Michaela Steiger, Bibiana Beglau ...

Michaela Steiger, Bibiana Beglau, Katharina Pichler (Bild: © Matthias Horn)

Energie aus der Raserei

Die Bühne (Aleksander Denic) erinnert zwar nicht an eine Mehrzweckhalle, aber sie ist eine Einrichtung für viele Zwecke, als hätten anarchische Abenteurer einen behelfsmäßigen Hütten-Komplex mit provisorischem Wohlfühlcharakter errichtet. Ob Schiff, Krankenstation, Küche oder pseudo-elegantes Wohnzimmer – die baufällig wirkenden Holzverschachtelungen sorgen für eine zweifelhafte Abenteuerromantik, gemütlich ist's wohl nur für den Betrachter. Hier vegetiert und wütet und wildert Bardamu, der abwechselnd von Bibiana Beglau und Franz Pätzold dargestellt wird. Kenner von Castorf wissen, dass er sich nicht um einen linearen Handlungsablauf schert und gern Textpassagen reinschneidet bzw. andere herausfiltert. Dieses Adrenalintheater bezieht seine Energie aus der Raserei, die mitunter in Gehetztheit ausufert. Und ja, bei manchen Stellen entsteht er wieder, dieser Sog, der leichte Rausch, der sich in früheren Volksbühnen-Inszenierungen einstellte und das Innere aufwühlte. Es ist, als habe Castorf als hypertroph-viriler Vorgreis wieder zu sich selbst gefunden, seine alten Wurzeln wiederentdeckt, um die Veteranen wiederzubeleben und Jüngere anzudocken.

Britta Hammelstein, Michaela Steiger

Britta Hammelstein, Michaela Steiger (Bild: © Matthias Horn)

Wogende Busen im Hochdampf-Theater

Die dunkelhäutige Fatima Dramé ist zwar keine begnadete Sängerin, aber sie beherrscht ihr Handwerk recht gut, ihre Stimme klingt soulig und warm, allerdings ohne in die Zentren des Herzens vorzudringen. Es dies eine Stelle von Heiner Müller, bei der einige französische Abgesandte in Jamaika eine revolutionäre Initialzündung entfachen sollen. Assistiert wird Dramé von Aurel Manthei, der den Gesang wahrlich nicht erfunden hat, zumal seine Stärken in anderen Bereichen liegen. Er päferiert mit seinem Léon Robinson eine bleierne Coolness wie in einem US-Western: John Wayne in seiner unterkühlten, manchmal abstoßenden Art, deren Rauheit nicht ohne Liebreiz ist. Die Frauen bei Castorf treten wie gewohnt hochhackig und mit halb entblößtem, wogendem Busen auf, der das Mieder zu sprengen scheint. Britta Hammelstein spielt gleich mehrere Frauentypen und Michaela Steiger tritt sehr hautfreundlich und mit Po-Offensive in einem bizarren Vogelkostüm auf, das an eine mit Exotismen gesättigte Verkleidungsshow gemahnt. Die Degradierung der Frauen zu Weibchen liegt nahe, findet aber nicht statt. Bibiana Beglau als Bardamu hat einige energische Auftritte, als sei sie in diese männliche Rolle hineingewachsen, zierlich und burschikos zugleich. Um die Seele ringt in diesem Hochdampf-Theater niemand – das ist auch Castorfs Sache nicht. Eher die Imponderabilien, das nicht Vorhersehbare, die Turbulenzen und die geistige Explosion. Im Gegensatz zu München dauert die Inszenierung nur 4 Stunden, 15 Minuten – ein Entgegenkommen für die Ausdauerunfähigen? Die Reihen haben sich nach der Pause kaum gelichtet, am Ende gibt es frenetischen Applaus, auch für den Meister und sein Team.

Reise ans Ende der Nacht
von Louis-Ferdinand Céline
bearbeitet von Frank Castorf
Regie: Frank Castorf, Bühne: Aleksandar Deníc, Kostüme: Adriana Braga Peretzki, Licht: Gerrit Jurda, Video und Live-Schnitt: Stefan Muhle, Kamera: Marius Winterstein und Jaromir Zezula, Dramaturgie: Angela Obst.
Mit: Aurel Manthei, Fatima Dramé, Michaela Steiger, Britta Hammelstein, Bibiana Beglau, Franz Pätzold, Katharina Pichler, Jürgen Stössinger, Götz Argus.

Haus der Berliner Festspiele

Kritik vom 8. Mai 2014

Dauer: 4 Stunden 15 Minuten, eine Pause

 

Laden ...
Fehler!