Polina Borissova, vom Liebespfeil ...

Polina Borissova, vom Liebespfeil durchbohrt (Bild: © Jean-Pierre Estournet)

Man nähert sich unkonventionell

© Jean-Pierre Estournet

 

Ein Bilderbuch: Eine Szene jagt die andere

Es ist nicht leicht, Shakespeares Sonette auf die Bühne zu bringen. Der große Theaterdichter plante kein einheitliches, in sich geschlossenes Konzept. Ton und Kirschen machen den Fehler, die vorhandenen Fragmente noch weiter zu zerstückeln. Selbst Bruchstücke werden in noch kleinere Einzelteile zerlegt. Aber nicht neu zusammengebaut, und das wäre eine erfrischende Innovation. Die Schauspieler*innen rund um die Macherin Margarete Biereye glauben an die Strahlkraft von ästhetisch aufgeladenen Blöcken, so wie sich naturwissenschaftliche Forscher für die Eigentümlichkeiten von erratischen Blöcken interessieren. Im Anfang ist eine fundamentale Wasserwaschung. Dann erfolgt Gesang, im Anschluss eine Besenreinigung. Neue Besen kehren gut: Ein Teamworker, der eigentlich die ganze Zeit über am Mischpult sitzt, um die Kontrolle über die Musik zu behalten, befreit untheatralisch die Bühne von Staub. Der Ring ist frei für zwei Männer, die in Streit geraten, was zur Folge hat, dass einem von den beiden beiläufig der Hintern versohlt wird. Da Ton und Kirschen Shakespeare sozusagen neu übersetzen, ist das keine SM-Szenerie, sondern eine Bebilderung kraftvoller männlicher Konflikte. Im Übrigen wird auch die vierte Wand durchbrochen: Ein mit tiefdunkler Nickelbrille ausgestatteter alter Mann im Rollstuhl rollt ins Publikum, und zwei ausgewählte Zuschauer dürfen ihn zurück auf die Bühne schieben. Zwischen den Szenen immer wieder Solo- und Chorgesang mit sparsamer Instrumentierung. Irgendwann ertönt auch ein Tavil, eine indische Trommel, die leider nicht von Paramashivam Pillai auf rhythmischem Hochniveau bearbeitet wird.

 

Margarete Biereye

© Jean-Pierre Estournet

 

Wir machen auch Musik

Die Akustik ist schlecht, vor allem, wenn man sich bei freier Sitzwahl nicht rechtzeitig einen guten Platz erobert hat. Man liebt es international, man zeigt sich multilingual. Das ist durchaus zu begrüßen, jedoch ist es zuweilen schwierig, sobald die Akteur*innen das Englische verlassen und keine elektronische Synchronisierungstafel vorhanden ist. Nun, auf die Texte kommt es in diesem Bebilderungstheater gar nicht so sehr an. Aber bleiben wir bei den Texten. "Die Liebe ist aus Trümmern aufgebaut, sie gewinnt an Schönheit". Das klingt wie eine Revitalisierung der DDR-Nationalhymne von Johannes R. Becher. Doch man denkt weiter, zieht noch weitere Register der obsessiven Verehrungen und Liebesgrabenkämpfe: "Du liebst sie ja nur, weil ich sie liebe". Und: "Gegen Selbstliebe gibt es kein Kraut", dazu ertönt kapellenartige Blasmusik. Gegen derartige Plattitüden ist wahrlich kein Kraut gewachsen, eben ein bisschen Shakespeare, der das alles in schönere Worte gekleidet hat. Komischerweise hängen von einem Teil der dachartig überwölbten Bühne geflochtene Seile herunter. Was die zu bedeuten haben, weiß nur die Theatertruppe. Immerhin lässt sich solch ein Seil zum Tauziehen verwenden, eine Fesselungskunst wird auch eingebunden. Manchmal entsteht der Eindruck, als würden das Sinnliche ansprechende Rituale inszeniert. Ein Steinklumpen wird auf einen Stuhl gesetzt und verdreckte Männerstiefel wandern ohne Einwirkung gleichsam magnetisch über die Bühne. In summa: Die Liebe ist ein schönes, aber hartes Geschäft. Wer keine feine Sensorien besitzt und nicht aus dem eigenen Innern schöpfen kann, bekommt durch die rosenoffensive, marionettenintensive Bilderflut einiges geboten, auf dass die im Alltag gelähmte Phantasie Flügel bekomme. Es ist durchaus ersprießlich, den spätsommerlichen Übergang vom Tag zur Nacht durch kunstambitionierte Theaterhandwerker erleben zu können. Das Shakespeare-Projekt ist noch erträglich. Am besten sind diesmal die Frauen: Margarete Biereye und Polina Borissova.

Shakespeares Sonette

ufaFabrik Berlin

Aufführung vom 24. August

Künstlerische Leitung: Margarete Biereye, David Johnston, Kompositionen: Steve Johnston, Bühne/Requisiten/Marionetten: Daisy Watkiss, Nelson Leon.

Es spielen: Margarete Biereye, Polina Borissova, Regis Gergouin, Richard Henschel, David Johnston, Steve Johnston, Rob Wyn Jones, Nelson Leon, Daisy Watkiss.


 

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