Vor der Menschwerdung

Vor der Menschwerdung (Bild: © Jean-Pierre Estournet)

Falsche Hormone

Als der Hund endlich zum kompletten Menschen wird, zeigt sich schon bald seine wahre Natur. Der von Nelson Leon gespielte Sharik, ungepflegt und schmierig, erweist sich als ein Raubein, das sich ohne Feingefühl und Schliff derb und laut gebärdet und sogleich übertriebene Forderungen stellt. Die Kombination von wildem Tier und verwahrlostem Herumtreiber hat sich als Fehlschlag erwiesen, wahrscheinlich werden in der Hirnanhangdrüse zu viele oder falsche Hormone ausgeschüttet. Der wiederauferstandene Kriminelle macht nun das, was er am besten kann und als sein genuines Handwerk versteht: Saufen, Stehlen und Frauen mit ungestümer Leidenschaft belästigen. In der Wohnung/Praxis bewegt sich beispielsweise unausgesetzt die Haushälterin Zina (Polina Borrisova), die alles mit übergroßer Gestik absolviert und insgesamt zu viel chargiert. Da die Erzählung Mitte der 1920er-Jahre in Moskau spielt, könnte man nun die Konfrontation eines Proletariers mit einem bourgeoisen Chirurgie-Professor (David Johnston) vermuten. Erhärtet wird ein solches Vorhaben durch das Erscheinen dreier Vertreter des organisierten Proletariats (Polina Borrisova, Rob Wyn Jones, Richard Henschel), die stark zum großbürgerlichen Professor kontrastieren. Aber eine plakative Gegenüberstellung ist das nicht unbedingt, zumal sich die unerwünschten Gäste hauptsächlich für den neuen Mitbewohner interessieren.

 

Das Experiment scheitert

Bulgakows Erzählung enthält relativ offene und versteckte Sozial- und Gesellschaftskritik, die vor allem auf einen wachsenden Bürokratismus abzielt, der die alten sowjetischen Ideale verdrängt und kleinkapitalistische Elemente einführt. In dieser Inszenierung ist davon nicht allzu viel zu spüren, die Regie (Margarete Biereye, David Johnston) kapriziert sich mehr auf den Versuch, einen neugeschaffenen Menschen darzustellen, der unter therapeutischer Begleitung sozialisiert werden soll, damit er im Strom der vorbildlichen Sowjetmenschen mitschwimmt. Das Experiment scheitert kläglich, da helfen weder Aufklärung noch Indoktrination seitens der Kleinfunktionäre. Als Sharik immer größere Ansprüche geltend macht und er einen Job als Katzenfänger erhält, bei dem er nebenher in entfesseltem Überschwang Frauen hinterherjagt, platzt dem enervierten Professor der Kragen: Die Umwandlung wird rückgängig gemacht, der nun friedliche Hund fristet von nun an ein behagliches, aber langweiliges Leben in der geräumigen Arzt-Wohnung. Insgesamt ist es eine leichtfüßige, verspielte Inszenierung, die nie in Monotonie abgleitet und ohne unnötigen Schmock auskommt. Das Team von Ton und Kirschen zeigt, wie man mit wenigen und einfachen Mitteln eine mehr als ansehnliche Bühnenatmosphäre hervorbringen kann. Hervorzuheben ist vor allem David Johnston, der in seiner Rolle als innovativer Professor durch eine wandlungsfähige Gesichts- und Gebärdenkunst beeindruckt.

Hundeherz

von Michail Bulgakow

Inszenierung von Margarete Biereye und David Johnston; Bühnenbild/Licht: Daisy Watkiss; Sound: Regis Gergouin; Konstruktionen: Regis Gergouin, Nelson Leon, Daisy Watkiss; Marionetten: Nelson Leon, Daisy Watkiss.

Mit: David Johnston, Margarete Biereye, Daisy Watkiss, Rob Wyn Jones, Nelson Leon, Polina Borrisova, Richard Henschel.

Ton und Kirschen

Berlin-Premiere vom 19. August 2015

Ufa-Fabrik Berlin, Viktoria Str. 10-18, 12105 Berlin

Dauer: ca. 1 Stunde, 20 Minuten

 

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