Theatertreffen 2015: Kritik von "Baal" – Frank Castorf
Das Residenztheater München präsentiert Bertolt Brechts frühes Drama. Eine psychedelisch-poppige Inszenierung über Imperialismus und Gegengewalt.v.l. Aurel Manthei (Baal), Bibiana Beglau (Isabelle, die Höllengemahlin), Andrea Wenzl (Sophie), Franz Pätzold (Ekart), vorne Götz Argus (Watzmann) (Bild: © Thomas Aurin)
Schauplatz Asien
Erzählt wird die Geschichte vom lebensgierigen Baal (Aurel Manthei), der zusammen mit seinem Freund Ekart (Franz Pätzold) Streifzüge unternimmt und sich unter anderem mit Sophie (Andrea Wenzl) einlässt, der er bald überdrüssig wird. Erzählt wird aber auch eine kleine Kolonialgeschichte, die den Vietnam- und Indochina-Krieg umspannt und, weil Castorf überall mit seinen Fühlhörnern hineinlangen muss, auch den Korea- und Algerien-Krieg streift. Die Bühnengestaltung (Aleksandar Denić) ist hervorragend gelungen: Ein turmartiges Bauwerk, Zelte, Drahtgeflechte, Kabinen, Hütten und natürlich der ominöse Helikopter. Wie fast immer arbeitet Castorf viel mit Videos, die Vorgänge im Inneren der überirdischen Katakomben werden auf die Leinwand projiziert. Wenn man die Münchner Schauspielerinnen (Andrea Wenzl., Hong Mei, Katharina Pichler) beobachtet, fühlt man sich unwillkürlich an den Kathie-Angerer-Stil erinnert, als handele es sich um mal besser, mal schlechter gelungene Imitate. Auch Lilith Stangenberg begann am Anfang ihrer Volksbühnen-Karriere zu "angerern". Aber diesen exaltierten Angerer-Stil gibt es im Grunde gar nicht, anders ausgedrückt: Angerer, wie sie sich auf der Bühne präsentiert, ist nur ein Produkt Castorfs, zumal sie sich in Filmen auch völlig anders präsentiert. Castorf zwängt sein weibliches Personal förmlich in diese schrillen, überspannten Frauenrollen hinein, ohne dass sie dabei die nötige Strahlkraft einbüßen. In der Volksbühne traten die Frauen schon oft in unbequemen hochhackigen Schuhen auf, damit der Meister seinen Fetischismus, den er auch dem Publikum zu unterstellen scheint, in vollen Zügen auskosten kann.
Bibiana Beglau, Aurel Manthei
© Thomas Aurin
Ein uferloser Trip
Dass Castorf sich gern wiederholt, ist nichts Neues, aber leider hat er auch ein Faible für abgegriffene antiquierte Weisheiten. Gewiss, man kann nicht zweimal in den selben Fluss steigen, das wissen wir seit Heraklit, spätestens aber seit einem Goethe-Gedicht. Und da wir gerade bei Goethe sind: Die zwei Seelen in der Brust, von denen die eine töten und die andere lieben will, sind auch nicht gerade brandneu. Immerhin passt das zu dieser Inszenierung, die Tötungswunsch und scheinbar unersättliches Liebesverlangen miteinander verkoppelt. Ein kleiner Luzifer ist auch vertreten in Form von Bibiana Beglau, die als Höllengemahlin in die entfesselte dunkle Welt eintaucht. Die eingespielte Rockmusik klingt so, als habe Castorf Alexander Scheer als Berater hinzugezogen. Es ist nicht so, dass der Regisseur im vorgerückten Alter bei seinen Akteuren Altersmilde walten lässt. Sein Theater ist ein Verausgabungstheater, in dem mit energiegeladenem Hochdruck gespielt wird, ganz ohne meditative Erholungssequenzen. Kurz: "Baal" ist ein einziger uferloser Trip, und es ist nicht der schlechteste. Bezeichnend für die Inszenierung ist das Rauchen von Opium-Pfeifen, deren Qualm mit sich mit dem Geruch der Räucherstäbchen vermischt. Manch ein Zuschauer mag darüber reflektiert haben, ob nicht ein Joint den teilweise psychedelisch angehauchten Videobildern noch mehr Drive verleihen könnte. Aber die Bilder dieses Dauer-Kinos haben an sich schon etwas Berauschendes, da verzeiht man auch manch nervende Einlagen, etwa die durchbohrenden Arien von Hong Mei, die sich ansonsten gut ins Team einfügt. Der schauspielerische Höhepunkt ist eindeutig Aurel Mantei, er ist ein grotesker, vielschichtiger, bissiger Baal. Am Ende lässt sich leider nicht eruieren, inwieweit koloniale Gewalt eine guerillaartige Gegengewalt provoziert. Castorf legt vielleicht den Finger auf die Wunde, aber ein Kriegsdiagnostiker, der zu neuen historischen Erkenntnissen hinführt, ist er nicht. Die Einladung zum Theatertreffen ist in jeder Hinsicht gerechtfertigt.
Baal
von Bertolt Brecht
Regie: Frank Castorf, Bühne: Aleksandar Denić, Kostüme: Adriana Braga Peretzki, Licht: Gerrit Jurda, Live-Kamera: Marius Winterstein und Jaromir Zezula, Video: Stefan Muhle, Dramaturgie: Angela Obst.
Mit: Hong Mei, Aurel Manthei, Bibiana Beglau, Andrea Wenzl, Götz Argus, Franz Pätzold, Katharina Pichler, Jürgen Stössinger.
Aufführung vom 17.Mai 2015
Residenztheater München
Dauer: 4 Stunden 15 Minuten, eine Pause
Bildquelle:
Ruth Weitz
(Lilli Chapeau und ihr kleinstes Theater der Welt in Miltenberg)