Grundlegende Erscheinungsformen des Glücks

Zunächst möchte ich wesentliche Erscheinungsformen des Glücks beschreiben. Und zwar unterscheidet man hier zwischen

  • Glück im Sinne von "Glück haben". Glück haben heißt, durch einen (glücklichen) Zufall begünstigt zu sein. Das Zufallsglück kommt also unerwartet. Man kann auch sagen: Es ist unvorhersehbar oder schicksalshaft. Glück ist hier im wahrsten Sinne des Wortes "Glückssache".
  • Glück im Sinne von "Glück empfinden". Das Empfinden von Glück ist eine extrem starke positive Emotion und ein Zustand höchsten Wohlbefindens und intensivster Zufriedenheit. Dabei ist das Empfinden von Glück jedoch in der Regel nur von kurzer Dauer. Glück ist also ein momentanes Ereignis, das wir nicht festhalten können.
  • Glück durch Altruismus. Altruistisches Handeln ist glücksfördernd, während andererseits glückliche Menschen altruistischer handeln.
  • Glück und Lebenssinn. Wer einen Sinn im Leben findet, ist glücklich.
  • Liebesglück. Der Favorit unter den Glücksformen ist sicherlich Liebesglück. Liebesglück kann die dauerhafteste Form des Glücks sein.
  • Glück als Leitlinie. In diesem Zusammenhang ist Glück ein Signal, das die Natur erfunden hat, um uns zu zeigen, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Das heißt: Mit Glücksgefühlen werden wir dazu verlockt, Dinge zu tun, die gut für uns sind, so dass wir lernen, welche Situationen wir suchen und herbeiführen sollten. Umgekehrt bringt uns unser "über etwas Unglücklichsein" dazu, Ereignissen und Erlebnissen, die für uns negativ sind, aus dem Weg zu gehen und damit auch Gefahrensituationen zu meiden.

Der Kontrast von Glück und Unglück.

Die Funktion des Glücks als Leitlinie deutet bereits daraufhin, dass zum Glücklichsein das Unglücklichsein gehört, zur Freude die Trauer, dass Zeiten des Wohlbefindens immer wieder abgelöst werden durch Zeiten des Schmerzes. Das heißt: Zum Glücklichsein gehören auch die Tiefen des Lebens wie Anstrengung, Entbehrung, Frustration und Traurigkeit. Denn nur wer die Tiefen kennt, ist dankbar für die glücklichen Momente und kann diese wirklich genießen und schätzen. Wir würden folglich, wenn wir immer glücklich wären, diesen Zustand gar nicht als Glück erkennen können. Deshalb kann das Empfinden von Glück gar kein dauerhafter Zustand sein. Im besten Falle haben wir viele Glücksmomente. Man spricht dann von einer Glückssträhne. Das andere Extrem ist die Pechsträhne.

Zur Frage der "Machbarkeit" von Glück

Heute dominiert die Ansicht, dass der Mensch "seines Glückes Schmied" sei, dass also beim Zustandekommen von Glückserlebnissen zwar Zufälle eine Rolle spielen, dass Glück aber überwiegend das Resultat von Entscheidungen sei, die wir bewusst treffen. In dieser Perspektive ist Glück folglich das Resultat der "richtigen" Einstellungen, Gedanken und Handlungen. Man muss nur - so der Tenor - glücklich sein wollen, dann wird man es auch. Unzählige "Glücksratgeber", in denen Anleitungen zum Glücklichsein gegeben werden, zeugen von diesem Glauben an die Machbarkeit des Glücks.

Hier ein kurzer Überblick über die wohl wichtigsten "Zutaten" des "Rezepts zum Glücklichsein":

  • Zum einen ist maßgeblich für unser Glücklichsein, wie gut wir in der Lage sind, uns an sich ändernde Lebensbedingungen und Probleme anzupassen.
  • Zum anderen hängt, ob wir glücklich oder unglücklich sind, davon ab, wie wir auf das Leben reagieren und welche Bedeutung wir dem beimessen, was wir erleben.
  • Außerdem ist es wichtig, dass wir mit unerfreulichen und schwierigen Ereignissen adäquat umgehen können.
  • Von besonderer Bedeutung ist der Aufbau stabiler zwischenmenschlicher Beziehungen.
  • Ungemein glücksfördernd ist auch das Ausüben einer Tätigkeit, die für den Menschen so erfüllend ist, der er sich so konzentriert widmet, dass er sozusagen in ihr aufgeht, dass er sich selbst vergisst, was mit "Flow" umschrieben wird. In enger Verbindung damit steht das Finden einer Tätigkeit, die als "Berufung" empfunden wird.

