Lügenpresse ist nicht neu

Es ist nicht neu, dieses Unwort 2014 "Lügenpresse". Schon in den 20er Jahren wurde es benutzt. Der Erste Weltkrieg brachte den Begriff in Umlauf. Mit den Nationalsozialisten erlebte er einen neuen Aufschwung. Das Wort Lügenpresse verunglimpfte Andersdenkende. Unabhängige Medien, solche, die nicht in deren Sinne berichteten, wurden pauschal von den Nationalsozialisten diffamiert. Und heute? Jeden Montag gehen Tausende auf die Straße, Anhänger der Pegida und inzwischen ebenso Gegner. Auf den Pegida-Demos sind Plakate zu lesen "Lügenpresse". Was macht das deutlich? Ist es der Vorwurf, von zu viel Meinungsfreiheit oder zu wenig? Es ist wohl eher das Zweite gemeint. Die Pegida-Anhänger glauben nicht mehr an unabhängige Medien. 

Somit hat das Wort "Lügenpresse" im Laufe eines Jahrhundert einen Wandel von einer Bedeutung zur genau gegenteiligen erfahren. Erst wurde damit eine unabhängige, den Nationalsozialisten nicht genehme Presse beschimpft, heute ist es das Gegenteil. Die, die dieses Wort verwenden, unterstellen der hiesigen Presse, sie hätte ihre Unabhängigkeit aufgegeben. Ihr wird unterstellt, ihre Berichterstattung nach der jeweiligen Regierung auszurichten.

Kann eine Zeitung immer die Wahrheit schreiben?

Das Wort "Lügenpresse" selbst kann ganz verschieden verwendet werden, je nachdem welche Seite es für seine Zwecke nutzt. Mal ist es nur ein kleiner Teil der Medien, der von bestimmten Kreisen verunglimpft wird, mal ist es die breite Masse, die alles in einen Topf wirft. Unabhängig davon, wie dessen Bedeutung interpretiert wird, es diffamiert Journalisten, Redakteure, Herausgeber. Sicher gab es und gibt es zu jeder Zeit Meldungen, die bewusst oder unbewusst falsch sind. Über manches wird lieber nicht berichtet, andere Dinge werden aufgebauscht. Dennoch halte ich es für falsch, unsere Presse allgemein als Lügenpresse zu bezeichnen. Wenn Journalisten über Dinge berichten wollen, die bestimmten Kreisen nicht recht sind, werden sie oft ausgebremst. Dann werden Interviews verweigert, der Zugang ins Archiv ist nicht möglich, Firmengelände werden bewacht, der Blick hinter die Kulissen ist nicht möglich. In solchen Fällen kann eine Zeitung nicht berichten, wie sie möchte. Es sind höchstens Vermutungen möglich. Beweise fehlen.

Es liegt in der Hand der Leser, Gelesenes zu hinterfragen, weitere Informationen zu suchen und sich eine eigene Meinung zu bilden. Wir leben in einer Informationsgesellschaft. Wissen ist Macht. Nichtwissen macht nichts? Vielleicht ist dies die Crux der Medien. Manchen Kreisen ist es enorm wichtig, dass der normale Bürger nicht alles weiß. Dieses Nichtwissen ist dann mehr als erwünscht und wird verteidigt. Die Presse schafft es nicht immer, diese Kreise zu durchbrechen. Das bedeutet jedoch, dass die Kritik nicht nur die "Lügenpresse" treffen sollte, sondern besonders die, die einen Nutzen daraus ziehen.

Ist Weglassen eine Lüge und wer bezahlt für gute Berichte?

Ich unterstelle hier einmal, dass längst nicht alle, die die Zeitung als Lügenpresse bezeichnen, tatsächlich regelmäßig Zeitung lesen. In Zeiten des Internet kann sich jeder seine gesuchte Informationen aus dem Netzt holen, möglichst kostenlos. Berichte, die für das Internet geschrieben werden, sind oft gekürzt, sprich leserfreundlich für das Medium Internet aufbereitet. Sie sind bildlastig und mit immer weniger Text gestaltet. Große Zeitungen mit ausführlichen, langen Berichten, kämpfen mit immer geringeren Leserzahlen. Diese bestimmen aber, was sich eine Redaktion leisten kann. Die Auflagen der Tageszeitungen sinken, was dazu führt, dass ihnen weniger Geld für eine gute Berichterstattung zur Verfügung steht. Oft ärgert es mich, wenn ich sehe, eine Seite wird mit einem großen Foto ausgefüllt und darum herum ordnet sich ein wenig aussagender Text an. Informationen zu besorgen kostet Geld, Klatsch und Tratsch sind vermutlich leichter zu bekommen. Und der Leser wünscht es so. Oder nicht? 

Das Unwort 2014 "Lügenpresse" macht deutlich, dass unsere Medien kritisch betrachtet werden. Es ist aber zu einfach, die Presse zu kritisieren und dann alle Informationen möglichst kostenlos im Netz lesen zu wollen. Es ist unfair, Zeitungen zu beschimpfen, ohne diese zu lesen. Viele nutzen das Fernsehen als Quelle für tägliche Nachrichten. Ich unterstelle also noch etwas: das Unwort "Lügenpresse" schließt dieses Medium mit ein. Begrifflich ist das nicht korrekt, so wie das Wort "Lügenpresse" an sich.

Wörter und Unwörter der letzten Jahre

Schon immer hat mich die Wahl der entsprechenden Wörter interessiert. Sie zeigen, was in den jeweiligen Jahren aktuell war. Neben dem Wort und Unwort gibt es weitere Begriffe, die gekürt werden. Das Jugendwort zum Beispiel oder auch der Satz des Jahres. Es ist spannend, in diesen auserwählten Begriffen zu stöbern. 

Als Unwort wird ein Begriff gewählt, der entweder die Menschenwürde verletzt, gegen das Prinzip der Demokratie verstößt, ein Begriff der einzelne Gruppen diskriminiert, oder ein euphemistischer Ausdruck (Glimpfwort, Hüll- oder Hellrot, Beschönigung, Verbrämung).

Zum Wort des Jahres wird ein Wort gekürt, das für das betreffende Jahr signifikant ist. Ein populäres Wort, das nicht etwa am häufigsten gebraucht wurde, aber eines das sehr treffend ist. Es trifft den Nerv des Jahres und kann daher als Beitrag zur Zeitgeschichte betrachtet werden.

Unworte des Jahres

  • 2014 - Lügenpresse
  • 2013 - Sozialtourismus
  • 2012 - Opfer-Abo
  • 2011 - Döner-Morde
  • 2010 - alternativlos
  • 2009 - betriebsratsverseucht
  • 2008 - notleidende Banken
  • 2007 - Herdprämie
  • 2006 - freiwillige Ausreise
  • 2005 - Entlassungsproduktivität
  • 2004 - Humankapital
  • 2003 - Tätervolk
  • 2002 - Ich-AG
  • 2001 - Gotteskrieger
  • 2000 - national befreite Zone

Worte des Jahres

  • 2014 - Lichtgrenze
  • 2013 - GroKo
  • 2012 - Rettungsroutine
  • 2011 - Stresstest
  • 2010 - Wutbürger
  • 2009 - Abwrackprämie
  • 2008 - Finanzkrise
  • 2007 - Klimakatastophe
  • 2006 - Fanmeile
  • 2005 - Bundeskanzlerin
  • 2004 - Hartz IV
  • 2003 - das alte Europa
  • 2002 - Teuro
  • 2001 - der 11. September
  • 2000 - Schwarzgeldaffäre
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