Volksbühne Berlin

© Steffen Kassel

Kollektionsware und Schattenfiguren

Lustig soll es bei Fritsch immer zugehen. Er kann für sich in Anspruch nehmen, den letzten Ernst aus dem Theater vertrieben zu haben. Selbst wenn alles dem Untergang geweiht ist, wird den Zuschauern suggeriert, dass es sich um eine durchaus heitere Angelegenheit handelt. Fritsch hat eine neue Nihilismus-Offensive gestartet, sie aber dermaßen verbrämt und künstlerisch verzuckert, dass sie als solche gar nicht wahrnehmbar wird.

Auf der in Rot getauchten Bühne stehen lediglich ein Grammphontrichter und eine Treppe, die irgendwann abbricht und ins Nichts führt. Hier zeigen sich die sieben Schauspieler in unterschiedlichen Glitzerkostümen und mit präparierten Hochglanz-Gesichtern, die wie eingeriebene Puppen schimmern. Obwohl die Figuren noch über eine eigene Identität zu verfügen scheinen, wirken sie wie Kollektionsware, die man ins Schaufenster stellt. Sie stehen auf der Treppe, Einzelne verschwinden wieder oder wechseln die Stelle. Irgendwann liegen alle auf dem Rücken und zappeln mit ihren Armen und Beinen, mit dem Effekt, dass ihre Schatten quasi über ihnen schweben. Die Schattenfiguren sehen aus wie kleine Krabbeltiere, die mit den Armen rudernd an der Decke hängen und auf Beute lauern.

 

Dada-Erzählungen ohne Reverenz

Vier Musiker sorgen mit ihren Instrumenten (Keyboard, Xylophon, Schlagzeug) für atmosphärische Untermalung und Verstärkung. Einmal hört sich das Ganze an wie der Soundtrack zu einem US-Römerfilm der 60er-Jahre, der mit viel Pathos und Spannung aufgepumpt ist. Ansonsten beschränken sich die Musiker auf die begleitende Vertonung, ohne zu sehr in den Vordergrund zu drängen. Nach einer Weile wechseln die Schauspieler ihre Kleidung, sie treten in mausgrauen Anzügen auf und tragen Pilzköpfe, als handele es sich um ein Bündel ein und dergleichen Person, die sich künstlich vermehrt hat. Axel Wandtke beispielsweise ist nur wegen seiner Größe zu erkennen, vielleicht noch wegen der nicht mehr sehr juvenilen Gesichtszüge. Die Zeit der großen Geschichten beginnt: Ob eine angebissene Birne, eine Frau mit Nierenproblem oder ein umherirrender Karl - alles wird nur in Fetzen dargeboten, ohne Sinn und Zusammenhang. Dada-Erzählungen ohne Reverenz, die eigentlich nur durch die Erzählweise lebendig werden. Der vollkommene Triumph der Form (und damit des Tons) über den Inhalt. Manche Zuschauer scheinen nach einem Schimmer von Sinn zu haschen und sind zufrieden, sobald einmal im Dschungel des Unverständlichen ein richtiger Satz vorkommt. Aber wer kann mit "Karl ist aus sich herausgefallen, jetzt ist Karl in Karl..." etwas anfangen? Die Figuren tanzen in den Abgrund, dahin, wo alles gleich wahr oder falsch ist - und Herbert Fritsch macht daraus eine Show. Sind wir nicht alle Mitglieder des Unterhaltungsbetriebs? Der Regisseur fügt revueartig Szene an Szene, so dass man hinterher darüber reflektieren kann, welche einem am besten gefallen hat. In der dekorativen Verpackung des Nichts ist Fritsch zweifelsohne ein Regisseur ungewöhnlichen Ranges. Er hat einen typischen Inszenierungsstil, in dem das alte Strickmuster stets als etwas Innovatives präsentiert wird. Dennoch zeigt Fritsch im Vergleich zu seinen früheren Arbeiten Abnutzungserscheinungen, das neue Werk fällt etwas ab, als habe man es schon einmal gesehen, nur eben anders.

der die mann
nach Texten von Konrad Bayer
Regie und Bühne: Herbert Fritsch, Kostüme: Victoria Behr, Licht: Torsten König, Musikalische Leitung: Ingo Günther, Dramaturgie: Sabrina Zwach, Orchester: Ingo Günther, Michael Rowalska, Taiko Saito, Fabrizio Tentoni.

Mit: Annika Meier, Ruth Rosenfeld, Florian Anderer, Hubert Wild, Axel Wandtke, Jan Bluthardt, Werner Eng.

Volksbühne Berlin

Uraufführung vom 18. Februar 2015
Dauer: ca. 100 Minuten, keine Pause

 

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