Wie finden Babys nach der Geburt alleine zur Brust?

Manche Mutter ist besorgt darüber, ob sie nach der Geburt ihr Kind ausreichend stillen kann. Dabei wird oft die Größe der Brust, die Beschaffenheit der Brustwarzen und die Bereitschaft zur Milchbildung kritisch überprüft.

In der Fachliteratur wird über die körperliche Beschaffenheit der Mutter Verhaltensweisen und Ausrüstung belehrt und vom Frauenarzt meist übermäßig besorgte zukünftige Eltern beruhigt. Zu wenig ist vom Zusammenspiel der Körper und Seele, von Mutter und Kind und zu weiteren Kontaktpersonen die Rede.Erfahrungsgemäß sind die ersten Stunden nach der Geburt ebenfalls wichtig dafür, ob das Neugeborene ausreichend mit Muttermilch versorgt werden kann.

So sieht die direkte Zeit nach der Geburt optimalerweise aus:

Unmittelbar nach der Geburt muss sich das Baby erst einmal ausruhen. Bäuchlings auf dem Bauch der Mutter liegend macht es dann kleine Bewegungen mit Kopf und Schultern, erste Mund- und Saugbewegungen folgen, das Baby öffnet die Augen und schaut die Mutter an. Nach kurzen Ruhepausen geht es weiter und nach rund einer Stunde hat das Baby die Brustwarze erreicht, selbstständig angedockt und zu saugen begonnen. Dieser sogenannte Breast Crawl ist ein Urinstinkt. "Breast Crawl" kommt aus dem Englischen und bedeutet etwa "zur Brust kriechen". Das schwedische Karolinska-Institut hat ihn 1987 das erste Mal wissenschaftlich beschrieben.

Jedes Kind hat seine eigene Geschwindigkeit bei dieser ersten zielgerichteten Wanderung. Während der Geburt verabreichte Medikamente, etwa wegen einer Periduralanästhesie (PDA), können den Breast Crawl verzögern. Der direkte Haut- und Blickkontakt nach der Geburt fördert die Bindung zwischen Mutter und Kind: Urvertrauen und Geborgenheit werden gestärkt und sein biologischer Rhythmus stabilisiert. Auch für das Stillen spielt der frühe Hautkontakt eine wichtige Rolle. Die nationalen Handlungsempfehlungen zu Ernährung und Bewegung von Säuglingen und stillenden Frauen des Netzwerks Gesund ins Leben empfehlen daher, Müttern und Neugeborenen direkt nach der Geburt den Hautkontakt zu ermöglichen.

Viele Unkundige fragen, ob das Baby nach der Geburt nicht als Erstes untersucht werden muss. Prof. Dr. Achim Wöckel, Direktor der Frauenklinik des Uniklinikums Würzburg und Mitglied des wissenschaftlichen Beirats des Netzwerks Gesund ins Leben, erklärt:

"Die erste Untersuchung (U1) eines reifen und gesunden Kindes nach der Geburt kann problemlos auf dem Bauch der Mutter durchgeführt werden. Klinikroutinen wie das Messen und Wiegen des Neugeborenen sollten möglichst auf die Zeit nach dem ersten Anlegen verschoben werden."

Was nur Wenige wissen

Durch den Hautkontakt vom Kind zur Mutter werden im mütterlichen Körper vermehrt die Stillhormone Prolaktin und Oxytocin ausgeschüttet, die den Stillstart erleichtern. Wenn die Mutter nicht stillen möchte, ist ein guter Start mit Zeit zum Kuscheln und Geborgenheit beim Fläschchengeben genauso bedeutsam für das Kennenlernen. Der Hautkontakt hilft dem Kind, seine Körpertemperatur und Stoffwechsel-Faktoren wie den Blutzuckerspiegel optimal anzupassen.

Neugeborene finden schon kurz nach der Geburt intuitiv den Weg zur Brust ihrer Mutter. Dafür, dass das gelingen kann, ist ein ungestörter Hautkontakt und Zeit wichtig.

Dabei wird das Baby unmittelbar nach der Geburt der Mutter auf den Bauch gelegt. So sind beide in der Lage, sich durch den Hautkontakt, Beobachtung und Kontaktaufnahme gut kennenzulernen.

Wenn die Geburt normal verlief, sind Mutter und Kind meist erschöpft, aber neugierig aufeinander. Schon nach kurzer Zeit Bauch an Bauch mit der Mutter, sind viele Neugeborenen in der Lage, mit kleinen Kriech- und Krabbelbewegungen eigenständig die Brustwarze der Mutter zu erreichen und an ihr zu saugen.

"Dieser sogenannte Breast Crawl wurde wissenschaftlich erstmals 1987 beschrieben,", erläutert Maria Flothkötter, Leiterin des Netzwerks Gesund ins Leben. "Es ist faszinierend, wie eigenständig und zielstrebig neugeborene Babys ihren Weg zur Brust finden können."

