Aus erster Hand: 30 Jahre Bernstein-Leidenschaft

Dieser Artikel basiert auf Informationen von Andreas, den schon mit zehn Jahren die Bernstein-Leidenschaft packte. Sein Vater war als Geophysiker für die Kartierung von Rohstoff-Lagerstätten zuständig und nahm ihn oft zu Fundorten mit. Damals ist Andreas auf den Geschmack gekommen. Seit mehr als 30 Jahren ist er inzwischen Bernstein-Sammler. Und sollte es in der Gegend, in der er gerade Urlaub macht, ausnahmsweise keinen Bernstein geben, sucht er eben nach Haifisch-Zähnen oder Pilzen...

Tipp: Leben im Bernsteinwald – große Landesausstellung in Stuttgart

Hier schnell noch ein Einschub aus aktuellem Anlass: In Stuttgart ist seit 6. Dezember im Naturkundemuseum eine große Landesausstellung zum Thema "Leben im Bernsteinwald" zu sehen. Es geht dort vor allem um die Inklusen, also die faszinierenden Einschlüsse, die das Leben auf der Erde vor Jahrmillionen sichtbar machen. Gezeigt werden Funde aus drei verschiedenen Bernsteinwäldern, die drei ganz verschiedene Fenster in die Vergangenheit bilden: Burma vor 99 Millionen Jahren, das Baltikum vor etwa 40 und die Dominikanische Republik vor 16 Millionen Jahren. Wenn das keine Zeitreise ist! Bis 28. Juli 2019. Weitere Infos auf der Website des Naturkundemuseums. 

Diese Schnake (Tipaula) hat vor Jahrmillionen gelebt. (Bild: privat)

Wo findet man Bernstein? Ab an die Ostsee!

Bernstein ist in Deutschland unter anderem an den Stränden der Ostsee zu finden. Das erklärt sich durch seine Entstehungsgeschichte. Denn eigentlich ist Bernstein nichts anderes als Harz, das Mammutbäume vor etwa 54 Millionen Jahren, also im Unter-Eozän, absonderten, um ihre Wunden zu schließen. Die süßlich-klebrige Masse war bei Insekten der Renner, auch Holzstücke oder Teile von Pflanzen wurden sofort von dem Harz umschlossen. An der Luft härtete die goldgelbe Masse aus. Polymerisation heißt dieser Vorgang, bei dem sich lange Kohlenstoffketten bilden. Im Laufe von Jahrmillionen festigt sich die Harzmasse immer mehr, indem sich die Fadenmoleküle immer weiter verknoten und leichtflüchtige Lösungsmittel allmählich verschwinden.

Der Bernsteinwald, der uns heute so schöne Funde beschert, wuchs vor zehn bis 60 Millionen Jahren in Mittelskandinavien. Überreste seines Harzes sind deswegen im Meeresgrund der Ostsee eingebacken. Das erklärt, warum das "Gold der Ostsee" an den Stränden in Deutschland, Polen wie auch im Baltikum immer wieder angeschwemmt wird.

An Ostseestränden wird immer wieder Bernstein angeschwemmt. Beim Strandspaziergang auf Rügen bei Kap Arkona lohnt es sich, die Augen offen zu halten. (Bild: Anja Rech)

Herbststürme: Die beste Zeit für die Bernstein-Suche

Direkt nach einem Herbststurm ist die beste Zeit zum Bernsteinsuchen. Denn dann wird das Meer bis zum Grund aufgewühlt, der ein oder andere Bernstein-Klumpen hochgewirbelt und an die Küste gespült. Wenn das Meer eine Temperatur von weniger als zehn Grad Celsius hat, ist es besonders günstig. Denn dann hat das Salzwasser eine relativ große Dichte. Das erhöht die Chance, dass sich Bernstein aus dem Untergrund löst, im Wasser schwebt und an die Küste gespült wird.

Gerade da, wo sich der schwarze Tang am Strand sammelt und sich ein Muschelsaum bildet, ist oft auch das ein oder andere Stück Bernstein zu entdecken. Wenn der Sturm heftig genug tobt, findet sich Bernstein sogar noch am Rand der Dünen.

Wer allerdings Ausschau nach den goldgelben Steinen hält, läuft Gefahr, die Hälfte zu übersehen: Rohbernstein ist von einer braunen bis dunkelbraunen Verwitterungskruste überzogen und ähnelt beim ersten Hinsehen eher verrottetem Holz. Bei Bernsteinfunden an der Ostsee ist diese Vermitterungskruste allerdings häufig durch die Reibung mit Sandkörnern abgeschliffen, der Bernstein damit oft gut erkennbar. Es ist wahrscheinlich wie beim Pilzesuchen: Man muss erst einen Blick dafür entwickeln. 

Als Hilfsmittel für die Suche am Strand eignet sich ein quadratischer, grobmaschiger Kescher mit einer Maschengröße von fünf Millimetern. Das Netz einfach flach über den Meeresboden ziehen und sich überraschen lassen, was sich so alles verfängt.

