat für sich und andere plötzlich den verstorbenen Rentnerpublikumsmagnet Udo Jürgens entdeckt. Ehrenwertes Haus von 1977 wird gesungen, am Ende ziehen die entnervten Mieter "glücklich" aus. Warum ausgerechnet Udo Jürgens? Nun, damals hatte er noch ein Herz, er kümmerte sich um die Diskriminierten, nicht nur um Sahne. Our House von Madness kommt als erste gesangliche, entspannungsmotivierende Beilage, leider sagt der Text so gut wie nichts aus, er passt nur irgendwie zum Thema. Damit es nicht so trocken zugeht – auf der Leinwand sind Tabellen und Prozentzahlen zu sehen - werden verschiedene Spielvarianten ausprobiert. Die schwangere Johanna Diekmeyer agiert als nicht ganz unbarmherzige Maklerin, die sich trotz der unvermeidlichen Geschäftsmechanismen noch agonienahe Restgefühle aufbewahrt. Eine WG-Bewerberin hat sich einem knallharten Verhör zu unterziehen, die ohne grell leuchtende Stasi-Lampe auskommt, gilt es doch nur, die privaten Gewohnheiten zu erforschen. Gentrifizierungsopfer gibt es offiziell praktisch nicht, es bleiben uneinsichtige Menschen, die sich den falschen Wohnraum ausgesucht haben. Matthias Horns Figur redet von "psychologischen Zersetzungsstrategien", das sind anscheinend die hehren Geschäftsformen des sozialmarktwirtschaftlichen Kapitalismus. Man ist gehobene Klasse, hat ein eher schwach glühendes humanes Interesse, comme il faut.

 

Gemischte Schlafgemeinschaften, hoffentlich unhedonistisch

Im zweiten Teil wird alles anders. Nun sind alle Schauspieler*innen in Weiß gekleidet, ein zukunftsträchtiges, mit durchschimmernder Helligkeit verbrämtes Wolkenbild taucht auf, das Reich der Visionen, ja der Utopie beginnt. Ein Wohnhaus soll entstehen mit unzähligen Etagen und rund 1000 Bewohnern, die vielleicht im kollektiven Verbund zu Seelen heranreifen. Geplant sind Aufenthalts- und Kochlounges in jeder Etage, hinzu kommen hausinterne Mieterrotationen und idealistische Gemeinschaftshaltungen durch kontaktherstellende Smartphones. Sharing Economy: Alles von, mit und für den Bewohner, ein bisschen Sozialismus im Privaten. Großzügige, eminent kommunikationsfördernde, klosterähnliche Säle schießen wie Pilze aus dem Boden, eine Bibliothek für Dumpfbacken und Gelehrte und eine vermischte, hoffentlich unhedonistische Schlafgemeinschaft, die es nicht einmal im Krankenhaus gibt. Die Postpost-Moderne im Kapitalismus. Immerhin haben die Darsteller auch Hang zur Ironie: Das Klo auf einer – oder mehreren Etagen? – ist beschissen, so Patrick Khatami, genauer: verschissen, gerade in der Bibliothek, wo die "Klugscheißer" sitzen. Reich Utopia ist etwas fragwürdig, mitunter möchte man am liebsten flüchten – aber in welchen Rachen? Aussichtsreicher scheint es, das Reich Utopia, das sogar auf Horns gut in Schuss gehaltenem Oberkörper kartographisch projiziert ist, weiter zu entfalten. Anschließend sind alle Darsteller*innen auf Video mit einem Wohnturm versehen, ja visuell tätowiert, als sei alles längst verinnerlicht worden. Im Innern der Wohnraum. Die Grundhaltung des Teams ist ein humorgeschwängerter Zynismus, der selbst den für spritzige Wohninspirationen gedachten Gegenentwurf konterkariert. post theater inszeniert ein dokumentarisches Spiel, das nicht nur in einem Wasser zu fischen versucht, sondern tragische Einzelfälle und markterprobte Stereotypen präsentiert. Ein nicht uninteressanter Abend.

House Of Hope

Künstlerische Leitung/Text/Regie: Hiroko Tanahashi, Max Schumacher; Medienkunst/Video: Hiroko Tanahashi, Yoann Trellu; Sounddesign/Musik: Sibin Vassilev; Dramaturgie/Text: Michael Müller.

Es spielen: Mareile Metzner, Matthias Horn, Patrick Khatami, Johanna Dieckmeyer.

Theaterdiscounter Berlin

Berlin-Premiere vom 9. März 2016

Dauer: ca. 90 Minuten


 

Laden ...
Fehler!