Die geschichtlichen Hintergründe: Zwei Nationen – ein Volk

Brüder? Ja, denn tatsächlich verfügen beide Nationen über einen gemeinsamen Ursprung. Ein Großteil der heutigen deutschen und französischen Territorien gehörten einst zum Frankenreich unter Karl dem Großen. Dieser hatte das bereits unter seinen Vorgängern ständig gewachsene Herrschaftsgebiet nochmals erheblich ausweiten können. Entstanden war auf diese Weise ein Vielvölkerstaat. Gemäß fränkischer Sitte plante Karl der Große, nach seinem Tod die Herrschaft auf alle legitimen Söhne gleichermaßen aufzuteilen. Doch als der Kaiser 814 starb, lebte von den potenziellen Erben nur noch Ludwig der Fromme, welcher somit die Alleinherrschaft antrat.

Dieser strebte nunmehr die Erhaltung der Reichseinheit an und bestimmte daher bereits 817 seinen ältesten Sohn Lothar zum Alleinerben und Mitkaiser, während die jüngeren Söhne Pippin und Ludwig der Deutsche (!) mit kleinen Teilherrschaften abgefunden wurden. Die Geburt eines vierten Sohns verkomplizierte die Lage, da dessen Erbansprüche zu Lasten der älteren Brüder gingen.

In der Folge kam es zur faktischen Entmachtung des Kaisers durch seine Söhne, welche ihre Machtansprüche in wechselnden Allianzen ausfochten. Das fränkische Imperium erlebte eine über mehrere Generationen andauernde Folge von Erbteilungen, aus welchen sich letztendlich das ostfränkische und das westfränkische Reich herausbildeten. Aus dem westfränkischen Gebiet entstand schließlich der Staat Frankreich, während Ostfranken zum "Heiligen Römischen Reich deutscher Nation" wurde.

Trotz ihrer geografischen und historischen Nähe gingen beide Staaten doch zunehmend unterschiedliche Wege. Frankreich wurde beispielsweise zu einer Bastion des Katholizismus, ohne deshalb in Abhängigkeit zum Papst zu geraten. Im Gegenteil: Zeitweilig fungierte das französische Avignon sogar als Residenz geflüchteter Päpste. Religiös abweichende Ideen traten in Frankreich zwar häufig zu Tage, konnten unter der dort herrschenden, restriktiven Religionspolitik jedoch Jahrhunderte lang nicht Fuß fassen.

Ganz anders Deutschland: Hier entstand in der Reformationszeit der Protestantismus. Seine Ausbreitung führte schließlich zum 30-jährigen Krieg, dessen anfänglich religiös motivierte Schlachten wiederum auf deutschem Boden ausgefochten wurden. In deutsche Gebiete flüchtete zudem ein Großteil der von Frankreich verfolgten Protestanten.

Erstaunlich ist auch die völlig unterschiedliche Entwicklung der Sprachen in den beiden Teilen des ehemaligen Franken-Imperiums. Während das Deutsche durch slawische, angelsächsische und nordische Einflüsse profiliert wurde, integrierte sich die ursprünglich ebenfalls nordisch geprägte Sprache der Franzosen zunehmend in den klanglich ansprechenderen Romanischen Sprachkreis.

Noch krasser driftete die Entwicklung der ehemaligen Reichsteile auf politischem Gebiet auseinander. Dank einer nicht immer feinfühligen Vorgehensweise gelang es den französischen Herrschern, eine beständig erstarkende Zentralgewalt zu schaffen, welche sich sogar mehrfach bestimmend auf die englische Thronfolge auswirkte.

In Deutschland hingegen nahm die zentralistische Gewalt der Könige und Kaiser stetig ab. Im Laufe der Jahrhunderte entstand so ein Flickenteppich kleinster Fürstentümer, welche sich politisch und kulturell paradoxerweise ausgerechnet am französischen Vorbild orientierten. Dies sollte sich als verhängnisvoller Umstand erweisen:

Im ersten großen Konflikt zwischen Frankreich und Deutschland, den napoleonischen Feldzügen, brillierte zunächst der französische Imperator (nicht zuletzt dank der Zersplitterung des Deutschen Reiches), ehe er durch vereinte Streitkräfte aus ganz Europa besiegt werden konnte.

Falscher Patriotismus und gewollte Missverständnisse auf beiden Seiten bildeten schließlich auch den Nährboden für drei weitere Kriege zwischen den ungleichen Brüdern: 1870 ließ sich der französische Kaiser Napoleon III. (von Bismarck provoziert) zu einem Krieg gegen Deutschland hinreißen. Er verlor dadurch Krone sowie Freiheit und starb in Gefangenschaft. Das deutsche Reich jedoch erlebte noch einmal ein ungeahntes Erstarken, was schließlich wesentlich zum Ersten Weltkrieg beitrug. Diese Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts ließ im Ergebnis wiederum die Voraussetzungen für den zweiten, weltweiten Krieg entstehen.

In beiden Konflikten gehörten Deutsche und Franzosen nicht zu den Siegern. Militärisch war jeweils erst Deutschland im Vorteil, anschließend befreite sich Frankreich durch die Hilfe seiner Verbündeten. Verlierer dieser Kriege waren aber letztendlich beide Staaten, denn wirtschaftlich und politisch profitierte vor allem die USA von den innereuropäischen Zerwürfnissen.

Europas Historie hätte sich also vermutlich ganz anders gestaltet, wenn Frankreich und Deutschland ein großes, gemeinsames Frankenreich geblieben wären. Dass sich die kontinentale Geschichte dadurch positiver entwickelt hätte, darf allerdings getrost bezweifelt werden.

Laden ...
Fehler!