Sebastian Blomberg vor den Toten

Sebastian Blomberg vor den Toten (Bild: © Armin Smailovic)

Schwer ist der Wiederaufbau

Am Anfang hören wir: "Der große Oktober der Arbeiterklasse/war ein Sommergewitter der Weltbank/ein Mückentanz über Tatarengräbern". Tschumalow (Sebastian Blomberg) kommt nach Hause, verschlissen und leicht lädiert kommt er nach Hause, aber mit einem hehren Ziel im Herzen. Der Wiederaufbau seines darniederliegenden Zementwerks. Die Welt vor sich: Ein eroberter Trümmerhaufen. Schwer lastet der Stein in seinen Händen, er hat ihn quasi auf dem Rücken zu tragen und entmächtigt sich der scheinbar übermächtigen Bürde. Seine einst geliebte Dascha (Bibiana Beglau) tut sich schwer mit dem Wiederaufbau des seelischen, magischen Ineinanderklingens, sie ist emanzipiert, leicht erkaltet und längst organisiert in einer straff verwalteten Frauengruppe. Der Privatbesitz ist abgeschafft, das erstreckt sich anscheinend auch auf den Bereich der Liebe. Das Zueinanderfinden gerät in eine Schieflage, der revolutionäre Überschwang hat sich dazwischengeschoben.

 

Von Mythen und anderen Dingen

Inmitten der Lebenden gibt es einen schaurigen Tanz der Toten. Wir sehen kalkweiße Gesichter, verzerrte Gesten, Masken - Irrlichter am Abgrund. Die Toten, zehn Schauspielstudenten, umwirbeln die Lebenden, sprechen im Chor und beherrschen sogar die Fäkalsprache. Wenn die Lebenden es nicht schaffen, werden es die Toten richten. Diese Choreografie ist ein unverzichtbarer Teil der Inszenierung und schafft Leben aus dem Totenreich, so wie die scheinbar erloschenen Halbgötter immer wieder heraufbeschwört werden. Valery Tscheplanowa, das alleingelassene verhungerte Kind von Dascha spielend, verkündet prosaisch entstaubte Mythen, etwa den Kampf von Herakles mit Hydra und die versuchte Befreiung vom angeketteten, adlergeschädigten Prometheus. Die zerfressene Leber: Während der dreieinhalb Stunden dauernden Inszenierung hat man den Eindruck, als würde die Revolution sich selbst fressen. Klein, barfuß und relativ unscheinbar, deklamiert Tscheplanowa in einem Schlussmonolog dermaßen schnell, dass sich die Worte förmlich überschlagen. Es ist ein Übereinanderpurzeln, allein die Geste zählt.

 

Bibiana Beglau, Sebastian Blomberg

Bibiana Beglau, Sebastian Blomberg (Bild: © Armin Smailovic)

Ein systemrelevantes Funktionswesen

Es wird nichts mehr mit der Auffrischung der großen Liebe, die auf die Zentralmacht hörende, psychisch abgestumpfte Dascha hat höhere Pläne. Bibiana Beglau hat einige großartige Szenen, sie spielt die auf Planwirtschaft programmierte Kämpferin ohne innere Herzensglut, schließlich ist sie jetzt ein systemrelevantes Funktionswesen. Das betont Seelische wäre auch nicht im Sinne von Heiner Müller gewesen, dessen oberster Verwalter und Sachwalter Gotscheff das 1973 in der DDR uraufgeführte Werk entschärft hat. Die ins Poetische abgleitende Verkündungsprosa wird theatral aufbereitet und in den Bereich des geschmacklich Vertretbaren verschoben. Auf Dauer ist das revolutionäre Gedöhns sehr anstrengend. Die Figuren von Genija Rykova und Lukas Turtur bringen sich aus Verzweiflung um, aus Todessehnsucht auch und weil sie ihren unerbittlichen Schergen nur so entkommen können. Wohin mit der Pistole? Der Zeigefinger geht zum Herz, dann zum Kopf und schließlich in den Mund. Und gestorben sind sie, Requiem aeternam dona eis, Domine. Aber Christus und seine Lehre und seine Kuriere sind eigentlich abgeschafft. Gotscheff liefert eine Revolution zum Abgewöhnen, die Inszenierung besticht allein durch die ästhetischen Elemente.

Zement
von Heiner Müller
Regie: Dimiter Gotscheff, Bühne und Kostüme: Ezio Toffolutti, Musik: Sandy Lopicic, Licht: Gerrit Jurda, Dramaturgie: Andrea Koschwitz.
Mit: Bibiana Beglau, Sebastian Blomberg, Aurel Manthei,Valery Tscheplanowa, Lukas Turtur, Genija Rykova, Paul Wolff-Plottegg, Götz Argus, Robert Niemann, Jeff Wilbusch, Lena Eikenbusch, Benjamin Schroeder, Jonas Grundner-Culemann, Thomas Hauser, Ines Hollinger, Lukas Hupfeld, Johanna Küsters, James Newton, Klara Pfeiffer, Philipp Reinhardt, Anna Sophie Schindler.

Haus der Berliner Festspiele

Aufführung vom 2. Mai 2014

Dauer: 3 Stunden, 30 Minuten, eine Pause

 

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