Die Festung Volksbühne

© Steffen Kassel


Austauschbarkeit statt Individualität

Der Talentschuppen der Busch-Hochschule hat schier unerreichbare Vorbilder vor Augen, künstlerische Abstriche sind zwangsläufig einkalkuliert. Zum einem ist da die legendäre, im Dezember 1974 absolvierte Schaubühnen-Inszenierung von Peter Stein, die wohl die meisten Interessierten nur aus Kritiken und vom Hörensagen kennen. Zum anderen das vor über drei Jahren erfolgte Projekt von Alvis Hermanis, der die Dekadenz eines ermüdeten Establishments gnadenlos herausstrich. Was die Gnadenlosigkeit anbelangt, steht Rieger Hermanis in nichts nach. Nur sind ihre Mittel beschränkter. Während beim Letten noch Individuen zu erkennen sind, die von einem kraftlosen Wünschen geprägt sind und lieben wollen, aber nicht können, sind die psychologisch undurchleuchteten Gestalten bei Rieger nahezu austauschbar und bis zur Unkenntlichkeit verwässert. Ob Arzt, Industrieller oder ein mit intellektueller Schärfe versehener Dichter – das spielt keine Rolle. Alles geht durcheinander, etwa gesellschaftliche Gleichgültigkeit, poetische Träume, Liebesobsessionen oder Mordgedanken. Dabei haben die Schauspieler*innen durchaus Power, sie stemmen sich gegen ihr anscheinend unvermeidliches Schicksal. Bedauerlicherweise dominieren lautstarke Übertrumpfungsversuche von vermeintlichen Konkurrenten, die im gleichen Boot sitzen, das übrigens nicht an Halt verlieren kann, weil es noch nie einen gehabt hat.

 

Vage Gefühle ohne Aussichten auf Verwirklichung

In diesem fragwürdigen Getriebe haben nur Frank Büttner und Martin Otting Großbühnenerfahrung. Büttner ist ein von Castorf gern engagierter, professioneller Autodidakt und Otting ein Kandidat von Peschels großzügigen bis unerbittlichen Gnaden. Beide tragen sie blaue Arbeitskleidung, beide schleppen einen weißen Baumstumpf. Eine Resterampe, mehr ist vom Birkenwald nicht übrig geblieben. Das Gespann erklimmt die Galerie, redet von oben wie überhebliche Beobachter oder outgesourcte Regisseure, tiefkehlig und scharf und sich einen zynischen Überblick verschaffend. Unten wird am Ziel vorbei geliebt, gesoffen und gerülpst, das Kotzen muss man sich hinzudenken. Verrutschende Perücken, Cowboy-Attitüden und sächsischer Dialekt. Man weiß: Hier gibt es bestenfalls poetisches Geschwätz, nur vage Gefühle, aber keine wahre Liebe. Alles Gute gibt es nur draußen, in einem fernen, poetisch anvisierten, vielleicht verbeamteten Leben. Einige Akteure suchen Schutz unterm opulenten Dach eines weißen Dekorationspilzes. Kein magic mushroom, eher ein Glückseligkeit versprechender Giftpilz. Was diese Aufführung leistet, ist von der übermotivierten Regisseurin Silvia Rieger wohl kaum beabsichtigt. Sie zeigt jene Schwächen und Gefahren auf, die in den Inszenierungen des bald zwangsweise abdankenden Meisters liegen. Als wolle Rieger die Schattenseiten dieser Art von Theater aufzeigen. Zum Glück hat Castorf, der es fertig bringt, dem Eklektizismus verpflichtete Elemente sieghaft zu vereinigen und daraus eine Marke zu generieren, hervorragende Großschauspieler zur Hand. Im Vergleich dazu dient diese Rieger-Veranstaltung als eine Trainingsübung mit Vorbereitungscharakter.

Sommergäste

nach Maxim Gorki

Regie: Silvia Rieger, In der Bühne von: Bert Neumann, Kostüme: Laurent Pellissier, Licht: Torsten König, Einrichtung Musik und Ton: Wolfgang Urzendowsky, Dramaturgie: Sabine Zielke.

Mit: Frank Büttner, Maximilian Hildebrandt, Daniel Klausner, Benjamin Kühni, Martin Otting, Marie Louise Rathscheck, Theresa Riess, Celina Rongen, Kim Schnitzer, Janet Stornowski, Ulvi Erkin Teke, Léa Wegmann und Felix Witzlau.

Volksbühne Berlin

Premiere war am 15. 3. 2016, Kritik vom 18.3. 2016

Dauer: 120 Minuten

 

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