Theatertreffen Berlin 2017: Kritik von "Die Vernichtung" – Ersan Mondtag
Das Konzert Theater Bern stellt sich vor. Eine optische Verzückung mit Techno-Sound. Die vier Schauspieler*innen präsentieren die Null-Dialoge der Gegenwart.Die Arkadien. Heute werden auch Einkaufspassagen danach benannt (Bild: © Birgit Hupfeld)
Die Rolle der Lichtmeister
Im 19. Jahrhundert hätte man von dekadentem Nihilismus gesprochen. Und die Truppe von Regisseur Mondtag, die keine Schutztruppe ist, parodiert im Grunde nur hohles Partygerede von Mitgliedern des Genussbetriebs – und desavouiert damit auch die vulgär-progressiven Käfte der Fernseh-Unkultur. Was sich wie ein sprachliches Unvermögen geriert, ist eigentlich eine uferlose Anprangerung von Menschen, die augrund öffentlicher Desillusionierung ihr Lebenszentrum ins Privatistische verlagern und das Politisieren doch nicht sein lassen können. Und es wird penetriert, dass es nur so kracht. Als wolle man neue Stellungsrekorde erobern. Sex and Drugs and Techno. Das Problem an der durchaus hörbaren Musik ist, dass sie keinem Höhepunkt entgegensteuert und nur eine Verheißung anvisiert, die dann nicht erfüllt wird. Es wird nicht retardiert oder forciert, es bleibt auf einer Ebene. Aber für eine atmosphärische Intensivierung sorgen schließlich die beiden Lichtmeister. Das Licht wird gepixelt, tausend Facetten von Farbsplittern tauchen auf, die rauschhaft wirken, kurz eine Wiedergeburt des Impressionismus und des Pointillismus. Was früher nur bei der Bildenden Kunst sichtbar wurde, ist nun live erlebbar. Ein Effekt, der nicht im Geringsten verschmockt ist und die Sinne im Kantischen Sinne affiziert.
Deleila Piasko, Sebastian Schneider,
© Birgit Hupfeld
Triumph von Ästhetik und Form
Das Bühnenbild ist hervorragend, darüber wurde schon oft geredet. Ein Garden Eden, mit Büsten und Statuen, Romantik pur, inklusive Teich und arrangierten wilden und gezähmten Buschwerken. Dazu die Schauspieler*innen nackt oder nackt verkleidet, ganz den präadamitischen Menschen zurückholend, der in seinen Arkadien das Goldene Zeitalter offeriert, wie es Novalis im "Ofterdingen" auf anderer Ebene versuchte. Irgendwie fühlt man sich an Gottfried Benn erinnert, der, wie es hier auch duchsickert, einen "habituellen Ekel vor den Aktualitäten des öffentlichen Lebens" verspürte. Lassen wir einmal seine geschmacklose anfängliche Anbiederung an den Nationalsozialismus beiseite. Hier geht es um den unpolitischen Artisten, der sein Leben der Ästhetik und der Form widmete. Und das ist Mondtag in Reinkultur: Der Inhalt verschwindet hinter der Form, die Ästhetik verdrängt die pragmatische Wirklichkeit und erzeugt einen Rausch. Dem Regisseur gelingt eine unglaubliche Sublimierung des Lebensgefühls, die jene Zonen erreicht, wo die feinen, sensiblen Senoren sitzen. Dabei fällt die (Selbst)Zerstörung aus resignativen Gründen in sich zusammen. Man mag diese rauschhafte optische Schöngeisterei als Weltflucht einschätzen, doch das Argument ist völlig irrelevant, zumal es in einer ökonomisch saturierten Gesellschaft gespielt wird. Es ist ein großes Kunstwerk. Dank an Ersan Mondtag und sein grandioses helvetisches Ensemble, bei dem vor allem Deleila Piasko hervorsticht.
Die Vernichtung
von Olga Bach und Ersan Mondtag
Text: Olga Bach, Regie, Bühne & Kostüme: Ersan Mondtag, Mitarbeit Bühne & Kostüme: Paula Weltmann, Dramaturgie: Eva-Maria Bertschy, Licht: Rainer Casper & Rolf Lehmann.
Es spielen: Sebastian Schneider, Deleila Piasko, Lukas Hupfeld, Jonas Grundner-Culemann.
Theatertreffen Berlin 2017, Kritik vom 21. Mai 2017.
Dauer: 90 Minuten, keine Pause
Bildquelle:
Ruth Weitz
(Lilli Chapeau und ihr kleinstes Theater der Welt in Miltenberg)