Fabian Hinrichs

© Stefan Brending/Wikimedia

 

Eine Inkarnation der Schlaffheit

Die Bühne ist gewohnt poppig, die obligatorischen Lametta-Vorhänge sind nicht gerade der dernier cri. Der Boden ist rot-weiß gestreift, blitzt wie blankpoliert auf und vermischt sich mit den blau-weiß besternten Oberteilen der TänzerInnen. Eine triumphale Vereinigung, kulminierend in der US-Flagge. Allerdings sind die Nordamerikaner nicht gerade bekannt für Weltschmerz, in Deutschland gibt es da Exporteure ganz anderen Gewichts. Obwohl der 40-Jährige noch nicht die für geriatrische Fälle typische Velleitätszone erreicht hat, scheint es ihm an der nötigen Energie zur Daseinssteigerung zu fehlen. Klar, es ist ein Klagelied, das Hinrichs hier anstimmt, und eigentlich müsste man mit derartigen Personen Mitleid empfinden, wenn es nicht so geschmeidig und souverän daherkäme. In der Tat, Hinrichs möchte mit seinem kandierten Trübsinn auch ein wenig verführen. Leider ist der Klagende bei seinen Möglichkeitserwägungen eine Inkarnation der Schlaffheit. Er möchte auf zwei Hochzeiten tanzen, um ja nichts zu verpassen, und am Ende tanzt er überhaupt nicht. Was wir sehen, ist lediglich ein auf dem Boden leicht dahintänzelnder Hinrichs. Die Party findet ohne ihn statt.

 

Die Energie verpufft

Die aktuell wichtigste Frage ist, ob er zu einem Iggy-Pop-Konzert gehen oder besser daheim bleiben soll. Wie der Möglichkeitsmensch Ulrich in Musils "Mann ohne Eigenschaften" quält er sich mit zwei oder mehreren Varianten herum: Bliebe er zuhause, könnte seine Ex vorbeikommen und alles wäre wieder gut. Geht er aber aufs Konzert, könnte er seine mit dem erlesensten Zauber behaftete Traumfrau entdecken. Statt aber einen Eroberungsplan zu entwickeln, tut er gar nichts, und wenn er überhaupt mit einer Frau ins Gespräch käme, dann nur, wenn sie ihm zufällig auf die Hose kotzt. Er kommt auch nicht auf die Idee, seine Verflossene einmal unverbindlich anzurufen und wartet lieber, bis ihm eine gebratene Taube ins Maul fliegt. Seine ganze Energie verpufft in einer Anklage, als sei das Jammern sein Hauptgeschäft, ein Nest, in dem er sich jederzeit niederlassen kann. Und wer kennt nicht die Süße, die bei einem solchen Schmerz hindurchschimmert? Zwischenzeitlich singt Hinrichs ein wenig, und zwar ausgerechnet einen Song von den Smiths: So please please please let me get what I want. Das klingt noch mutig, aber später lässt er sich anders vernehmen: "Ich will nicht unsere Liebe. Ich will nicht meine Liebe. Ich will deine Liebe." Und er setzt noch einen drauf: I did at your way. Die pure Verzweiflung stimmt ihn in einem Grad resignativ, dass er sich plötzlich einer ‚fremden' Liebe ein- bzw. unterordnen möchte. Dem Problem könnte eine Domina mühelos Abhilfe schaffen, aber so weit hat Pollesch nicht gedacht. Irgendwann taucht auch noch ein riesiger, aufblasbarer Teddybär auf, der beinahe symbolisch für die Aufführung steht: The show must go on. Die Inszenierung ist auch verpackt als Show, angereichert durch fünf TänzerInnnen, die federleicht über der Bühne schweben. Insgesamt ist es doch ein die Klischees nicht übertünchender Unterhaltungsabend. Pollesch einmal anders: Die Sehnsucht ist in Wahrheit das Land seiner Liebe.

Keiner findet sich schön
von René Pollesch
Regie: René Pollesch, Bühne: Bert Neumann, Kostüme: Tabea Braun, Licht: Frank Novak, Ton: Tobias Gringel, William Minke, Soufflage: Katharina Popov, Dramaturgie: Anna Heesen.
Mit: Fabian Hinrichs, Tanz: Rebekka Esther Böhme, Nina Baukus, Tobias Roloff, Uri Burger, Jessica Kammerer.

Volksbühne Berlin

Premiere war am 24.Juni 2015, Kritik vom 1.Juli 2015
Dauer: 75 Minuten, keine Pause


 

Laden ...
Fehler!