Das Cover zum besprochenen Buch

Buchtitel zu Destruktive Charaktere. 144 Seiten . 14,00 Euro (Bild: Ventil Verlag)

Zu den Autoren und dem Inhalt

11 Autoren aus den so genannten weichen (Geistes- Sozial-)Wissenschaften, haben sich hier versammelt. Darunter wieder einmal nur zwei Frauen, wovon die eine, Stine Meyer, nur lakonisch angibt: "Ist Feministin und lebt in Leipzig". Nicht nur, dass dies - auch im Vergleich der Angaben der Mitautoren - für eine Kurzbiografie armselig wirkt, heutzutage fragt sich der die geneigte LeserIn: Welcher Strömung des Feminismus gehört sie an? Wenn schon, denn schon.

Faszinierende Ansätze

Erst einmal finde ich das Cover sehr geglückt: In schwarzweiß dominiert da ein führerloser Bus mit der Zielangabe "Crisis". Wichtig die Einleitung der Herausgeber Christian W. Wilpert und Robert Zwarg mit den Definitionen zu destruktiven Charakteren, kurz gefasst beschreiben sie meiner Meinung nach das schreckliche Mittelmaß.

Hier einige typische Titelüberschriften:

  • Als Kulturkapital noch cool war. Das Hipsterklischee als Echo des Bildungsversprechens

  • Trash - Über den Gebrauchswert der postmodernen Kultur

  • Triggerwarnung. Erziehung zur Unmündigkeit

  • Zeichen der Zeit. Über T-Shirts und ihre Träger. Das ist ein übrigens unterhaltsamer Geschichtsrückblick von Chris Wilpert über die Mickey-Mouse-Motive der 50er Jahre, den Che Guevara auf der Brust der rebellierenden Studenten in den 60ern, dann die Rollings-Stones-Zunge etwa in den 70ern, die vermeintliche Leichtigkeit der 80er mit Schwulenhits darauf und bis zum immer gültigen auch die Zunge herausstreckenden Einstein. Gegenwärtige T-Shirts kokettieren nach Meinung des Literaturwissenschaftlers Wilpert mit Ich-Botschaften und sie stellen nach seiner Deutung die Klassengegensätze nur deutlicher heraus, wenn man teure Designernamen groß gedruckt herum trägt.

  • Warten. Überlegungen zu einem aussterbenden Zustand. Hat mich auch fasziniert als Fan von Becketts "Warten auf Godot", aber auch zum Widerspruch angeregt: Warum gilt bei Johannes Vincent Knecht, einem Dozenten für Kunstgeschichte, das Herumhämmern auf dem Smartphone im Gang der Arbeitsagentur zur Überbrückung bis zum Aufruf nicht als "Warten"?

Das alles führt zu

Fragen über Fragen

  1. Was ist angeblich "links" an dieser Kapitalismuskritik? Dann ist wohl Papst Franziskus und sind noch etliche Vertreter der Kirchen, die schon lange den Kapitalismus und das Prekariat anprangern, auch links? Ich tue mich hart mit solchen Klischees. Einig sind sich aber inzwischen sogar etliche Ökonomen, dass die ungebremste Wachstumshörigkeit des Kapitalismus an ihrem Ende angekommen ist.

  2. Die Autoren tun sich wiederum hart mit der Ironie, die wird fast durchgehend verteufelt. Erinnert mich an den guten alten Peter Handke, der schon vor fast 50 (!)Jahren über Jungautoren lästerte, dass das meiste doch nur "Parodie" sei - aber was ist gegen gute Parodien einzuwenden? Und wenn sich die Menschheit zum Ideal-Sozialismus einfach nicht bekehren lässt, kann man Ironie als Überlebenskonzept also nicht gelten lassen?

  3. Widersprüche: Mode wird in einem Aufsatz verächtlich als typisch kapitalistisch abgetan, ein andermal als " nicht kreatives" Handwerk aufgeführt (gegen diese Aburteilung von Designern als nicht kreativ muss ich energisch protestieren!), und ein dritter Autor lässt es doch als künstlerisch gelten - okay, es ist eine Anthologie, da darf das auseinander klaffen.

Historischer Abriss über die Abbildungen auf T-Shirts

Das T-Shirt als Zeichen der Zeit (Bild: Gabriele Hefele)

Über den Tellerrand blicken!

Aber aus der Ferne - hier in meiner neuen Heimat Spanien – betrachtet, kommt mir das ganze sehr berlinisch großstädtisch und eng deutsch vor. Ich rate den Autoren dringend, mal über den Tellerrand zu blicken, international gesehen, sich beispielsweise mit den Thesen des spanischen Wirtschaftsprofessors (wie werden eigentlich salopp die Wirtschaftswissenschaften eingeordnet: als weich, hart oder mittelhart?) Santiago N. Becerra auseinanderzusetzen.

Der katalanische Lehrstuhlinhaber an der Universität Barcelona hat die These aufgestellt, dass sich alle 250 Jahre die Wirtschaftssysteme ändern, in den letzten 2000 Jahren ganze 18mal, und dass deshalb auch der Kapitalismus mit seinem Wachstumsprinzip nun am Ende sei, spätestens in 30 Jahren. Systemkrisen seien immer brutal. Sein Buch "El crash de 2010" wurde zum Bestseller.

Vorbild Island

Nicht alle kriegen das übrigens so gut in den Griff wie die Isländer nach der großen jüngsten Weltwirtschaftskrise, was wiederum ein österreichisches Autorenteam gut beschreibt in ihrem Buch "Nachkrisenzeit". Auf dem überschaubaren Inselstaat errichtete man ein Kreativhaus, wo jeder Einwohner seine Ideen hinpinnen konnte. Sie wandten sich übrigens wieder ab von der verlockenden Finanzspekulation und wieder ihrer originalen Fischerei zu. In der Welt des Fußballs haben uns die 300.000 Isländer bereits erstaunt mit ihrer Art und vermeintlich unerwartetem Erfolg, um nur ein populäres Beispiel zu nennen.

Fazit

Ganz allgemein und ohne Ironie: Es tut schon gut, sich mal wieder mit wissenschaftlichen Ansätzen zur Gesellschaftskritik auseinander zu setzen. Auf jeden Fall lesenswert und diskussionswürdig. Und wenn die Herausgeber damit provozieren wollten, dann ist ihnen das in meine Falle des öfteren gelungen! Oder, um es mit einem der Autoren zu sagen, sinngemäß: "Oder man geht aufs Land. Und ist glücklich."

 

Arlequina, am 16.10.2017
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Bildquelle:
G.Hefele (Facebook macht depressiv und Smartphone einsam? Konträres zu Social...)

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