Sayouba Sigué, Michael Sengazi ...

Sayouba Sigué, Michael Sengazi, Julia Wieninger, Ibrahima Sanogo (Bild: © Matthias Horn)

Private Liebhabereien, Aversionen und gewollter Humor

Die Aufführung ist nicht ohne Humor, die teilweise hochkarätigen Schauspieler*innen geben sich alle Mühe, lustig zu sein und werfen sich bei dem Unterfangen auf stille Weise ans Publikum heran. Charly Hübner trägt einen extravaganten Zopf, Josef Ostendorf als Cornelius von Ochs trägt wie ein domestizierter Ochs ein knallrotes üppiges Frauenkleid und Julia Wieninger, später ein Hippie-Konfektionskleid tragend, redet daher, als wolle sie sich nachhaltig für die dialektberauschte österreichische Filmindustrie bewerben. Dass Kathrin Wehlisch nicht ungern nackt auftritt, weiß zumindest das Berliner Volksbühnen-Publikum, das bei Die Patriotin und anderen Aufführungen (Das Duell, Der Sandmann) anwesend war. Knusprig, leichtfüßig und etwas verkracht – so geht es auf der Bühne zu. Vor der Bühnenwand steht ein Art von großformatigem Industrieregal, in dessen Zwischenzonen das Ensemble herumwandelt und musiziert und bildlich an Wolfgang Engels Der Turm erinnert. Die Ästheten tragen ihre Liebhabereien und internen Aversionen offen aus, es werden pointenerheischende Witze gerissen und die Urne des angebetenen und gehassten Meisters ist aufbereitet. Nebel steigt auf, dann kommen die flüchtenden Eindringlinge und unterbrechen die lockere Marthaler-Gemütsästhetik.

 

Julia Wieninger mit Asche auf dem Haupt und exotischem Hippie-Kostüm

© Matthias Horn

 

Das Eindringen einer neuen Welt

Nach Beiers Lesart werden die Schöngeister abrupt aus ihrer Komfortzone gerissen. Damit ist ganz Europa gemeint, obwohl wohl die Hälfte der Bewohner*innen nie die Komfortzone betreten und um die eigene Daseinsfristung zu kämpfen hat. Anscheinend sind die Musiker mit ihren Luxusproblemen symptomatisch für ein saturiertes Europa, das den Blick auf die Welt vor lauter Annehmlichkeiten verlor. Beier geht noch weiter: Die Tatsache, dass die Musiker die Aufkündigung ihres selbstgewählten Untersichseins beklagen, wird implizit als unhumanistisch und rassistisch angeprangert. Das Ganze hat mit Rassismus überhaupt nichts zu schaffen – wer kennt nicht hiesige Clubs, Vereine und geschlossene Gesellschaften, die fremde, nicht zugehörige Deutsche als Störfaktoren betrachten? Die hauptsächlich ivorischen Performer und Tänzer betreiben eine Hochkunst, sie gehören im Grunde zur Branche der feinnervigen Musiker, deshalb fällt es schwer, ihre Kritik an der abendländischen Lebenspraxis überhaupt ernst zu nehmen. Es gibt kaum ein Argument, dass nicht schon in der um sich greifenden Flüchtlingsdebatte erwähnt worden wäre. Gewiss, neben dem kräftigen, gesundfarbigen Sayouba Sigué sieht Kathrin Wehlisch wie eine an Anämie Leidende aus, die dringend der frischen Luft bedarf. Aber die Wünsche und Vorstellungen der kunsttechnisch versierten Flüchtlinge grenzen teilweise an Werte des Kaiserreichs und der besagten Adenauer-Zeit, die längst überwunden sind. Nacktheit auf der Bühne verbieten – hoffentlich nicht. Die Inszenierung erinnert partiell an aktuelle Zeitungsdebatten, bei der sich forcierte Xenophile, die Fremdheit a priori glorifizieren und verklären, und Super-Humanisten, die, ergriffen von sich selbst, darüber streiten, wer das größere Herz hat. Ohne Zweifel bereichern fremde Menschen und Kulturen Europa – aber manches hört sich für europäische Werte etwas regressiv an. Beiers Inszenierung. die den verzückten Spannkuss der Vorlage vermutlich aus Platzgründen weglässt, ist ein Stück wohlfeiler Kleinkunst, angefüllt mit subtilen Schauspieleinlagen und gelenkigen, eleganten Leibesübungen. Trotz der Berührungsängste hopsen alle Darsteller*innen irgendwann gemeinsam auf der Bühne herum, in scheinheiliger Eintracht. Unterm Strich bleiben leider eine schale Gemütserregungskunst und eine Vielzahl von musterhaften Plumpheiten. Im Grunde ist das ein verschenkter Abend. Das soll das Requiem für Europa sein? Viva? Scheiße!

Schiff der Träume
Ein europäisches Requiem

Nach Federico Fellini
Textfassung: Karin Beier, Stefanie Carp, Christian Tschirner
Regie: Karin Beier, Bühne und Kostüme: Johannes Schütz, Komposition und Musikalische Leitung: Jörg Gollasch, Choreographie 1. Teil: Valenti Rocamora i Tora, Choreographie 2. Teil: Gotta Depri, Sayouba Sigué, Video: Meika Dresenkamp, Dramaturgie: Stefanie Carp, Christian Tschirner.
Mit: Sasha Rau, Sayouba Sigué, Julia Wieninger, Josef Ostendorf, Lina Beckmann, Michael Wittenborn, Gotta Depri, Yorck Dippe, Rosemary Hardy,, Josefine Israel, Patrick Joseph, Jan-Peter Kampwirth, Charly Hübner, Ibrahima Sanogo, Michael Sengazi, Kathrin Wehlisch, Bettina Stucky, Musiker: Ruben Jeyasundaram, Michael Leuschner, Maurice Mustatea, Yuko Suzuki.

Theatertreffen Berlin 2016

Aufführung vom 7. Mai 2016
Dauer: 200 Minuten, eine Pause

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