Theatertreffen 2015: Kritik von "Die lächerliche Finsternis" - Dušan D. Pařízek
Wieder eine Wiener Inszenierung mit lauter Frauen. Eine Bundeswehr-Flussfahrt am Hindukusch auf der Suche nach einem Verschollenen.v.l. Stefanie Reinsperger, Catrin Striebeck, Frida-Lovisa Hamann, Dorothee Hartinger (Bild: © Reinhard Maximilian Werner)
Begegnungen mit kriegsbedingten Sonderlingen
Um Pellner (Catrin Striebeck) braucht man sich angesichts dieser Zustände keine Sorgen zu machen: Offensichtlich hat er sich dazu entschlossen, ein heroisches Leben hinzulegen, unangekränkelt von äußerlichen und selbsteingebildeten Erschütterungen und inneren Konvulsionen. Pellner, das ist Selbstbehauptung pur, ist die Kraft der Tat, ist die Allmacht des Befehlens, während der sächselnde Assistent Dorsch (Frida-Lovisa Hamann) eher unterwürfig angelegt ist und sich wie ein wärmesuchendes Tier nach menschlicher Nähe sehnt, und das geht nur übers Gespräch. Hamanns Auftritt ist, von einigen Ausnahmen abgesehen, unaufdringlich und still, bleibt aber nachhaltig im Gedächtnis haften. Stefanie Reinsberger und Dorothee Hartinger sorgen für zahlreiche Intermezzos, dazu da, einige bizarre Begegnungen und Zwischenstationen mit kriegsbedingten Sonderlingen herbeizuführen. Auf so einer Flussfahrt muss ja einiges passieren, will man nicht ganz der Selbstreferentialität anheimfallen. Trotzdem bekommen jene, die in die Kriegswirren involviert sind, wenig vom eigentlichen Kriegsgeschehen mit, denn es gibt, so Lodetti (Dorothee Hartinger), kein Internet und kein Fernsehen. In abgelegenen Provinznestern stationiert, leben die Soldaten in einem Mikrokosmos, der das große Ganze längst aus dem Blickfeld verloren hat. Es sind Schattenkämpfer, denen man vorgegaukelt hat, für eine historische Sache zu streiten.
Rustikaler Einschlag verleiht Originalität
Zu Beginn schlüpft Stefanie Reinsberger in die Rolle eines diplomierten Piraten, der kraft seines Zertifikats ein Schiff überfallen hat, weil die Wässer vor Somalia leergefischt waren. Hier geht's um Fundamentales, nicht ums Fehlen des Internets. Derb ist die Sprache, breit das Wienerisch, noch breiter das Mundwerk. Aber gerade der kraftvolle rustikale Einschlag verleiht der Szene Originalität. Auftretend wie eine bauchdiktierte, spontanen Einfällen erliegende Bäuerin vom Land, liefert Reinsberger eine ungeschlachte Würze und Pikanterie vor einem Bühnenbild, das aus einer Sperrholzwand besteht, die später geschreddert wird, begleitet von einem schönen afrikanischen Lied. Hieraus zu folgern, dass die westlich-kapitalistische Welt in Trümmern liegt, wäre allerdings kühn und verfehlt. Obwohl Pařízeks Inszenierung wesentlich interessanter ist als die von Daniela Löffner am Deutschen Theater Berlin, hat sie ein großes Plus: Das Bühnenbild. Bei Löffners Version mit einem Schlauchboot entsteht ein Gefühl permanenten Unterwegsseins, was man hier angesichts der opaken Wand vermisst.
v.l. Catrin Striebeck, Stefanie Reinsperger, Frida-Lovisa Hamann, Dorothee Hartinger
© Reinhard Maximilian Werner
Kein Verständnis fürs Fremde
Aber was bei Löffner wie ein Kompendium einer in Einzelgeschichten zersplitterten Hauptgeschichte erscheint, ist hier von Trockenheit befreit und verlebendigt zu einem pulsierenden Darstellungsfluss, der nie abreißt. Und Pařízek vermag die versteckte Botschaft von Autor Wolfram Lotz gut rüberzubringen: Das Nichthineinfinden in eine fremde Kultur, die vorschnell als Barbarei abgetan wird. Das nicht kategorisierbare Exotische wird nur mit eigenen Maßstäben gemessen. Deswegen gibt es auch kein Verständnis für die Lebensfreude von Menschen, die wie Gestalten aus einer anderen Galaxis erscheinen: "Einmal mehr kam mir der Gedanke, dass diese Wilden möglicherweise glücklicher waren als wir Zivilisierten, dass wir, obwohl wir alles hatten, was wir brauchten, unglücklicher waren..." Insgesamt hat es Pařízek geschafft, aus Lotz' Text möglichst viel suggestive Bilder und Wortsequenzen herauszuholen. Eine gelungene Inszenierung.
Die lächerliche Finsternis
von Wolfram Lotz
Regie und Bühne: Dušan David Pařízek, Kostüme: Kamila Polívková, Licht: Felix Dreyer, Dramaturgie: Klaus Missbach.
Mit: Frida-Lovisa Hamann, Stefanie Reinsperger, Dorothee Hartinger, Catrin Striebeck.
Inszenierung vom 13. Mai 2015
Burgtheater im Akademietheater, Wien
Theatertreffen 2015
Dauer: 1 Stunde 45 Minuten
Bildquelle:
Ruth Weitz
(Lilli Chapeau und ihr kleinstes Theater der Welt in Miltenberg)