Wahnhaftes Denken in Politik und Gesellschaft
Trotz zahlreicher Todesfälle bestreiten "Querdenker", dass es eine Corona-Pandemie gibt. Der Verlierer der diesjährigen US-Präsidentschaftswahl behauptet, "in Wirklichkeit" der Sieger zu sein.Die "Querdenken-Bewegung" in Deutschland
Zunächst ist hier die sogenannte "Querdenken-Bewegung" zu nennen, die in Deutschland immer wieder gegen die Maßnahmen der Bundesregierung und der Landesregierungen zur Eindämmung der Corona-Pandemie protestiert. So kamen zuletzt am 31. Oktober in Leipzig Anhänger dieser Bewegung zu einer Massendemonstration zusammen. Hier sah man einen Querschnitt der "Querdenken-Bewegung", nämlich scheinbar harmlose gutbürgerliche Anhänger von AfD und Pegida, Impfgegner, die Zwangsimpfungen gegen COVID-19 befürchten, aber auch Mitglieder der Reichsbürgerszene und Gruppen von Neonazis und Hooligans, die an kampfbereite Sturmtruppen erinnern.
Dabei eint die verschiedenen Gruppierungen eine antietatistische, also gegen den Staat gerichtete, Grundhaltung, die zu einem regelrechten Freund-Feind-Denken entartet ist. Denn es herrscht hier die Vorstellung vor, die Bundesregierung und die Regierungen der Bundesländer wollten unter dem Vorwand, die Bürger gegen die Corona-Pandemie zu schützen, auf Dauer die Grundrechte außer Kraft setzen und eine Diktatur errichten. Diese Zeitgenossen glauben also immer noch, dass es die Corona-Pandemie gar nicht gäbe oder dass COVID-19 nicht schlimmer sei als eine Grippe. Deshalb halten sich auch die meisten Demonstrationsteilnehmer nach wie vor nicht an die Abstandsregeln und tragen keinen Mund-Nasen-Schutz.
Hintergründe und Folgen
Das Staatsverständnis der "Querdenker" ist ein erster Ansatzpunkt für die Beantwortung der Frage, warum sie immer noch nicht wahrhaben wollen, dass eine weltweite Pandemie wütet, die auch sie das Leben kosten könnte. Denn Realitätsleugnungen sind in der Regel dort festzustellen, wo ein Weltbild oder vorgefasste Meinungen ins Wanken kommen könnten. (https://lexikon.stangl.eu/6623/realitatsleugnung/) Das heißt: Wenn die "Querdenker" die Corona-Pandemie als Faktum anerkennen würden, müssten sie gleichzeitig zugeben, dass der Staat mit seinen Maßnahmen etwas Gutes und Sinnvolles tut und auch sie schützt. Dann wäre es aber aus mit ihrer Selbststilisierung als "Freiheitskämpfer", als Kämpfer gegen eine Diktatur. Eine wichtige Ursache der Realitätsleugnung der "Querdenker" ist folglich Geltungssucht.
Eine andere Ursache ist vermutlich Egoismus, Selbstbezogenheit. Das heißt: Man hat es hier offensichtlich mit Menschen zu tun, bei denen das eigene Wohlergehen an erster Stelle steht und die deshalb nicht bereit sind, ihren Lebensstil zu ändern. Eine weitere Ursache für das Leugnen der Corona-Pandemie könnte darin bestehen, dass man nicht wahrhaben will, dass die Menschheit im 21. Jahrhundert von einer weltweiten Seuche bedroht ist – nach dem Motto: So etwas gab es im Mittelalter, das kann doch heute nicht mehr passieren. Also muss es erfunden sein. Bei den Leugnern der Corona-Pandemie findet man auch häufig, wie ich an anderer Stelle gezeigt habe (https://pagewizz.com/protest-in-zeiten-der-coronakrise-39071/) Verschwörungstheorien. Darauf werde ich im nächsten Abschnitt noch einmal zurückkommen.
Insgesamt ist für mich der Umstand, dass die Mitglieder der "Querdenken-Bewegung" angesichts der zweiten verheerenden Welle der Corona-Pandemie immer noch abstreiten, dass es diese Pandemie überhaupt gibt, zutiefst verstörend. Man fragt sich, ob denn nichts und niemand sie zu einem Umdenken bewegen kann. Vielleicht können hier ja die Aussagen der Ärztin Dr. Carola Holzner in der Talkshow von Markus Lanz noch etwas bewirken. Frau Dr. Holzner sagte nämlich und zeigte dazu die CT-Aufnahme eines COVID-19-Patienten: "Wenn es Corona doch nicht gibt, was sehe ich dann eigentlich den ganzen Tag in der Notaufnahme? Und was ist das dann für ein CT? Wenn ihr mir schon nicht glaubt: Bilder lügen nicht. Und die Angst zu ersticken auch nicht." (https://www.focus.de/gesundheit/positiver-test-5-tage-vor-notaufnahme-mit-lungen-ct-ruettelte-aerztin-facebook-user-auf-bei-lanz-zeigt-sie-das-bild-erneut_id_12647000.html?rnd=oli)
US-Präsident Donald Trump und das Drama um seine Wahlniederlage
Beim zweiten gravierenden Fall einer Leugnung der Realität, über den ich berichten möchte, handelt es sich um die Reaktion des amerikanischen Präsidenten Donald Trump auf das Ergebnis der Präsidentschaftswahl am 3. November 2020.
