Kunterbunte Kostüme

Die Gesten sind genau einstudiert, fast alles stimmt: Das Gegenteil von Improvisation. Was wie das Ausleben einer Stegreif-Idee aussieht, ist komplett eingeübt nach Art eines ausgeklügelten Systems. Die schillernden Kleidchen sind kunterbunt, um den visuellen Eindruck zu verschärfen, trägt eine Schauspielerin sogar ein orangefarbenes Kleid im Müllabfuhr-Look, allerdings mit einer graziös-kitschigen Rückenschleife. Es ist ein unverständlicher Kauderwelsch, den das Ensemble da plappert, eine ins Animalische abkippende Kunstsprache. Das klingt nicht gerade ästhetisch, zumal die im Orchestergraben hockenden drei Musiker keine Kakophonie beisteuern. Es ist, als würden sich die Schauspieler nach der Musik bewegen. Zur Untermalung der Geräuschkulisse. Rasch bilden sich Soloparts, Dreier- und Vierergruppen heraus und es werden im Raubtier-Stil die Zähne gefletscht.

 

Abgestandene Zimmerluft

Der Glotzblick feiert bei Fritsch friedlich Urständ. Man erinnert sich automatisch an die Glotzer bei einem Autobahn-Unfall, der zu zähflüssigem Verkehr führt. Nur wird hier ins Nichts gestarrt, das Parkett wird zu einer verschwommenen Masse. Aber alles ist gut kontrastiert und scharf beleuchtet, ein Kompliment an den Lichtmeister Thorsten König. Wie das Licht eine Theaterwelt verwandeln kann und eine neue Kunstwelt schafft! Das Problem ist leider: Fritschs Volksbühnen-Inszenierungen werden von Mal zu Mal schwächer. Faszinierte "Die spanische Fliege" noch durch den Klamauk, bezauberte "Murmel Murmel" noch durch die Choreografie, so wirkt "Ohne Titel Nr.1" wie abgestandene Zimmerluft, wie etwas schon einmal Eingeatmetes. Es ist zu befürchten, dass der Regisseur eine Ohne-Titel-Serie in Gang bringt und Nr. 2 und 3 folgen. Fritschs Inszenierungen sind immer anders, bieten aber stets das Gleiche. Das ist auch ein Kunststück. Er tritt auf der Stelle oder anders formuliert: Er dreht sich im Kreis.

 

Versinken im Sofa

Kein Teppich diesmal und auch kein Trampolin, dafür aber ein monströses Sofa, das für feinnervige Arrangements dient. Am Ende verwächst das Ensemble mit der Couch: Die Schauspieler sind mit beigen, holzfarbenen Kostümen ausgestattet, die im einzigen unbeweglichen Requisit praktisch verschwimmen. Zuvor wurde es umspielt und umtanzt, als hafte dem Monstrum, das in kein Wohnzimmer passt, etwas Magisches an. Leider ist die vordergründige Magie lediglich perfektionierter Bühnenzauber, der mit Improvisation nur kokettiert. In dieser Sinnentleertheit ist alles Pose. Ein maskiertes Gefallenwollen. Auch ein interessantes Zungenspiel kann den Abend nicht retten. Wie Fühlhörner, die herausfahren, um die Welt zu erkunden. Immerhin, dem Entertainment-Meister ist auch ein grandioses Hexenwerk gelungen: Das Ensemble liegt auf dem Boden und reckt die maskenhaften Gesichter über die Bühne. Solche Szenen glücken dem Regisseur mit spielerischer Leichtigkeit. Bedauerlicherweise ist das zu wenig. Man solle seine Inszenierungen mit dem Rückenmark verfolgen, sagte Herbert Fritsch: Zum Glück schlägt diese Inszenierung nicht auf den Magen. Trotzdem brach das Publikum gewohnheitsmäßig in hysterisches Gelächter aus, es hat sich noch lange nicht ausgefritscht. Draußen angekommen, empfindet man den sich in Minusgraden bewegenden Winter als seltsam warm. Richtig heiß wird's dann in der überfüllten Kantine.

Ohne Titel Nr. 1
Eine Oper von Herbert Fritsch
Regie und Bühne: Herbert Fritsch, Kostüme: Viktoria Behr, Licht: Torsten König, Musik: Ingo Günther, Herbert Fritsch, Ton: Klaus Dobbrick, Video: Konstantin Hapke, Dramaturgie: Sabrina Zwach.
Mit: Axel Wandtke, Florian Anderer, Inka Löwendorf, Matthias Buss, Ruth Rosenfeld, Nora Buzalka, Werner Eng, Annika Meier, Patrick Güldenberg, Jonas Hien, Wolfram Koch, Hubert Wild.

Musiker: Ingo Günther, Fabrizio Tentoni, Michael Rowalska.

Berliner Volksbühne

Uraufführung vom 22.Januar 2014

Dauer: ca. 100 Minuten, keine Pause

Bildnachweis: © Steffen Kassel

 

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