Vorweg: Zur Nachwahl der Bundestagswahl in Berlin

Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts hat die Wahl zum 20. Deutschen Bundestag über den Bundestagsbeschluss vom 10. November 2022 hinausgehend in weiteren 31 Wahlbezirken des Landes Berlin sowie den zugehörigen Briefwahlbezirken für ungültig erklärt und eine Wiederholungswahl angeordnet (Aktenzeichen: 2 BvC 4 /23). Damit muss die Wahl in 455 von 2.256 Berliner Wahlbezirken wiederholt werden. Das Bundeswahlgesetz sieht dafür eine Frist von 60 Tagen vor. Der Berliner Landeswahlleiter hat den Wahltermin auf Sonntag, 11. Februar 2024, festgelegt.

Mit dem am Dienstag, 19. Dezember 2023, verkündeten Urteil hob der Senat zudem den genannten Bundestagsbeschluss zur dritten Beschlussempfehlung des Wahlprüfungsausschusses zu Einsprüchen gegen die Bundestagswahl vom 26. September 2021 auf, der in namentlicher Abstimmung mit 374 gegen 252 Stimmen bei 31 Enthaltungen gefasst worden war. In dem Beschluss war die Bundestagswahl in sieben Wahlbezirken und den damit verbundenen Briefwahlbezirken für ungültig erklärt worden.

Wiederholungswahl mit Erst- und Zweitstimme

Daraus ergibt sich für die Richterinnen und Richter, dass einerseits die Bundestagswahl in weiteren 25 Wahlbezirken des Landes Berlin einschließlich der zugehörigen Briefwahlbezirke für ungültig erklärt werden muss. Zugleich sei die Ungültigkeitserklärung der Wahl in sieben Wahlbezirken und deren Briefwahlbezirken im damaligen Bundestagsbeschluss aufzuheben.

Daneben führten Besonderheiten der Auszählung von Briefwahlstimmen, die erst nach der mündlichen Verhandlung im Juli 2023 bekannt geworden seien, zur Ungültigkeitserklärung der Bundestagswahl in weiteren sechs Briefwahlbezirken und den sechs mit diesen verbundenen Urnenwahlbezirken. Die Wiederholungswahl müsse als Zweistimmenwahl, also mit Erst- und Zweitstimme, durchgeführt werden, heißt es weiter.

Ergebnis der Nachwahl

Mit dem Endergebnis aus Friedrichshain-Kreuzberg komplettiert sich bei schwacher Wahlbeteiligung das berlinweite Ergebnis. Bei den Erststimmen und Zweitstimmen verlieren die Sozialdemokraten über einen Prozentpunkt im Vergleich zu 2021, die FDP verliert knapp einen Prozentpunkt. Die Verluste der Grünen halten sich in Grenzen. Die Gewinner der Teil-Wahlwiederholung in Berlin sind CDU (+1,3 Prozentpunkte bei Erst- und Zweitstimmen) und AfD (+0,9 bei Erststimmen, +1,0 bei Zweitstimmen).

Ein Vergleich der Zählverfahren in den einzelnen Bundesländern

Einige Bundesländer sind in den letzten Jahren in ihrem Zählverfahren für die Sitzzuteilung von D'Hondt auf Sainte-Lague/Schepers umgeschwenkt. Davon versprechen sich die Parteien ein genaueres Spiegelbild des Wählerwillens bei den Zweitstimmen. Inzwischen verfahren acht der insgesamt 16 Bundesländer der Bundesrepublik Deutschland nach dem Zählverfahren der Stimmen nach Sainte-Lague/Schepers, sechs Bundesländer nach Hare/Niemeyer und zwei nach D'Hondt.

Sainte-Lague/Schepers gilt wie auch für den Deutschen Bundestag in Baden-Württemberg, Bayern, Bremen, Hamburg, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Sachsen und Schleswig-Holstein. Nach Hare/Niemeyer zählen Berlin, Brandenburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und Thüringen aus. Niedersachsen und das Saarland richten sich nach dem Verfahren nach D'Hondt.

Die Unterschiede der drei Zählverfahren

Die Erklärung der einzelnen Zählverfahren geht in die höhere Mathematik. Je mehr Sitze zu verteilen sind und je mehr Parteien Stimmen erhalten, desto größer ist die Rechnerei und desto größer der Unterschied der Ergebnisse nach den unterschiedlichen Zählverfahren.

Deshalb hier ein einfaches Modell zu Erläuterung der drei sich unterscheidenden Zählverfahren, bei dem der Einfachheit halber nur von drei Parteien ausgegangen wird mit einem Stimmenanteil der A-Partei von 20.000 Stimmen, der B-Partei von 12.000 Stimmen und der C-Partei von 3.000 Stimmen.