Auf einen kurzen Nenner gebracht, scheint derjenige sich selbst zu einem glücklichen Menschen machen zu können, der die Fähigkeit besitzt, sein Leben selbst in die Hand zu nehmen, also autonom und selbstbestimmt zu handeln. Man spricht hier auch von Kontrollüberzeugung, also dem kognitiven Empfinden, Dinge beeinflussen zu können. Ferner wird in diesem Kontext die Auffassung vertreten, dass die Fähigkeit zum Glücklichsein eine Persönlichkeitseigenschaft darstellt, die stabil ist, die also auch dann relativ unverändert bleibt, wenn sich äußere Lebensumstände wandeln wie Familie, Arbeit etc. Demzufolge gibt es eigentlich keinen oder einen nur minimalen Zusammenhang zwischen der Fähigkeit des Menschen, glücklich zu sein, und seinen objektiven Lebensumständen. Man kann auch sagen: Glück ist Privatsache. Maßgeblich ist der Wille zum Glück. Bleibt die Frage, ob das Empfinden von Glück tatsächlich eine dermaßen festzementierte Persönlichkeitseigenschaft ist und nicht doch äußeren Einflüssen unterliegt.

Wichtige Einflussfaktoren

Ich möchte im Folgenden zeigen, dass es von anderen wichtigen Faktoren abhängt, ob die oben als Voraussetzung von Glücksgefühlen beschriebenen Eigenschaften, Einstellungen und Gedanken überhaupt in gewünschter Weise wirksam werden können, wobei es Faktoren gibt, die ihrerseits beeinflusst werden können, aber auch Faktoren, die gar nicht bzw. nur unter großen Mühen verändert werden können.

  • Nicht zu verändern sind naturgemäß unsere Gene und angeborenen Persönlichkeitseigenschaften wie z.B. Extraversion/Introversion oder Neurotizismus, also die Neigung, Neurosen auszubilden oder die Disposition für die Erkrankung an einer Depression.
  • Wenn demgegenüber das seelische Gleichgewicht durch traumatische Erlebnisse oder Schicksalsschläge gestört ist, kann durch therapeutische Maßnahmen eingegriffen und dadurch die Fähigkeit zum Glücklichsein wiederhergestellt werden.
  • Bei der Berufswahl, also der beruflichen Tätigkeit, die man ausüben möchte, sowie bei der Wahl des Arbeitsplatzes kann wiederum die Entscheidungsfreiheit und damit eine wichtige Voraussetzung von Glücksgefühlen eingeschränkt sein. Insbesondere der Zwang, eine Tätigkeit auszuüben, die einem nicht zusagt und/oder für die man nicht begabt ist, ist natürlich ausgesprochen "glücksfeindlich". Sozusagen der "worst case" ist hier jedoch Arbeitslosigkeit. Das heißt: Arbeitslosigkeit ist ein Lebensereignis, das die Lebenszufriedenheit stark beeinträchtigt und dazu führt, dass das Glücksniveau des Betroffenen auch nach Abklingen der Krise nicht wieder auf das alte Niveau ansteigt.
  • Bei der Wahl von Freunden, Lebenspartnern etc. sowie von Freizeitaktivitäten und von Weltanschauungen, seien diese politischer oder religiöser Art, besteht generell – zumindest in unserem Kulturkreis – ein großer Entscheidungsspielraum. In diesem eher privaten Bereich hat jedoch die Scheidung vom Ehepartner eine ähnlich starke "glücksmindernde Wirkung" wie die Arbeitslosigkeit.
  • Die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen üben, wie das Beispiel der Arbeitslosigkeit zeigt, einen erheblichen Einfluss auf die "Glücksfähigkeit" der Menschen aus, während sie sich selbst – jedenfalls hat man oft diesen Eindruck – jeglicher Einflussnahme entziehen. Ich möchte im Folgenden einige Details aufzeigen.

Zur Rolle gesellschaftlicher Rahmenbedingungen

Von besonderer Bedeutung ist der Zusammenhang zwischen Glücksempfinden und Wohlstandsniveau. Internationale Erhebungen zeigen diesbezüglich ein widersprüchliches Bild. Dabei sind die Ergebnisse einer Studie der "London School of Economics and Political Science", wonach scheinbar die Allerärmsten, nämlich die Menschen in Bangladesch, zu den Glücklichsten der Welt gehören, für mich an Zynismus nicht zu überbieten, denn es ist meiner Meinung nach schlecht vorstellbar, dass Menschen glücklich sein können, bei denen nicht einmal Grundbedürfnisse wie eine ausreichende Versorgung mit Nahrung, Wasser, Kleidung, mit einer menschenwürdigen Wohnung und einem Minimum an medizinischen Leistungen befriedigt sind, es sei denn, man setzt Glücksempfinden mit Bedürfnislosigkeit gleich.

