Der Regisseur Martin Wuttke

Der Regisseur Martin Wuttke (Bild: © Manfred Werner/Wikimedia)

Hypertrophe Männlichkeit

Eigentlich hätte der hochaktive, unter Doppelbelastung leidende Regisseur den Ex-Sträfling und jetzigen Polizisten Vautrin spielen sollen, aber er hat rechtzeitig die Rolle an Jean Chaize weitergegeben. Der spielt gern mit geöffnetem Hemd und entblößter Brust und hinterlässt einen Eindruck von hypertropher Männlichkeit. Sein französischer Akzent durchwirkt den ganzen Abend, die Worte kommen aber etwas zäh, nicht mit souveräner Leichtigkeit heraus. Die Figur Vautrin taucht zum ersten Mal in "Vater Goriot" auf, ein Werk, das mit Zynismen über eine degenerierte Pensionsgemeinschaft gesättigt ist. Wuttke hat weder Lust noch Begabung für heiteren Sarkasmus – es dominiert das wilde Durcheinander. Hendrik Arnst, immer noch überkräftig gebaut, aber im Vergleich zu früher nach einer kleinen Abmagerungskur aussehend, übernimmt in der Volksbühne allmählich die Funktion von Volker Spengler und spielt den Baron de Nucinen. Der benutzt gern das Wort ‚Verderbtheit' und hat sich unsterblich in Esther (Britta Hammelstein) verliebt.

 

Das Schmachten des Barons wird unerträglich

Ein eigenartiges Liebesspiel entwickelt sich zwischen dem Oberbanker Nucinen und Esther. Bei ihm geht es um Liebe, bei ihr ums Geld. Monetäre Inkompetenz kann man ihm nicht vorwerfen, so einfach lässt er das Geld nicht aus sich herauslocken. Gewohnt originell und kraftvoll ist das Spiel von Arnst, aber wenig nuancenreich, das Feinsinnige, Charmante geht ihm vollständig ab. Der Baron windet sich in rigorosem Liebesschmerz, hechelt und seufzt wie ein seelenhöriger Köter, der unauflöslich an Frauchen gebunden ist. Britta Hammelstein hat einige glänzende Auftritte, vor allem der Schlussmonolog, bevor ihre Figur sich vergiftet. Das Schmachten des Barons wird ihr zu viel, die Hingabe an ihn ist wahrlich nicht ihr Lebenswunsch. Ihr Freitod wirkt epidemisch, plötzlich vergeht dem Baron ebenfalls die Lebenslust, er liegt leblos auf dem Boden und verwest hinein in die Finsternis – eine kleine Suizid-Kette entsteht.

 

Hektische Betriebsamkeit

Volksbühne Berlin

© Steffen Kassel

 

Die Bühne ist pompös ausgerichtet, mit bunten Lametta-Strängen an den Wänden. Auch Wuttke und sein Team sind eingetaucht in die Materialschlacht. Der Regisseur liefert ein Video-Triptychon und erzeugt einige hervorragende Bilder, die im Gedächtnis hängen bleiben. Wuttke, der die auratische Jeanne Balibar anbietet, bleibt der Ästhetik des Hauses treu, als sei er ein eigenwilliger, experimentierfreudiger Epigone Castorfs. Am Anfang wird eine antiquierte Kutsche geboten, die als kolossale Einrichtung eines vergangenen Zeitalters fungiert. Nur mit Mühe kann sie in die richtige Stellung gebracht werden – Ungeschicklichkeit oder schauspielerische Absicht? Es wirkt alles etwas chaotisch, die Leere der Bühne wird mit einer Überfülle versehen, auch der Worte. Die überschlagen sich teilweise, es ist ein Zuviel an hektischer Betriebsamkeit und theatraler Daueroffensive. Wuttke oder die nachträgliche Entdeckung von Schweiß und Schnelligkeit. Fast will es scheinen, als sei die Handlung nur Nebensache, Hauptsache, das Ganze ist wirksam und effektiv, egal, ob man bei all der Verschlungenheit den Faden verliert. Hat der Regisseur mit all den Wirrungen eine Gemütserregungskunst im Sinn? Erregt wird man tatsächlich, aber vieles ist nur Stückwerk. Man sollte sich nicht an das verschenkte Ganze halten, sondern an einige brillante Passagen. Dann kann man etwas mitnehmen.

Trompe l'amour
nach Honoré de Balzac
Regie: Martin Wuttke, Bühne und Kostüme: Nina von Mechow, Raum: Bert Neumann, Dramaturgie: Anna Heesen, Video: Jens Crull.
Mit: Jeanne Balibar, Britta Hammelstein, Hendrik Arnst, Jean Chaize, Jasna Fritzi Bauer, Franz Beil, Maximilian Brauer.

Volksbühne Berlin

Premiere vom 24. April 2014

Dauer: 120 Minuten, keine Pause

 


 

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