Sophie Rois

Sophie Rois (Bild: © Wikipedia, Herbert Gleibstedt)

Göttliche Kreativität

In Pollesch-Komödien wird unmittelbar hörbar, welche Lektüre der Meister gerade liest oder mit welchen geistigen Dingen er sich in seiner freien Zeit beschäftigt. Neuerdings scheint er auf Nietzsche gestoßen zu sein, und zwar auf die ewige Wiederkehr des Gleichen. Vor einer schlichten Hütte, die jeden soliden Schrebergarten halbwegs schmücken könnte, stehen die drei Figuren und sinnieren über die schillernden und müden Phänomene der Welt. Mira Partecke scheint fasziniert von dem Gedanken, dass sich alles im Leben wiederholt und schon einmal da gewesen ist: Das Leben ist ein endloser Kreislauf von Wiederholungen, die höchstenfalls neu angeordnet oder variiert werden. Sophie Rois hört eher gelangweilt zu, geht flüchtig darauf ein und wird von Christine Groß unterbrochen, die dreimal auf ihre schöne Haut hinweist und damit ungewollt die ständigen Wiederholungen exemplifiziert. Irgendwie einigt man sich darauf, dass es für den Widerklang des Vergangenen der schöpferischen Kraft bedarf. Es ist gar eine göttliche Kreativität am Walten, die statt komplette Umgestaltungen plötzliche Abwandlungen bewirkt. Also sprach nicht Nietzsche, sondern Pollesch.

 

Anleihen bei anderen Denkern und Dramen

Das Bühnenbild wird, ähnlich wie bei "Gasoline Bill", eingenommen von einer komfortlosen, kargen Hütte, die, von zahlreichem Laub umgeben, nicht statisch ist, sondern ungewöhnliche Mobilität aufweist. Die Souffleuse Tina Pfurr sitzt darin, eigentlich wird sie gar nicht gebraucht, nicht zuletzt wegen der Abwesenheit von Volker Spengler, aber sie fungiert als optisches Zubehör, als nonverbale Randbemerkung. Die Frage ist nur, was würde Pollesch machen, wenn er mit Amateuren oder Feierabendschauspielerin inszenieren müsste? In den Stadttheatern kann er stets auf hochkarätiges Personal zurückgreifen, andernfalls würde sein Werk womöglich in sich zusammenfallen. Der Autor/Regisseur nimmt gerne und viel Anleihen bei anderen Denkern und Dramen, bei "House for Sale" bezieht er sich explizit auf "Die drei Schwestern" von Tschechow. Die trägen, nach wahrer Liebe und erfüllender Arbeit hungernden Schwestern Olga und Mascha lassen grüßen, sie wollen ihr altes Leben hinter sich lassen, aufbrechen in alte Gefilde, die infolge mangelnder eigener Innovationspotentiale hoffentlich im neuen Gewand daherkommen. Einen Mann spielend, klebt die in die Jahre gekommene Bärbel Bolle hauptsächlich auf ihrem Stuhl und geifert vor sich hin, sie, die einen Haufen Geld verspielt, könnte auch Tschechows Andrej sein, zumindest ansatzweise. Und Mira Partecke, eventuell Natalja, erklimmt unverwüstlich die hohe Tonlage, mitunter bedarf es bei der Akustik der äußersten Konzentration.

 

Spiel mit falschen Karten

Im Zuge der Bibel-Lektüre oder der Reflektion dessen, was die Sekundärliteratur darüber schreibt, werden die Zuschauer auch auf ein metaphysisches Vakuum hingewiesen, das die Menschen in einen Abgrund zu stürzen droht. Eine übergeordnete transzendentale Instanz könnte eine wichtige Lebenshilfe sein, eine Stütze zur Daseinsbewältigung. Bärbel Bolle spricht von einem biblischen Hausverwalter, der durch das Fälschen von Schuldscheinen neuen Grundbesitz erwirbt. Lüge und Betrug also. Was Pollesch nicht sagt: Selbst Jesus kündigte an, nicht aufs Laubhüttenfest zu gehen, obwohl er doch hinging. Auch hier ein Spiel mit falschen Karten, sogar im allerheiligsten Gewand. Gewänder ganz anderer Art tragen die drei aktiven Frauen: Lange weiße, bis zum Fußknöchel reichende Kleider, die später mit bunt gemusterten, sackartig am Körper liegenden Stoffhüllen vertauscht werden. Eine Referenz an die Batik-Mode der 70er-Jahre, leider fehlen die zugehörigen Jesuslatschen. Am Ende singen alle ein Lied von Elvis Costello, der Ende der 70er-Jahre seine Karriere startete und unter der Kategorie ‚New Wave' subsumiert wurde, in einer Zeit, als man die Hippies nur noch Freaks nannte. Der Großteil der Zuschauer war wir immer zufrieden. Polleschs nicht nachlassende Fangemeinde rekrutiert sich aus relativ Gebildeten, die statt den Tiefgang eher das espritreiche Gedankenspiel mit einem Einschub von möglichst pikanten Boulevard-Elementen schätzen, .

House for Sale
von René Pollesch
Regie: René Pollesch, Bühne: Bert Neumann, Kostüme: Tabea Braun, Licht: Lothar Baumgarte, Musikarrangement: Roman Ott, Lars Gühlcke, Soufflage: Tina Pfurr, Dramaturgie: Anna Heesen.
Mit: Mira Partecke, Sophie Rois, Bärbel Bolle, Christine Groß.

Volksbühne Berlin

Uraufführung am 11. September 2014

Dauer: 90 Minuten, keine Pause

 

Laden ...
Fehler!