Volksbühne Berlin: Kritik von "Haußmanns Staatssicherheitstheater" - Haußmann
Die Stasi ist überall, selbst Frauenbesuche und Bettgeschichten werden registriert und notiert und als geistige Waffe benutzt. Leander Haußmann macht daraus eine Komödie mit ernstem Hintergrund.(Bild: © Harald Hauswald)
Die Stasi im Einsatz bei den Künstlern
Allein das Bühnenbild (Lothar Holler) ist einen Besuch wert, wir sehen ein dreistöckiges Haus, das hoch- und runtergefahren werden kann, mit etlichen Zimmern, die Häuslichkeit, typisches DDR-Ambiente und Stasi-Gelände inklusive Honecker-Konterfei offenbaren. Das Haupteinsatzgebiet der Stasi ist der Prenzlauer Berg, genauer: LSD, also Lychener-, Schliemann- und Dunkerstraße, wo die "Negativ Dekadenten Elemente" hocken und ihr mutmaßlich oppositionelles Unwesen treiben. Bohème eben, und genauso sehen die Schauspieler auch aus, Intellektuelle mit wallenden Rauschebärten, progressive Halbrocker und andere dissidente "Chaoten". Hier schleicht sich die Stasi ein, manche wurden für den Einsatz als Künstler präpariert, um in der Szene höchstmögliche Glaubwürdigkeit zu erreichen. Das Stasi-Oberhaupt ist der fleischige, vollbärtige Waldemar Kobus als Mielke, der die Leute, friedliche auch, bis in den letzten Winkel ihres bescheidenen Daseins beobachten lässt und immer wieder neue IM's rekrutiert, die sich teilweise selbst im Weg stehen. Zumindest im ersten Teil gelingen Haußmann großartige Szenen, die zeigen, wie degoutant und intrigant dieses System war. Eine zum Teil von boshaftem Humor getragene Analyse und nicht unsubtile Studie der DDR-Vergangenheit. Verblüffend ist, wie oft der Regisseur literarhistorische Zitate aufgreift, etwa Biermanns "Sascha Arschloch", Heiner Müllers "Fickzellen" und etliches anderes.
© Harald Hauswald
Klamauk ist Trumpf
Leider flacht die Inszenierung nach der Pause radikal ab. Haußmann stürzt sich in hemmungslosen Klamauk, in eine unergiebige Komödie à la "Sonnenallee", wo es wild und lustig durcheinandergeht und die Entlarvung auf der Strecke bleibt. Wie die Zuschauer*innen erleben, war die Stasi ein heterogener, entfesselter Haufen, in dem auch mal die Betten verwechselt wurden. Antonia Bill, die im ersten Teil keinen Muckser von sich gibt, versucht nach der Pause zu entflammen, unterstützt von einem fulminanten, künstlich gefüllten Wonderbra, weil eben erotische Ausstrahlung auch dazugehörte, aber eher auf die eigenen vier Wände beschränkt blieb, denn öffentlicher Exhibitionismus untergrub die hehre Volksmoral. Wenn die zweite Hälfte wenigstens eine Parodie oder Persiflage wäre! Stattdessen sackt sie ab in plumpen Humor, eine kleine Steigerung gibt es nur noch durch eine barock-preußische Kostümierung, wo alte, offensichtlich uferlos parfümierte Herren mit Allongeperücken als Vorläufer der Stasi agieren. In der zweiten Aufführung verließen nach der Pause nicht wenige Besucher den Saal – bei den Langzeitunternehmen ist das normal in der Volksbühne. Aber die vorzeitigen Abrücker haben wohl instinktiv geahnt, dass sich die Inszenierung in einer Endlosschleife festgefahren hat und nichts Neues an Erkenntnis herausspringt. Hätte Leander Haußmann nach 90 Minuten aufgehört, wäre es etwas halbwegs Großes geworden.
Haußmanns Staatssicherheitstheater
von Leander Haußmann
Text und Regie: Leander Haußmann, Bühne: Lothar Holler, Kostüme: Janina Brinkmann, Musikalische Leitung: Sir Henry, Dramaturgie: Steffen Sünkel.
Mit: Silvia Rieger, Norbert Stöß, Antonia Bill, Waldemar Kobus, Horst Kotterba, Matthias Mosbach, Christopher Nell, Eric Spiering, Uwe Dag Berlin.
Und: Lennart Hillmann, Karl Schaper, Daniel Felix Adolf (Studenten der Hochschule für Schauspielkunst "Ernst Busch")
Musiker: Sir Henry (Piano), Herman Herrmann (Gitarre), Elise Brehmer (Cello), Oscar Stöß (Trompete).
Volksbühne Berlin, Premiere war am 14. Dezember 2018, Kritik vom 15. Dezember 2018.
Dauer: 3 Stunden 30 Minuten, eine Pause
Bildquelle:
Ruth Weitz
(Lilli Chapeau und ihr kleinstes Theater der Welt in Miltenberg)