Volksbühne Berlin: Kritik von "Volksbühnen-Diskurs". Teil 1 & 2 – René Pollesch
Ein Pollesch-Abschied mit einigem Wehmut. Eine aufkommende Sentimentalität wird durch den zappeligen Humor der Darsteller erstickt.
Martin Wuttke bei einer Preisverleihung, förmlich
@ Manfred Werner / Wikipedia
Niemand hat das Recht, alles zu verstehen
Auf der Bühne tummelt sich fast eine kleine All-Star-Runde, ohne Schütz und Hübchen. Trystan Pütter gehört da eigentlich gar nicht dazu, denn er war vor allem während der großen Krise – alle Kritiker schrieben: Die Volksbühne ist am Arsch! – zwischen 2008 und Mitte 2011 aktiv. Zu Beginn werden die drei Schauspieler von einem Kran auf eine Bretterfassade gehievt. Alle tragen rote Pyjamas, luftige Strampelanzüge, die bei Gemächt und Hintern seltsam ausgeleihert sind, dazu kolossale Cowboy-Hüte. Wir sind drei Amigos, verkünden sie, und sie tanzen, wenn man derartige Verrenkungen als Tanz bezeichnen kann. Hartnäckig bleibt Wuttke beim Nicht-Verstehen: "Ich habe nichts verstanden, aber ich fand's toll, am besten wäre es ohne Publikum". Ohne Publikum? Das klingt wie ein Satz von Heiner Müller, gegen den der auf Publikumserfolg setzende Peter Zadek in der BE-Direktoriumszeit anfang der 90er-Jahre revoltierte. Und gerade Pollesch liebt das - von Koketterie nicht freie Spiel - mit dem Publikum über alles. Diesmal findet sogar eine recht plumpes Anbiedern und Umschmeicheln des Publikum statt, mit dem man gemeinsam möglich lustig sein möchte. Dabei sind die Texte des Regisseurs mitnichten besonders humorvoll: Die Vortragweise der Darsteller muss das bewerkstelligen. Jaja, "niemand hat das Recht, alles zu verstehen." Diesmal ist der schreibende Regisseur allerdings sehr verständlich, zumal er Halbphilosophisches weitgehend ausklammert. Ernster wird es, als Wuttke die Volksbühne zum erratischen und auratischen Wohlfühlort erklärt, in dem eine einzigartige Atmosphäre herrsche. Leider wird das Ganze gebrochen durch übertriebene Witzigkeitsattitüden.
Es geht nicht ohne Gemeinschaftsgefühl
Der zweite Teil (Es beginnt erst bei Drei) soll eigentlich eine Fortsetzung sein, ist aber nur eine Art Epilog, ein Nachwort, eine Zugabe. Jetzt wird endlich aus alle Rohren sinnentleert zurückgealbert. Die Amigos, immer einen guten Spruch auf den Lippen, fetzen auf der Bühne herum, ohne Substantielles zu liefern. Hurra, sind wir nicht ein Vergnügungspark! Und das mit überlangen Schnabelschuhen, auf denen es sich, wenn man ausreichend trainiert hat, gut hüpfen lässt. Ein entspanntes, gierig nach dem Publikum schielendes Intermezzo, weil halt auch ein Gemeinschaftsgefühl hergestellt werden muss, denn bald sieht man sich nicht mehr am richtigen Ort zur richtigen Zeit. Kein Käfer mehr wie im ersten Teil (Ich spreche zu den Wänden), wo ein hässliches Insekt heruntergelassen wird und darniederliegt bzw. krabbelt wie in Kafkas Verwandlung. Aber es gibt noch einen Aufschub, eine Verwandlung findet erst in der Spielzeit 17/18 statt. Glücklich diejenigen, die nicht in die beiden, an humoristische Grabreden erinnernden Premieren reingegangen sind und nicht zweimal anrücken mussten, rein aus ökonomischen Gesichtspunkten, denn es ist im Grunde nur ein Stück, unterbrochen von plauderhaften Biernachfüllungen. Nun, ein Doppelpack macht's auch, und es entsteht ein Hunger auf Teil 3, der hoffentlich keine Luftnummer ist: Nach Diktatorengattinnen 1 (u.a. mit Sophie Rois und Volker Spengler) wurden Sehnsüchte nach Teil 2 erweckt, der nie kam. Aber der dritte Teil wird kommen. Und er wird unwiederbringlich sein. Als Letztes: Der unermüdliche Wuttke behauptet, man habe in der Volksbühne immer geschmackvolle Auftritte geliefert. War es nicht oftmals ein Anliegen, die Geschmacksgrenzen zu übertreten?
Diskurs über die Serie und Reflexionsbude (Es beginnt erst bei Drei), die das qualifiziert verarscht werden great again gemacht hat etc. Kurz: Volksbühnen-Diskurs.
Teil 1: Ich spreche zu den Wänden
Teil 2: Es beginnt erst bei Drei
Text und Regie: René Pollesch, Raum: Bert Neumann, Bühne: Barbara Steiner, Kostüme: Tabea Braun
Licht: Frank Novak, Ton: Christopher von Nathusius, William Minke, Dramaturgie: Anna Heesen.
Mit: Trystan Pütter, Martin Wuttke und Milan Peschel.
Volksbühne Berlin
Kritik vom 2. November 2016
Dauer Teil 1 und 2: ca. 2 Stunden 15 Minuten, 45 Minuten Pause
@ Manfred Werner / Wikipedia
Bildquelle:
Ruth Weitz
(Lilli Chapeau und ihr kleinstes Theater der Welt in Miltenberg)