Worauf Sie bei der Wahl der Geburtsklinik achten sollten

Manchmal haben sich die werdenden Eltern wenig oder keine Gedanken darüber gemacht, wie sie ihr Baby ernähren wollen. Meist bereiten sie sorgfältig das Kinderzimmer, die Kleidung und Möbel für das Kind vor und bedenken nicht, dass vielleicht unvorhergesehene Ereignisse den natürlichen Prozess des Kindes ins Leben stören oder behindern könnten. Sie vertrauen der Natur, dass das Kind irgendwie geboren und die nötige Milch schon fließen wird.

Dieses Vertrauen in die Welt und sich selbst sollte von einem gesunden, verstandesmäßigen Prozess unterstützt werden. Schon bei der Wahl der Geburtsklinik können sich werdende Mütter erkundigen, ob sie Hilfe beim Erlernen des Stillens bekommen können.

Über die WHO/UNICEF-Initiative "Babyfreundlich" können Sie über 100 Geburts-, Kinder- und Perinatalkliniken in Deutschland finden, die verlässlich nach den Kriterien für ein "babyfreundliches Krankenhaus" arbeiten und zertifiziert sind.

Auch viele andere Kliniken ermöglichen den ungestörten Stillbeginn. Erkundigen Sie sich direkt bei den Kliniken in Ihrem Umfeld, wie Stillen und Bindung nach der Geburt gefördert werden. Wenn Sie eine Geburt in der Klinik planen, ist es sinnvoll, sich vorab zu erkundigen, ob ein guter und ungestörter Stillbeginn dort gefördert wird. Denn Mutter und Kind brauchen viel gemeinsame Zeit, um sich in den Stunden und Tagen nach der Geburt aufeinander einzuspielen. Wenn beide im gleichen Raum sind, kann das Baby immer, wenn es möchte, angelegt werden. Damit stellt sich die Milchbildung nach Bedarf leichter ein.

Diese Fragen können Ihnen bei Ihrer Entscheidung für eine Geburtsklinik helfen:

  • Können Mutter und Kind gleich nach der Geburt ungestörten Hautkontakt haben?
  • Ist das Baby im gleichen Zimmer wie die Mutter (24-Stunden-Rooming-in)?
  • Darf das Baby immer an die Brust, wenn es danach verlangt?
  • Wird die Mutter zum Stillen und zur Pflege gut informiert?
  • Wird das Baby nicht zusätzlich zum Stillen gefüttert (es sei denn, das ist medizinisch notwendig)?

Fragen an die Hebamme:

Wie ist der Ablauf nach der Geburt?

Wie viel Zeit haben Mutter und Kind im Kreißsaal miteinander?

Findet die erste Vorsorge-Untersuchung auf dem Bauch der Mutter statt?

Und wenn alles ganz anders kommt?

Ob nach einer Spontangeburt oder nach einem Kaiserschnitt, einer Geburt in der Klinik, im Geburtshaus oder zu Hause: Oft lässt es sich gut einrichten, dass Mutter und Kind die wertvolle Zeit direkt nach der Geburt miteinander erleben können. Wenn unvorhergesehene Ereignisse eintreten, ist es gut, das Beste aus der jeweiligen Situation zu machen.

Manchmal ist der direkte Hautkontakt nach einer Geburt jedoch nicht möglich: Wenn die Geburt unter Vollnarkose stattgefunden hat, nach einer Frühgeburt oder bei einem anderen medizinischen Problem von Mutter oder Kind, kann es sein, dass beide zunächst getrennt versorgt werden müssen. Das bedeutet aber nicht, dass diese Zeit nun verloren ist! Mutter und Kind können den ungestörten Hautkontakt so bald wie möglich nachholen und genießen.

Falls die Mutter noch medizinisch versorgt werden muss, kann eine Bezugsperson wie der Partner oder die Partnerin sich das nackte Kind auf Bauch und Brust legen, ihm Wärme und Geborgenheit vermitteln und sein Urvertrauen stärken. Auch können der Partner, die Partnerin oder andere nahestehende Menschen jederzeit durch direkten Hautkontakt mit dem Kind die Bindung weiter festigen.

Maria Flothkötter gibt zu bedenken: Jede Geburt und jedes Baby ist anders. Manchmal ist aus den verschiedensten – medizinischen – Gründen ein ausgiebiger, ungestörter Hautkontakt nicht möglich. Manchmal sind Babys zu erschöpft, um selbstständig zur Brust zu finden oder der Start ins Leben verläuft anders als gedacht. "Kein Grund zu verzweifeln, dann kann die Mutter das Baby so früh wie möglich selber anlegen und ihm helfen, die Brust zu finden. Die Freude auf einen gemeinsamen Start ins Leben sollte im Vordergrund stehen", so die Leiterin des Netzwerks Gesund ins Leben.

International: So geht der Breast Crawl

Das Netzwerk Gesund ins Leben

Das Netzwerk Gesund ins Leben ist eine Einrichtung im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL).Es ist ein Netzwerk von Institutionen, Fachgesellschaften und Verbänden zur Förderung der frühkindlichen Gesundheit – von der Schwangerschaft bis ins Kleinkindalter.

Autor seit 10 Jahren
55 Seiten
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