Die Ergebnisse nach den drei Verfahren

D'Hondt

Bei diesem Zähl- und Auswertungssystem werden die Stimmen einer jeden Partei für sich zuerst durch 1 geteilt, dann durch 2, dann durch 3 und so weiter. Wenn nur acht Sitze zu vergeben sind, dann entscheiden über diese Sitze die acht höchsten Ergebnisse der Division. Danach erhält die A-Partei fünf Sitze, die B-Partei drei Sitze und die C-Partei null Sitze.

Sainte-Lague/Schepers

Hierbei werden die Stimmen einer jeden Partei für sich zuerst durch 0,5, dann durch 1,5, dann durch 2,5 und so weiter geteilt. So finden durch den niedrigeren Divisor kleinere Parteien eher Berücksichtigung. Statt der Division findet bei den Bundestagswahlen ein modifiziertes Sainte-Lague/Schepers-Verfahren statt: das iterative Verfahren, bei dem die Gesamtzahl aller gültigen Stimmen durch die Gesamtzahl der Sitze geteilt wird= Zuteilungsdivisor.

Im obigen Muster wäre der Zuteilungsdivisor 35.000: 8 = 4.375. Für Partei A ergäben sich 20.000: 4.375=4,57= 5 Sitze, für Partei B 12.000: 4.375 = 2,74 = 3 Sitze und für die C-Partei 3.000: 4.375 = 0,69 = 1 Sitz.. Das ergibt 9 Sitze. Da aber nur acht Sitze zu vergeben sind, muss der Zuteilungsdivisor leicht erhöht werden, bis sich aus dem leicht erhöhten Zuteilungsdivisor die richtige Zahl der Sitze ergibt. Im vorliegenden Fall wäre die Zahl 4.600 der richtige Zuteilungsdivisor. Partei A erhält vier Sitze, Partei B drei Sitze und Partei C einen Sitz.

Hare/Niemeyer

Zuerst werden jene Stimmen eliminiert, die an Parteien gingen, die an einer eventuellen Prozenthürde ( fünf Prozent oder drei Prozent) gescheitert sind. Diese bereinigte Stimmenzahl ist Basis für die Berechnung der erreichten Sitze jeder Partei. Bleiben wir bei dem obigen Beispiel, entfallen 35.000 Stimmen auf die A-Partei (20.000 Stimmen), die B-Partei (12.000 Stimmen) und die C-Partei (3.000 Stimmen). Sind wie im obigen Beispiel acht Sitze zu verteilen, so hat die A-Partei ohne Auf- oder Abrundungen 57,1 Prozent der Stimmen, die B-Partei 34,2 Prozent und die C-Partei 8,5 Prozent erreicht. Bei acht zu vergebenden Sitzen entspricht das für die A-Partei 4,56 Sitze, die B-Partei 2,72 Sitze und die C-Partei 0,64 Sitze. Allerdings zählen für die Berechnung nur die Zahlen vor dem Komma. Die A-Partei erhält danach vier Sitze, die B-Partei zwei Sitze und die C-Partei keinen Sitz. Jetzt wären erst sechs der acht Sitze vergeben. Nun folgt der zweite Schritt: Wenn die Summe der errechneten Sitze nicht der Gesamtsitzzahl entspricht, werden die verbliebenen Restsitze den Wahlvorschlägen mit den höchsten Stellen nach dem Komma zugeschlagen. Das ergibt für die B-Partei und die C-Partei je einen Sitz.

Insgesamt kommt die A-Partei somit auf vier Sitze, die B-Partei auf drei Sitze und die C-Partei auf einen Sitz.

Zum Nachschlagen: Die Erfinder der drei Zählverfahren

Victor D'Hondt war ein belgischer Jurist und Professor für Zivil- und Steuerrecht an der Universität Gent. Sein Anliegen war es, auch Minderheiten in gewählten Gremien vertreten zu sehen.

Der französische Mathematiker André Sainte-Lague begründete seine Berechnungsmethode mit der Erfolgswertgleichheit der Wählerstimmen. Hans Schepers brachte als Physiker und Mitarbeiter der Bundestagsverwaltung dieses Verfahren für die Verteilung der Ausschusssitze des Deutschen Bundestages ein.

Seit der Bundestagswahl im Jahr 1987 bis zur Wahl 2005 wurde das Hare/Niemeyer-Verfahren für die Berechnung der Sitzverteilung im Deutschen Bundestag angewandt. Es geht auf den Londoner Rechtsanwalt Thomas Hare und den deutschen Mathematiker Horst F. Niemeyer zurück.

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