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© Haus der Berliner Festspiele

 

Leere Visionen

Katrin Nottrodt hat ein für dieses Drama passendes Bühnenbild geschaffen. Die Figuren bewegen sich in einem fensterlosen Betonbunker, der den Eindruck eines häuslich gemachten Verlieses erweckt. Borkman (Josef Ostendorf) saß wegen misslungener Bankfinanztransaktionen fünf Jahre im Gefängnis und hat sich anscheinend in einem Maße an die dortigen Verhältnisse gewöhnt, dass er den Knast privat verlängerte. Nun haust er in der Gruft von Ella (Julia Wieninger), im 1. Stock und abgeschlossen von einer Welt, die ihn nur noch als Scharlatan in Erinnerung hat. Mühevoll schleppt er sein morsches Knochengerüst, das von wallenden Fleischpartien quasi wattiert ist, die Treppen hoch und runter und träumt von einer Rehabilitierung, die von einer gestaltlosen, leeren Vision geleitet wird. Hierfür gibt es ein schönes, vor allem in der Literaturwissenschaft gebräuchliches Wort: Velleität. Ein kraftloses Wünschen, das sich als subjektive Gehirngeburt erweist. So ergeht es eigentlich fast allen Beteiligten, die bei ihren abenteuerlichen Zukunftsphantasien ausgerechnet auf einen Jungen (Jan-Peter Kampwirth) setzen, der sich, arbeitsunwillig und nach Selbstentfaltung dürstend, lieber mit einer wesentlich älteren Geliebten ins Ausland absetzen möchte. Was für die Figuren Realität ist, ist für Außenstehende die Ausgeburt eines Privatwahns mit skurrilen Ingredienzien. So können die Zuschauer miterleben, wie sich die Bühneakteure mit bleiernem Hantieren in eine Sache verrennen, die objektiv betrachtet hirnrissig ist.

 

Schlagende Argumente

Man kann aber noch mehr beobachten: Beispielsweise, wie Gunhild (Lina Beckmann) und Ella in eine Region hinabsinken, in der nur noch die primitivsten Instinkte regieren. Beobachten, wie sie, zwar Masken tragend, ihre Masken fallen lassen und jeglichen Rest an Würde einbüßen, nur um einen billigen Triumph zu erheischen. Ella hat besonders schlagende Argumente, indem sie bedrohlich die Axt schwingt, die ihrer Sicht der Dinge den nötigen Nachdruck verleihen soll. Und Lina Beckmann hat teilweise großartige Auftritte, sie, scheinbar wachgeküsst von einem Derwisch oder Hexenmeister, hüpft, stolpert und tänzelt die Treppen entlang, dass es partiell groteske Formen annimmt. Das ist die spielerische Seite des Lebens, die jederzeit ins Gegenteil umschlägt und Platz macht für eine Furie, die sich eigentlich schon in der Vor-Agonie befindet. Der Regisseurin Karin Henkel gelingt es, all diese Zukunftsblasen von im Grunde gescheiterten, dem Untergang geweihten Existenzen auf eine tragisch-komische Weise zu entlarven und macht dadurch jene Zuschauer, der gern hinter menschliche Fassaden schauen, zu Komplizen. Herauskommt ein Gefühl absoluter Sinnlosigkeit, demonstriert von wütenden Sisyphosarbeitern, die in einer schaurigen Katakombe auf ein Wunder hoffen. Ein Enthüllungstheater, das das Kreatürliche, den Abgrund des Menschen in den Blickfeld rückt. Kurz, eine grandiose Inszenierung.

John Gabriel Borkman
von Henrik Ibsen
Deutsch von Hinrich Schmidt-Henkel
Regie: Karin Henkel, Bühne: Katrin Nottrodt, Kostüme: Nina von Mechow, Musik: Arvild J. Baud, Dramaturgie: Sybille Meier.
Mit: Julia Wieninger, Lina Beckmann, Kate Strong, Josef Ostendorf, Jan-Peter Kampwirth, Matthias Bundschuh, Gala Winter.

Theatertreffen 2015

Schauspielhaus Hamburg
Dauer: 1 Stunde 45 Minuten, keine Pause

 

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