Trump war 2016 zum 45. Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt worden. Die diesjährige Präsidentschaftswahl hat er verloren, aber er weigert sich bisher beharrlich, seine Niederlage anzuerkennen und damit seinem Nachfolger, dem Demokraten Joe Biden, einen reibungslosen Start zu ermöglichen. Dass er sich damit über die in den USA geltenden Gepflogenheiten und Regularien des Wechsels zu einer neuen Präsidentschaft hinwegsetzt, scheint ihm völlig egal zu sein. Er verbreitet vielmehr Gerüchte über "Lug und Trug" bei der Auszählung der Wählerstimmen, was in der Behauptung gipfelt, ihm sei der Wahlsieg gestohlen worden. Beweise dafür ist er allerdings bisher schuldig geblieben.
Bleibt die Frage, ob dieses Verhalten Ausdruck seiner Persönlichkeit ist oder ob es eiskaltem Kalkül entspringt. Vielleicht trifft ja Beides zu. So ist Trump schon oft als jemand in Erscheinung getreten, der ohne Einsicht ist, nicht lernfähig und rücksichtslos - als hemmungsloser Egoist. In der Psychologie spricht man bei so einem Verhalten von einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung. Das heißt: Narzissten haben in Wirklichkeit nur ein ganz kleines Ego, leiden also unter erheblichen Selbstwertproblemen und kompensieren dies durch Selbstüberschätzung und Wichtigtuerei. Symptomatisch dafür ist Trumps wiederholte Aussage, er würde einen großartigen Job machen, obwohl das genaue Gegenteil der Fall ist. Sein Versagen bei der Bewältigung der Corona-Pandemie ist dafür der beste Beweis. So haben die USA bereits 250 000 Corona-Tote zu beklagen.
Jedenfalls könnte Trump wirklich davon überzeugt sein, dass er "der großartigste Präsident in der Geschichte der Vereinigten Staaten" ist, dass auch die Wähler das so gesehen haben und er deshalb "in Wirklichkeit" die Wahl gewonnen habe. Aber er könnte mit seinen Betrugsvorwürfen im Hinblick auf den Ausgang der Präsidentenwahl – die von ihm sozusagen "prophylaktisch" auch schon im Wahlkampf zu hören waren – auch ganz rational das Ziel verfolgen, nach seiner Wahlniederlage weiterhin erheblichen Einfluss auf die amerikanische Politik zu nehmen und damit seinem Nachfolger das Leben schwer zu machen. Einen mächtigen Verbündeten hat er dabei, nämlich seine Anhängerschaft, die offensichtlich treu zu ihm steht, allen voran die Qanon-Bewegung.
Wer oder was ist Qanon?
Unter der Bezeichnung "Qanon" hat sich in den USA eine Bewegung formiert, die im Internet Verschwörungstheorien verbreitet. Dabei geht es im Kern um eine angebliche Geheimregierung, auch als "Deep State" bezeichnet, die im Verborgenen nicht nur die Geschicke der USA, sondern der ganzen Welt lenkt. Donald Trump sei von ranghohen Militärs dazu auserwählt worden, diesen "Deep State" zu Fall zu bringen, und seine Wahlniederlage ist diesbezüglich natürlich ein herber Rückschlag.
Der Ursprung der Qanon-Bewegung geht auf eine unbekannte Person zurück, die unter dem Pseudonym "Q" im Oktober 2017 zunächst auf der Internetplattform 4Chan Beiträge über den "Deep State" verbreitet hat. Anhänger der Bewegung halten "Q” für einen hochrangigen US-Beamten, der den sogenannten "Q”-Status erreicht und damit Zugang zu Informationen aus dem innersten Kreis der US-Regierung und von Geheimdiensten hat. Die Abkürzung "Anon" steht dabei für anonym, da niemand seine Identität kennt. Manche Anhänger der Bewegung glauben sogar, dass Donald Trump selbst "Q" ist.
Den Verschwörungstheorien von Qanon zufolge gehören dem "Deep State" prominente Politiker der Demokraten an wie Hilary Clinton und Barack Obama sowie Banken und Medien. Die Mitglieder des "Deep State" würden in unterirdischen Gefängnissen Kinder gefangen halten, um ihnen Adrenochrom, ein Produkt des menschlichen Stoffwechsels, abzuzapfen und sich daran zu berauschen, oder die Kinder einem weltweiten Pädophilenring auszuliefern. Ferner ist die Rede von satanistischen Ritualen. Aber auch das Corona-Virus spielt hier eine Rolle. So sind auch Anhänger von Qanon der Ansicht, das Virus existiere gar nicht oder es sei eine Biowaffe, die absichtlich verbreitet wurde. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass die Verschwörungstheorien von Qanon auch bei den "Querdenkern" in Deutschland mittlerweile großen Anklang finden. Bei Demonstrationen erkennt man die Anhänger von Qanon an Fahnen, T-Shirts und Plakaten, die den Buchstaben "Q" zeigen.
Brisant ist, dass, während das FBI im Juli vor der Qanon-Bewegung warnte, weil man bei ihren Anhängern terroristische Aktivitäten befürchtet und die Bewegung deshalb als eine "Gefährdung der nationalen Sicherheit" einstuft, sich Präsident Trump bisher wohlwollend über Qanon äußert und sogar selbst auf Twitter Q-Botschaften verbreitet und dass es bei den Republikanern Politiker gibt, die als überzeugte Anhänger von Qanon gelten. Inzwischen gilt Qanon bei Experten als eine neue amerikanische Religion, deren Anhänger sich auf einen Endkampf zwischen Gut und Böse vorbereiten mit Donald Trump als "Erlöser". Bleibt die Frage, in welcher Form dieser Kampf wohl geführt wird und mit welchen Mitteln.
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