Andererseits ist festgestellt worden, dass – blickt man auf die letzten 50 Jahre zurück – in den westlichen Gesellschaften trotz einer durchschnittlichen Einkommensvervielfachung die davon begünstigten Menschen kaum glücklicher geworden sind. Es hat sich insbesondere gezeigt, dass durch mehr Wohlstand nur wenig bis gar kein Zuwachs an Glück entsteht, sobald die Grundbedürfnisse befriedigt sind. Es gilt somit auch, dass Glücklichsein nicht proportional mit der Zunahme des Wohlstands ansteigt.

Nach Expertenmeinung ist dies paradoxerweise gerade auf die Vervielfachung der Glücksmöglichkeiten im Zeitalter des Massenwohlstands und der damit verbundenen Individualisierung zurückzuführen. Das heißt: Vielen Menschen bietet sich hier eine Vielzahl an Möglichkeiten, das Leben zu gestalten, so dass sofortige Bedürfnisbefriedigung garantiert ist. Aber dieser ungebremste Hedonismus in der Multioptionsgesellschaft kippt irgendwann um in sein Gegenteil, nämlich in Anhedonie, die Unfähigkeit, Freude empfinden oder genießen zu können. Hier spielt auch eine Rolle, dass Konsumgüter schnell zur Gewohnheit werden und dadurch ihren Reiz verlieren, so dass wir wie Drogensüchtige wieder eine neue - noch stärkere - Dosis Konsum brauchen, um uns erneut ein Hochgefühl zu verschaffen. Das Streben nach Glück entartet hier also zur Glückssucht.

Vermutlich sind die Menschen – so der Philosoph Dieter Thomä und der Soziologe Richard Sennett - aber auch mit der Rolle des Bürgers, der angeblich jederzeit über seine Lebensverhältnisse verfügen, neue Gegebenheiten meistern, mobil und flexibel agieren etc. und damit selbst aktiv sein Glück fördern kann, schlicht und einfach überfordert. Hinzukommt ihrer Meinung nach, dass es Lebensbereiche gibt, in denen die Bürger ihre Fähigkeit zur Selbstbestimmung entweder gar nicht oder nur in geringem Maße anwenden könnten. Entsprechend gering sind in solchen Lebensbereichen – so könnte man daraus folgern – die Möglichkeiten der Bürger, Einfluss auszuüben und mitzureden, was natürlich ihre Glücksmöglichkeiten erheblich einschränkt.

Gesellschaftspolitische Glücksvoraussetzungen

Im Zeitalter der Individualisierung werden also die Menschen mit ihrer Rolle als autonome und selbstbestimmte Bürger und damit auch als tätige Förderer des eigenen Glücks tendenziell über- aber auch unterfordert. Wie man beides vermeidet, zeigen Untersuchungsergebnisse, denen zufolge unter den Bewohnern von 97 Ländern die Dänen am glücklichsten sind und die Schweizer und Isländer die Plätze 2 und 3 belegen. Und zwar werden die Untersuchungsergebnisse so interpretiert, dass die Menschen in diesen Länder deshalb so glücklich sind, weil diese Länder

• eine lange demokratische Tradition haben
• ihren Bürgern ein hohes Maß an Mitbestimmung ermöglichen
• eine zuverlässige Regierung haben
• hier materieller Wohlstand herrscht
• die Gesellschaft nur wenig hierarchisch gegliedert ist
• die sozialen Unterschiede gering sind
• Männer und Frauen weitgehend gleichberechtigt sind

Am Beispiel von Ländern wie Dänemark, der Schweiz und Island kann also gezeigt werden, wie die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen beschaffen sein müssen, damit wirklich Jeder "seines Glückes Schmid" sein kann. Umgekehrt könnte daraus aber auch gefolgert werden, dass jedes Gemeinwesen von glücklichen Menschen profitiert, da diese u.a. das Glück an ihre Kinder weitergeben, im Beruf bessere Arbeit leisten, sich mit dem politischen System identifizieren, also insgesamt das größte Interesse daran haben, dass das Gemeinwesen funktioniert.

Fazit

Die Fähigkeit des Menschen zum Glücklichsein hängt ab von seinen genetischen Dispositionen und Persönlichkeitseigenschaften, den damit verbundenen Einstellungen zu sich selbst, zu seinem Leben und zu seinen Mitmenschen sowie von äußeren Umständen, angefangen bei seinem persönlichen Umfeld mit Familie, Freunden über den gesellschaftlichen Nahbereich, der Beruf, Freizeit, Hobbies etc. umfasst, bis hin zur übergeordneten gesellschaftlichen Ebene mit den Bereichen Kultur, Ökonomie und Politik. Man kann auch sagen: Ein Mensch, der autonom und selbstbestimmt sein Schicksal meistert, der glücklich sein will und auch glücklich sein kann, hat eine ganz bestimmte Entwicklungsgeschichte durchlaufen, in der er sich diese segensreichen Eigenschaften angeeignet hat.

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