Die Kopie auf der Bühne...

Die Kopie auf der Bühne... (Bild: © Reinhard Werner)

Auf der Suche nach psychischer Stabilität

Mit Tischtennis-Bällen kann man, wie wir sehen, so einiges anstellen, sie dienen etwa als Schmetterbälle und Wurfgeschosse, eignen sich aber auch vorzüglich zum Zertreten und Zerbeißen. Was passiert sonst noch an schöpferischen szenischen Kapriolen? Meyerhoff, der gern butter- und erdnussfarbene Kleidung trägt, spinnt sich selbst ein in ein Fadengewirr, das zu einem Metapher-Knast wird. Er zieht Woll-Fäden (Ariadne-Faden passt nun mal gar nicht) um sich herum und wird zu einer Fliege im Spinnennetz. So fühlte sich Melle auch oft, wie er in seinen Bekenntnissen offenbart. Trotz erster literarischer Erfolge wähnt er sich als Underdog des literarischen Establishments, unterdrückt gar von den "Großen", und er wartet mit wenig schmeichelhaften Anekdoten über entfernte Kolleg*innen auf. Er möchte dazugehören, ihm fehlt aber zunächst die Anerkennung, das wohlwollende Schulterklopfen. Um das alles zu illustrieren, hängt sich Meyerhoff an ein selbstgebasteltes Kreuz, das wie eine sogar Menschen verschreckende Vogelscheuche aussieht. Meyerhoff ist im Grunde kein repräsentativer Melle-Darsteller: Selbst in den dunkelsten Phasen glaubt man kaum, dass dieser Power-Typ einmal vollends abrutscht und zugrunde geht. Um der Wahrheit die Ehre zu geben: Viel ist hier nur Show, die Zuschauer*innen erleben eine exaltierte, exzentrische, ja egomanische Selbstinszenierung, die mit eben dem Publikum kokettiert. Und dabei geht es der Originalperson manchmal etwas dreckig. Immerhin funktioniert jetzt die erhoffte Aufmerksamkeit.

 

Der Echte

© Udoweier / Wikipedia

 

Eine geräuschvolle Inszenierung

Wenn das Ganze auf manische Intermezzos zusteuert, gebärdet sich der Schauspieler extrem ausgelassen und geht dazu über, Leute in der ersten Reihe zu beschimpfen. Ist das eine Einbeziehung ins Spiel? Nun, diese Leute zahlen 50 Euro für ihre Eintrittskarte und möchten wahrscheinlich nur in Ruhe gelassen werden und zugucken, weil sie vielleicht bühnenuntauglich und keine Darsteller*innen sind. Völlig überdreht verkündet Meyerhoff/Melle einen hinreißenden Sex mit Madonna, bevor er sich wieder in sein Schneckenhaus verkriecht. Aus einer extrem kritischen, suizidgefährdeten Situation rettet ihn ein Song der Popmusik-Band Abba. Der heilige Geist hätte es vermutlich auch getan. Eine sehr geräuschvolle Inszenierung also. Wer allerdings hohe Schauspielkunst sehen möchte, kommt schon auf seine Kosten. Der Autor schreibt, dass er mit seiner lang anhaltenen Krankheit die Jahreskarte gezogen hat – in dieser Darstellung ist es die Arschkarte. Und die gesamte Hausbibliothek, die Melle im Jahr 2006 in einem Gefühl maßlosen Überschwangs verschleudert hat, ist bestimmt erneuert worden.

 

 

Die Welt im Rücken
nach einem Roman von Thomas Melle
Regie: Jan Bosse, Bühne: Stéphane Laimé, Kostüme: Kathrin Plath, Musik: Arno Kraehahn, Licht: Peter Bandl, Dramaturgie: Gabriella Bußacker.
Mit: Joachim Meyerhoff.
Eine Inszenierung des Wiener Burgtheaters, 11. März 2017

Haus der Berliner Festspiele, Aufführung vom 20. Mai 2018

Dauer: 2 Stunden 50 Minuten, eine Pause

 

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