Der reflektierende Wenzel Banneyer ...

Der reflektierende Wenzel Banneyer über den Puppengesichtern (Bild: © Rolf Arnold)

Ein diffuser Chor singt auf

Der Regisseur Armin Petras wartete während seine Regentschaft am Gorki Theater (2006-2013) mit einigen Ostgeschichten auf. In der Jugend wurde gesoffen, gekotzt und wieder gesoffen. Nur dass bei Petras die Figuren keine klassifizierbaren Typen waren, sondern eigenständige Personen, die eine – wenn auch nur kleine – Entwicklung durchliefen. Anders bei Claudia Bauer. Roman Kanonik, der von Peymanns BE entweder wegexpediert wurde oder flüchtete, läuft hier auf und darf mit schwerer kehliger Stimme herumprollen. Und er singt auch: Kids in America von Kim Wilde aus dem Jahr 1981. Er rotzt das Stück regelrecht heraus, in einem Punk-Stil, der sich auch beim vielköpfigen Chor breit macht. Der trällert sozialistische Aufbauparolen, stürzt sich in die Revitalisierung alter Punk-Hits und macht aus Harmonien scheinbar achtlos Kakophonien. Zunächst in Individualkleidung steckend, trägt der Chor später eine gelbe Einheitskluft, die als Firmenmarketing westlicher Provenienz herhalten soll. Dabei war doch die kollektive Konfektionskleidung ein typisches Phänomen des Ostens. Zu Beginn des Jahres 1990 sind die Fronten klar. Es ist der Chef des Westens, der birnenköpfige Pykniker, den sie haben wollen. Die erste freie Wahl in der DDR am 18. März macht das deutlich. Aber unter der Oberfläche, so Richter/Bauer, gärt es weiterhin gewaltig, aus verspielten, juvenilen Skins wurde eine ausgereifte militante Szene, so dass die verschlafenen kritischen Underground-"Helden" aus ihren Löchern krochen und sich in eine massive Protestbewegung verwandelten.

 

Spektakuläres Herumrühren in der Geschichte

Dass etwa überambitionierte Skins ein Punk-Haus stürmen, das gab es, wie so vieles anderes, auch im Westen. Unter den Händen von Claudia Bauer wird alles zu einem östlichen Alleinstellungsmerkmal, bei dem kräftig illustriert wird, wo der durchdachte Inhalt fehlt. Bauer stellt eine spannungslose Performance her, die durch das Auftreten von maskierten, puppengesichtigen Marsmenschen ihren fragwürdigen Höhepunkt erreicht. So werden in das angebliche Tohuwabohu skurrile Menschen von einer anderen Galaxis hinzugemischt, um noch mehr Fülle aufleuchten zu lassen, damit das beeindruckte Auge mehr Lärm und Geräusche an die Gehirnbahnen weiterleitet. In der Tat ist das Bühnengeschehen ganz nett anzusehen. Es wird bildlich einiges geboten, es wird versucht zu verführen und betören, auch wenn es mal nur hopsende, sich in Verrenkungen ergehende Schauspieler*innen sind, die den Sirenengesang des Chors auf ihre Weise begleiten. Letztlich obsiegt der mit materiellen Verheißungen und Bestechungen arbeitende Westen. Fast will es scheinen, als habe Bauer mit ihrem forcierten Illustrationstheater vor, die heutigen Auswüchse im Osten durch die damaligen Brennherde verständlich machen. Eine Inszenierung ohne Ziel, wenn nicht im spektakulären Herumrühren in der Geschichte das eigentliche Ziel liegt. Eine aufgewühlte, getriebene Generation ohne Plan B, die am Ende das westliche Übernahme- und Kolonisierungsangebot akzeptiert.

 

89/90
Nach dem Roman von Peter Richter
Bühnenbearbeitung von Claudia Bauer und Matthias Huber
Regie: Claudia Bauer, Bühne: Andreas Auerbach, Kostüme: Andreas Auerbach, Doreen Winkler, Komposition und musikalische Leitung: Peer Baierlein, Chorleitung: Daniel Barke, Dramaturgie: Matthias Huber.

Es spielen: Denis Petkovic, Anna Keil, Bettina Schmidt, Wenzel Banneyer, Andreas Dyszewski, Roman Kanonik, Tilo Krügel, Annett Sawallisch. Und ein Chor.

Theatertreffen Berlin 2017, Schauspielhaus Leipzig, Kritik vom 14. 5. 2017.
Nettodauer: 2 Stunden 50 Minuten, Bruttodauer: 3 Stunden 10 Minuten.


 

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