Foto: Nils Broer

 

Die Sehnsucht nach dem Kaiserreich

Die rückständigen, in freistaatlichen Hütten hausenden Vergangenheitsverklärer benutzen selbstverständlich die Hochtechnologie, um sich den Zeichen der Zeit anzupassen und potentielle und etablierte Kollaborateure ansprechen zu können. Die Bühne ist etwas für Wendehälse. Ständig muss man – die Zuschauer*innen sitzen in der Mitte auf massiven weißen Pappkartons – den Kopf recken, da die Schauspieler*innen den Raum voll ausschöpfen und unvermittelt an allen Ecken und Enden auftauchen. Zu diesem Behuf sind zwei Videowände installiert, auf gegenüberliegenden Seiten arrangiert. Das – sich anstrengen müssende - Publikum wird also über das Reichbürgergefasel hinaus nicht in Ruhe gelassen. Arne Vogelgesang, Protagonist, Sachwalter und Oberagent der "Bewegung", mit langen Haaren und Rauschebart, sieht aus wie ein Prototyp der Spät-Hippies, der nichts von Rohheit erkennen lässt und viel zu intellektuell daherredet, als seien die Reichsbürger ein abseitiger, versprengter Wissenschaftsclub. Der durchaus berechtigte Kritik an den Mechanismen der aktuellen BRD äußert. Das ist in Wahrheit das Urkomische in einer unkomischen Aufführung: Manche Kritikpunkte – Verstaatlichung der Banken, Ausbeutung durch Firmen und Konzernakkumulation, institutionalisierte Paralyse mit Repressionselementen und fragwürdige Polizeigewalt – könnten auch im Parteiprogramm der Linken stehen. Bedauerlicherweise sind die Reichsbürger ins falsche Fahrwasser geraten.

 

Abwanderung ins Bizarre

Die Darsteller*innen (Katharina Haverich / Marina Miller Dessau / Arne Vogelgesang / Christoph Wirth) verzichten auf Verkleidung und Verballhornung. Sie stellen nur dar, den Rest muss man sich denken. Im Gegensatz zu Falk Richter, der in "Fear" (Schaubühne Berlin, Uraufführung 25.10. 2017) mit etlichen Zynismen Pegida und AFD der Lächerlichkeit preisgab, ist internil emotional neutral. Man vertraut auf Geschmack und Erkenntnis des Publikums, und der Ansatz ist nicht der schlechteste, obwohl wohl manch einer eine deutliche Abgrenzung vermisst. Es werden wirre, aber performerisch faszinierende Reichsbürgerreden gehalten, die im Untergrund angesiedelt sind und in den Bereich das Apokalyptik gehören. Der Hauptgegner sind die "Bullen" - auf Leinwand ist ein aggressiver Rap-Song gegen sie gerichtet. Man setzt lieber auf Blut gegen Volksfremde, Blut gegen "Bastarde" und, damit es denn doch etwas authentisch wirkt, auf Beleidigungen wie Pisser und Drecksau. Die Zeichen bei den verklärten Monarchie-Freunden stehen auf Sturm, die sogenannten Bullen, die ihren Hiobsjob gesetzmäßig verrichten, wollen einen, der die BRD-Justiz nicht anerkennen will, nur brechen. Aha. Die Totalverweigerer bemühen auch das Herz. Es ist dies ein Reichsbürger-Herz, das freilich nur für die Eingeweihten und Vertrauten schlägt. Für die ist die BRD nur ein Witz, Comic, und die unten wissen nicht, was die oben wollen, und umgekehrt. Deshalb sieht man sich als Ersatz der Linken und versucht ihre Plätze zu besetzen. Da ist tatsächlich ein akutes Problem angesprochen. Viele desillusionierte Linke, denen es offensichtlich an der Repräsentation ihrer Anliegen und Wünsche mangelt, sind in bizarre Lager abgewandert. Keine unwichtige Inszenierung, allerdings mit einigen Fragezeichen.

 

Staatenlos

von internil

Regie: internil

Ausstattung: primavera*maas, Interaktionsdesign: Holger Heißmeyer, Produktion:Annett Hardegen,Technische Leitung: Sebastian K König

Es spielen: Katharina Haverich / Marina Miller Dessau / Arne Vogelgesang / Christoph Wirth.

Theaterdiscounter, Premiere vom 13. Oktober 2017

Dauer: 2 Stunden

 

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