Auf der Suche nach dem Glück

Auf der Suche nach dem Glück (Bild: © Sandra Then)

Die Handlung wird gedehnt herausgesprochen

Das ganze Ensemble bewegt sich auf der den Bühnenraum ausfüllenden Scheibe, als seien alle Personen in dieses rabiate Gesellschaftssystem irreversibel verstrickt, ob sie wollen oder nicht. Nach der Pause sind alle Schauspieler*innen an Seile gekettet und der arme Woyzeck (Nicola Mastroberardino) steht hilflos in der Mitte. Sie hängen nicht an der Flasche, sondern an Seilen, ohne – im Jelinek-Stil – an alten Seilschaften zu hängen. Die sind auch längst brüchig geworden und wollen lediglich im Überlebenskampf die eigene Haut retten. Ulrich Rasche inszeniert nicht, er arrangiert – ein Kollektivtheater, das den Individualismus beinahe auslöscht. Die Handlungen werden nicht gespielt, sondern herausgesprochen, auf dass sich das Geschehen dadurch erklären lasse. Wir hören ins Uferlose gedehnte Silben, damit auch jeder die vorzüglichen zungengetrimmten Phoneme und Morpheme heraushört. Man könnte als Rezipient zwischen den Zeilen lesen, doch die sprachpausenfreudige Regie hält das für nicht notwendig. Eigentlich sind alle Moribunde, in Agonie Liegende – die Vorgesetzten haben es noch nicht gemerkt. Aber alle ringen um ihr Recht im Leben. Mit Marie (Franziske Hackl) gelingt Rasche das Kunststück, eine arme Seele als Opfer der Verhältnisse darzustellen. Denn mit diesem Woyzeck zu leben ist nicht gerade gemütlich. Seine notorische Unterdrückung führt zum Gedanken an Nemesis, und die führt er auch gnadenlos aus. Nicht durch eine Aussprache, sondern durch Blut. Er ist kein Widerstandskämpfer, er befindet sich im freien Fall. Ein Erbsenkracher, ohne die Erbsen zu sehen oder zu zählen. Ein Milieugeschädigter? Mitnichten.

 

Langeweile und Rauschzustände

Bei Rasche sind alle Opfer, selbst die Täter. Das erinnert in fataler Weise an die 80er-Jahre der BRD, als linke Sozialpädagogen wie Pilze aus dem Boden schossen, um bei grausamen Tätern das "falsche" Milieu in die Verantwortung zu ziehen. Der Mensch als Opfer der kruden Gesellschaft – so einfach ist es denn doch nicht. Es gibt immer noch eine Menge Menschen, die trotz privater Dauerfehden und staatlicher Repressionen friedlich dahinleben und eine innere Kraft haben. Ulrich Rasche macht, bildlich gesprochen, alle zu Mördern, dabei sind sie nur arme Kreaturen, die sich mit dem langen Buschmesser durch den Dschungel schlagen wollen. Im Grunde ist Rasche ein typischer Vertreter der Politik – er spaltet so gern. Nach der Pause haben etliche Zuschauer*innen den Saal verlassen, der verbliebene Riesenrest wollte bei der Akklamation nicht mehr aufhören. Immerhin, und das muss man Rasche zugestehen: Er hat eine gewaltige Suggestivkraft. Seine Monotonie erzeugt zuweilen Rauschzustände. Weil alles bis ins Detail hinein modifiziert wird, ohne den Text zu verraten. Es war bemerkenswert: Insofern ist die Einladung zum Theatertreffen gerechtfertigt.

 

Woyzeck
von Georg Büchner
Inszenierung und Bühne: Ulrich Rasche, Bühnenbildmitarbeit: Sabine Mäder, Komposition: Monika Roscher, Sounddesign: Alexander Maschke, Kostüme: Sara Schwartz, Licht: Cornelius Hunziker, Chorleitung: Toni Jessen, Dramaturgie: Constanze Kargl.
Mit: Florian von Manteuffel, Franziska Hackl, Nicola Mastroberardino, Barbara Horvath, Toni Jessen, Justus Pfankuch, Max Rothbart, Thiemo Strutzenberger.
Dauer: 3 Stunden und 10 Minuten, eine Pause

 

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