Alter Baum (Bild: Rike / pixelio.de)

Jedes Krankheitsbild wirkt als Ausgleich

In seinem Buch "Krankheit als Sprache der Seele" (1999) sagt Dahlke, dass jede Zeit in ihren spezifischen Krankheiten eine bestimmte Form des Korrektivs hat. Als Beispiel führt er das Mittelalter und die Pest an. Er setzt die "Reinheit" und den "goldenen Glanz" der damaligen Glaubenswelt dem "schwarzen Tod" gegenüber.  Die Entstehung der Syphilis führt er auf die "wildernde Liebe der Renaissance" zurück. Damit bezieht sich Dahlke auf Alfred Ziegler. Immer wieder wird diskutiert, ob das Altern ein normaler Prozess sei oder ob es sich um eine Krankheitserscheinung handeln würde. Dr. Dahlke bezieht sich auf Georg Grodeck. Dieser sagt: "(…) ist einer 70 Jahre alt, so sind die Organe eben 70 Jahre lang belastet." Der Autor bemerkt, dass heutzutage dem Alter mit allen Mitteln entgegengewirkt wird, so dass man annehmen kann, es müsse sich um eine Krankheit handeln. Er bringt seine Beobachtung auf den Punkt: "Die meisten Menschen wollen heute zwar möglichst als werden, aber niemand will alt sein."

Jugend geht vor

Viele ältere Menschen sehnen sich nach ihrer Jugend zurück. Nicht selten unternehmen sie darum fragwürdige Versuche, um sich ihre Jugendhaftigkeit zu beweisen. In extremen Fällen wird die Medizin dazu benutzt, um scheinbare Verjüngungsprozesse einzuleiten. Weil die Jugend als ein sehr hohes Ideal angesehen wird und das Alter geringgeschätzt wird, altert die Gesellschaft zusehends. Durch die krampfhaften Versuche, jung zu bleiben, wird der Alterungsprozess beschleunigt und intensiviert. Dem scheint der Fortschrittsglaube gegenüberzustehen. Der Glaube an Fortschritt und Weiterentwicklung prägt unsere moderne Gesellschaft. Der Fortschritt liegt aber in der Zukunft. Daraus folgt, dass auch das Alter ein Fortschritt ist, liegt es doch für die Jüngeren in der Zukunft; und doch will man sich gegen das Alter wehren – gegen den Fortschritt. Alle Maßnahmen, die eingeleitet werden, zielen letztlich auf Alter und Tod.

Das Geschäft mit der Angst

Die Angst vorm Alter wird kommerziell sehr stark ausgenutzt. Dr. Dahlke spricht von einer ganzen Industrie, die einzig vom Geschäft mit der Angst lebt. Er spricht von "bunten Pillen", die die Menschen einnehmen, um die Gefäße zu stützen und die Mangeldurchblutungen zu beheben. Diese Pillen, so der Autor, seien eine riesige Einnahmequelle für die Pharmaindustrie. Dabei zweifelt Dahlke die Wirksamkeit jener "bunten Pillen" an. Die illusionären Hoffnungen und die Sehnsucht nach Jugend zeigen sich heutzutage in Schönheitsoperationen und in zweifelhaften Maßnahmen, wie Infusionen mit dem Blut Neugeborener, wie es der rumänische Diktator Ceusescu getan haben soll. Dahlke spricht von modernen Jungbrunnen und verweist auf den scheinbar ewigen Wunsch der Menschen, jung und/oder unsterblich zu sein.

 

In der Werbung, in der Mode, in Film und Fernsehen wird die erste Lebenshälfte so stark betont, dass für die zweite gar kein Platz mehr ist. Das Altern wird verdrängt. Stattdessen wird die Hoffnung geschürt, niemals selbst alt bzw. älter zu werden. Alles ist auf das Jungsein ausgerichtet. Dabei ist das Alter ein Teil des natürlichen Lebensrhythmus. Der Stolz auf die gestiegene Lebenserwartung verdeckt die Tatsache, dass damit auch die Alterserwartung immens angestiegen ist.

Literatur

DAHLKE, Rüdiger: Krankheit als Sprache der Seele. Be-Deutung und Chance der Krankheitsbilder. München: Bertelsmann, 1999.

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