(Bild: © Román Yñan)

Ein neuer sinnlicher Lebensstil

Es wird viel gewispert und gesäuselt auf der Bühne. Der Druck aus der Stimme wird herausgenommen, die Inhalte mögen umso schärfer wirken. Die Kulisse ist das eigentlich Zauberhafte des Abends. Automatisch steigt eine romantische Sehnsucht auf, die an melancholische Süße streift. Dämmerlicht ohne Unterlass, eine Stimmung wie bei Caspar David Friedrich bricht sich Bahn. Strotzendes, saftiges Grün, die Randzonen eines Waldes, ein See und viele Sänften. Das Personal des Adelsstabs trägt umständliche, üppige Rokoko-Kleider, die sich bei ihren Verrichtungen als hinderlich erweisen. Eine Spezialistin der Libertinage ist die Comtesse de Weinsbach (Anne Tismer), die ein wenig forscher und aufgeweckter wirkt. Jeanette Spassova, eine Altgediente aus Castorfs Ensemble-Fabrik, spielt eine Äbtissin, die eine Cousine der Gräfin de Weinsberg ist und für Leichtlebigkeit viel Verständnis aufbringt. Die Frage ist nur, warum ein verbrauchter Lustgreis nebst Anhang ausgerechnet den Missionar und Pionier in einem Preußen spielen will, wo die Wildheit hinter verschlossenen Schlafzimmern stattfindet. Die frohe Botschaft wird aus den Sänften heraus proklamiert, Sänften, die so ramponiert aussehen wie ihre Herr- und Frauschaft. Und unablässig werden die Sänften herumgetragen, als sei dies ein neuer sinnlicher Lebensstil, der mehr an Dauerschlaf und fahle Erotik gemahnt. Die Inaktivität in den Tragsesseln kontrastiert in auffallender Weise zur sexuellen Befreiung, was auch immer das sein soll. Die Herrschaft entfesselter Triebe ist eigentlich nur in einer Epoche geistigen, rationalen Überschusses möglich. Und wir sehen dabei zu, wie Eulen nach Athen getragen werden. Athen ist eine Brandenburger Sumpflandschaft, eine Öko-Pampa, wo es nicht mehr weiterzugehen scheint.

 

Die Sprache verschlagen

Die Inszenierung hat ein gewaltiges Medienecho erzeugt, wahrscheinlich auch wegen der großen Namen, die man noch einmal sehen wollte. Herb ist die Enttäuschung, hatte man doch eine Inszenierung voller Verve und Esprit erwartet. Von federndem Geist und Inspiration ist in den Texten leider gar nichts enthalten, sie könnten durchaus einer Fernfahrer- oder Mensa-Toilette entspringen. Bedauerlicherweise hat es dem schöngeistigen Adel die Sprache verschlagen, man erzählt ungewöhnliche Dinge in einer allzu gewöhnlichen Sprache. Aber worin genau liegt der Hauptfehler von "Liberté"? Gewiss, Serra langweilt, furchtbar lullt er ein, ohne dass daraus eine Quälerei oder Abstumfpung würde, aber was er mit hoher Kunst entwickelt hat, ist ein Theater des Einschläferns. Das über-beschauliche Projekt fungiert als eine Art Lullaby, das in wachen Momenten kleine Köstlichkeiten aufblitzen lässt. Die Figuren werden entblößt als Teil eines von der Geschichte erledigten Adelsclubs, der vor lauter Müßiggang das Leben nur noch ausruft, ohne es leben zu können. Die Inszenierung ist ein Schwanengesang.

 

Liberté
von Albert Serra

Übersetzung: Maurici Farré, Kirsten Brandt
Regie: Albert Serra, Bühne: Sebastian Vogler, Kostüme: Rosa Tharrats, Licht: Johannes Zotz, Musik: Marc Verdaguer, Dramaturgie: Guilio Bursi, Alan Twitchell.
Mit: Anne Tismer, Jeanette Spassova, Hemut Berger, Laurean Wagner, Stefano Cassetti, Johanna Dumet, Ann Göbel, Leonie Jenning, Catalin Jugravu, Günther Möbius, Ingrid Caven.

Volksbühne Berlin, Premiere war am 22. Februar 2018, Kritik vom 4. März 2018.
Dauer: 2 Stunden 30 Minuten, keine Pause

 

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