Der unermüdliche Turbo Daniel Zillmann

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Die Technik des Verschneidens

Castorfs Musikgeschmack ist schlechter geworden. Da geht ja noch hin, wenn er nur nicht wieder die elenden Sitzsäcke ausgepackt hätte, die einen, sofern die Vorsitzer etwas nachlässig sind, förmlich einquetschen können. Die Bühne von Nina von Mechow? Ein langer Korridor in der Mitte, der bis ins Publikum reicht, vollgestellt mit Möbeln und Requisiten, fast wie ein Paravent. Der verschwenderische Castorf, dem die Selbstdisziplin Thomas Manns abgeht und der seine Energien in alle Richtungen wahllos verpulvert, konnte nicht anders, als "Ein schwaches Herz" mit anderen Projekten zu verschneiden. "Bobok" ist eine interessante Erzählung aus Dostojewskis Spätphase. Wir sehen einige Figuren, wie sie auf dem Boden liegen und Altherrengeschwätz daherplappern. Es sind Verstorbene, die auf einem Friedhof von einem Lebenden belauscht werden. Die Stimmen, die aus den Gräbern emporkrächzen, sind spöttisch, man stellt sich ein sardonisches Lächeln vor. Das ist nicht schlecht gemacht – leider viel zu kurz. Hinzu kommt noch der Film "Iwan Wassiljewitsch wechselt den Beruf", wo Iwan Wassiljewitsch IV., bekannt auch als Iwan der Schreckliche, mittels Zeitmaschine in die Gegenwart gestrahlt wird. In Angelegenheiten der variantenreichen Foltertechniken war er größer als jeder Großinquisitor. Der Omsk-Import Margerite Breitkreuz erledigt diesen Beam-Job, zuweilen mit großen Augen, nicht halb abgesperrt wie bei Kuttners "Ach, Volk, du obermieses".

 

Das Herz ist wirklich zu schwach

Der Autodidakt und Sauna-Fan Frank Büttner brüllt wieder einmal, dass es gerade so kracht. Er gehört, richtiger: gehörte zum Inventar und ist mehr als ein Pfosten, der ohne Vorbereitung aus dem Straßenbild herausgerissen wurde. Auch Kathrin Angerer kann Brüllen, teilweise mit Dissonanzen, die sich mit der – selbstverständlich aus Versehen - eingestreuten Bühnen-Kakophonie vermischen, und geht dann in ein bizarres Lispeln über. In der Tat, der regieführende Altmeister lässt viel sinnlos verspielten Leerraum und Dusrstrecken aufquellen – von Zeitmanagement hatte er noch nie eine Ahnung. Der leuchtende Dostojewski muss wieder einmal herhalten, auch das sprachlich schwache, unergiebige Frühwerk – warum hat er nicht auf die nachsiberische Phase zurückgegriffen und die eher flachen, harmlosen Kurzromane "Onkelchens Traum" oder "Das Gut Stepantchikowo und seine Bewohner" herangezogen? Nun, die Bjelinskis und heutigen Reich-Ranickis der Theaterkritik hat er nie gefürchtet. Immerhin holt Castorf aus der Erzählung "Ein schwaches Herz" erstaunlich viel heraus. Imposant ist Georg Friedrich der Schauspiel-Große, diesmal mit Schnurrbart und Glatze, einem Generalissimus ähnelnd, der, weil Friedrich ein Hoanzl ist, mit seinem Auftreten an Felix von Schwarzenberg und Windischgrätz erinnert. Aber wie unglücklich ist seine Figur Wassja in ihrem Glück! Der arme verliebte Abschreiber Wassja, unterstützt von seinem Freund Arkadij (der großartige Impovisierer Mex Schlüpfer, der auch mal wie Turbo-Zillmann die Unterstützung der Souffleuse Elisabeth Zumpe braucht),- der arme Verliebte, Wehmut und Trauer und Sentimentalität ins Publikum tragend, da er das angebotene Glück aus Veillitätsgründen und Gemütsschwäche sich selbst versagt und daran zugrunde geht. Hervorragend, grandios – seid umschlungen Millionen, wie Schiller in seinem Götterfunken-Gedicht sagte. Bedauerlicherweise dauert die Szene mit Friedrich/Schlüpfer, die wie eine ehrliche Quintessenz des professionellen Vertändelers Castorfs herüberkommt, nur eine gefühlte halbe Stunde. Unterwegs wird eine Menge Zeit verballert und in die Tonne getreten. Auch die eingeblendeten Videos sind nicht gerade dazu angetan, das Publikum in einen Stimmungsrausch zu versetzen. Mit Ausnahme jener Szene, die sich auf "Ein schwaches Herz" bezieht. Das Video ist ganz in Schwarzweiß gehalten, nostalgisch und altertümelnd, mit Hendrik Arnst, der sich aus gesundheitlichen Gründen abmeldete. Friedrichs Wassja fühlt sich als Militarist und wird von Nerven-Kollaborateuren abgeholt. Nun, Castorf erklimmt mitunter die Weltklasse und landet dann in der untersten Tiefgarage. Der unablässige, stachelausgestattete Medienplauderer Peymann erzählte einmal, Castorf verteile unausgesetzt Schlaftabletten. Falsch. Jener, der längst Kult-Status erreicht hat, kann selbst mit fragwürdigem Krempel ankommen und verteilt Lustpillen.

 

Ein schwaches Herz
nach Fjodor M. Dostojewski
Regie: Frank Castorf, Dramaturgie: Sebastian Kaiser, Raum: Bert Neumann, Bühne und Kostüme: Nina von Mechow, Videoregie/Kamera: Andreas Deinert, Kamera: Mathias Klütz, Adrien Lamande, Luna Zscharnt, Videoschnitt: Jens Crull, Maryvonne Riedelsheimer, Musik/Ton: Christopher von Nathusius, Tobias Gringel.
Mit: Mex Schlüpfer, Georg Friedrich, Margarita Breitkreiz, Kathrin Angerer, Frank Büttner, Sir Henry, Daniel Zillmann, Souffleuse: Elisabeth Zumpe, Jeanne Balibar

Volksbühne Berlin, Premiere war am 1. Juni 2017, Kritik vom 5. Juni 2017
Dauer: 3 Stunden, 45 Minuten, keine Pause (!)


 

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