Das Ensemble im Glaskasten

Das Ensemble im Glaskasten (Bild: © Sandra Then)

Gute Laune verfällt in Krach

Im Grunde machen die Figuren viel, aber ihr Alibi-Aktionismus mündet in eine Leere. Nicht ohne Grund werden die Hippies erwähnt, die sich mit ihrem systemkritischen Hängertum bestenfalls zu einer Demo aufraffen konnten, ansonsten verschwanden die ausgeheckten Weltverbesserungspläne in ihren eingeschläferten Gehirnbahnen. Stone, der sogar tschechenische Zustände auf den Plan ruft, entwirft eine Art Groß-WG, wo wild diskutiert und gestritten wird, ohne dass ein szenetypisches Plenum einberufen wird. Die einstige Dienstmagd Natascha (Cathrin Störmer), ans Haus verheiratet und geschwängert, nutzt die schwachen Durchsetzungskräfte von Olga (Barbara Horvath) und Mascha (Franziska Hackl) hemmungslos aus. Während es vor der Pause noch relativ harmonisch abläuft – dank Alkohol, reichlich Dope und demonstrativ guter Laune -, fliegen im zweiten Teil ein wenig die Fetzen. Die Figuren, ganz ohne Ombudsmann, können nicht mehr so richtig miteinander und machen daraus keinen Hehl. Gespeist von einer Sprache, die zwischen der Formulierungsschwäche der Tagesschau und dem laxen Jugendjargon oszilliert, werden kraftvolle Sprüche und Wortmeldungen in den Raum geschleudert. Und wenn es ansatzweise um Kultur geht, fühlt man sich an mental abgestürzte Bildungsphilister erinnert.

 

Der Aktionsdrang verpufft

Das Ganze wird gespielt als Soap-Film für Anspruchsvolle und ausbaufähige Halbintellektuelle. Ein schmuckes TV-Format, geistig durchwirkt und angereichert mit Ingredienzien, die aus einer fragwürdigen Suppenküche das Beste herausholen und inhaltslose Spannung mobilisieren sollen. Immerhin: Es ist durchaus gute Unterhaltung, allerdings fehlen die inspirierenden Denkanstöße komplett. Die Adaption Tschechows mit dem Ziel, das Angedeutete und die melancholische Langeweile in eine kraftvolle Frontalsprache umzumünzen, wird zu einem Produkt gehobenen Amüsements, bei dem man mit Anglizismen durchzogene Redewendungen goutiert, die privat abgelehnt werden. Ins verstaubte Moskau will niemand mehr, die ambitionierten Frauen wollen lieber nach Berlin oder New York, weil beim Rauswollen der wirtschaftlich blühende Westen noch am besten ist. Das Ergebnis ist ein kraftloses Wünschen, eine Veillität. Im Übrigen haben die drei Schwestern, zum Teil gnadenlos im verweichlichten Hexen-Club herumrührend, keine soliden Konturen der Unverwechselbarkeit. Sie besitzen Lungen, die die frische Luft eines Harmoniezustands nicht atmen können. Wie gesagt, das Tschechow-Konstrukt ist ein gelungene Zerstreuung, nett auch und zuweilen charmant, jederzeit konsumierbar und ohne jegliche Langeweile.

 

Drei Schwestern
von Simon Stone

nach Anton Tschechow
Übersetzung aus dem Englischen von Martin Thomas Pesl
Regie: Simon Stone, Bühne: Lizzie Clachan, Kostüme: Mel Page, Licht: Cornelius Hunziker, Musik: Stefan Gregory, Dramaturgie: Constanze Kargl.
Mit: Roland Koch, Franziska Hackl, Liliane Amuat, Cathrin Störmer, Michael Wächter, Elias Eilinghoff, Simon Zagermann, Max Rothbart, Florian von Manteuffel, Barbara Horvath, Nicola Mastroberardino.

Haus der Berliner Festspiele, Eröffnungsinszenierung vom 6. Mai 2017.
Dauer: 2 Stunden 45 Minuten, inklusive Pause


 

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