Bernstein mit Vakuole (Bild: privat)

Leichter als Glas: Wie man Bernstein erkennt

Wer zum ersten Mal Bernstein in der Hand hat, staunt oft, wie leicht er sich anfühlt. Das ist auch ein Grund, warum er als Schmuckstein so angenehm zu tragen ist. Bernstein ist in jedem Fall leichter als Glas und nimmt schnell Wärme an. Das mag ein erster Hinweis sein, wenn man beim Strandspaziergang den noch relativ unansehnlichen Rohbernstein entdeckt. Oft sind die Stücke nur so groß wie ein Fingernagel! Doch es gibt eine ganze Reihe von Möglichkeiten, bei Bernstein die Probe aufs Exempel zu machen:

  1. Die Kochsalz-Probe: So viel Salz in einem Glas Wasser auflösen, bis das Wasser kein Salz mehr aufnimmt. Bernstein schwimmt mit seiner relativ geringen Dichte in gesättigten Salzlösungen.
  2. Die Fichtennadel-Probe: Bernstein ist wie Kohle brennbar. Angezündet flammt er kerzenartig auf. Um die Echtheit zu prüfen, genügt es aber schon, eine Nadel über einer Flamme zu erhitzen und den Stein damit zu berühren. Entsteht dabei ein angenehmer Duft nach Fichtennadeln, kann man fast sicher sein, echten Bernstein in Händen zu halten. Das ist schon seit jeher bekannt. Denn der Name Bernstein kommt vom mittelniederdeutschen bernen, was so viel wie brennen heißt 
  3. Der Papierschnipsel-Test: Bernstein lädt sich elektrostatisch auf, wenn man ihn an Baumwolle, Seide oder Wolle reibt. Seine Reibungselektrizität reicht aus, um kleine Papierschnipsel, Woll- oder Staubflusen anzuziehen. Das wussten schon die alten Griechen: Das Wort Elektron steht deswegen ursprünglich für – na??? Bernstein natürlich!
  4. Die Zahnklopf-Probe: Wer einmal mit einem Bernstein vorsichtig gegen einen eigenen Zahn geklopft hat, weiß beim nächsten Mal genau, wie echter Bernstein klingt. Vielleicht einfach mal mit einem Bernstein-Anhänger aus Omas Schmuckkästchen probieren...
Geschliffene Steine und Bernstein-Ro ...

Geschliffene Steine und Bernstein-Rohlinge. (Bild: privat)

Jahrmillionen alte Lebewesen: So werden die Einschlüsse sichtbar

Nicht enttäuscht sein, wenn ihr nur kleine Bernstein-Stücke findet. Denn die Chance, auf interessante Spuren einstiger Lebewesen und Pflanzen zu stoßen, ist immer gegeben. Doch dazu muss man erst einmal das Harz von seiner Verwitterungskruste befreien. Dazu ist nur Wasser, eine Fliese zum Unterlegen und Handschleif-Papier mit einer 80er-Körnung nötig. Die Zahl bezieht sich auf die Anzahl der Körner pro Zentimeter. Man fängt also mit einem relativ groben Schleifpapier an.

Bevor man zum nächstfeineren Schleifpapier greift, sollte man schon einmal einen vorsichtigen Blick ins Innere des Steins werfen. Dazu genügt ein einfaches Mikroskop wie ein Binokular mit einer zehn- bis 60-fachen Vergrößerung. Fürs Erste tut es aber auch eine Lupe mit zehn- bis 20-facher Vergrößerung. Dieser frühe Test ist sinnvoll, um zu verhindern, interessante Einschlüsse wie Flügel oder Beine eines Insekts aus Versehen abzuschleifen.

Nach der 80er-Körnung geht es mit einem 500er-Blatt weiter. Dann kann man zu einer 1000er-Körnung und am Ende zu einer 2000er-Körnung greifen. Und um die Oberfläche am Ende richtig schön zum Glänzen zu bringen, hat es sich als gutes Mittel erwiesen, den Stein mit Zahnpasta an einer rauen Jeans zu polieren.

Mühsam wird es mit dem Schleifpapier aber immer, wenn die Bernstein-Stücke relativ klein sind. Wer viel sammelt, für den lohnt es sich, einen Spirator anzuschaffen, der für 200 bis 300 Euro im Mineralien-Fachhandel angeboten wird. Ein namhafter Anbieter ist beispielsweise das Dr. F. Krantz Rheinisches Mineralien-Kontor.

Wie in einer kleinen Waschmaschinen-Trommel (Fassungsvermögen: 1,5 Liter oder 2,8 Liter) werden die Steine zusammen mit Schleifmittel hin- und hergewirbelt und reiben sich dabei ab. Das dauert aber: Mitunter muss man den Spirator über viele Wochen immer wieder laufen lassen. Als Schleifmittel eignet sich am besten Aluminiumoxyd. Später kann man die Steine mit dem Spirator auch polieren. 

Und noch ein Tipp: Wer ein Loch in kleine Bernsteine bohren will, um daraus Ketten und Anhänger zu machen, muss den Stein unbedingt nass machen. Denn das Harz wird beim Bohren heiß und läuft sonst Gefahr, Risse zu bekommen.

Faszinierende Entdeckungen: Was sich im Bernstein verbirgt

Inklusen nennen sich die Einschlüsse von Tieren und Pflanzenteilen, die im Bernstein verborgen sind. Das Harz bescherte vor allem Insekten einen süßen Tod. Und den heutigen Bernstein-Sammlern dreidimensionale Fossilien, die bis heute jedes anatomische Detail erkennen lassen. Sogar die Netzstruktur der hauchzarten Flügel von Insekten hat sich erhalten. Da sind Schmetterlinge, Spinnen, Skorpione, Heuschrecken, Fliegen, Käfer und Stelzmücken zu finden. Manchmal hält das polymerisierte Harz auch dramatische Momente fest: Da zwickt beispielweise ein Moosskorpion gerade einer Spinne ins Bein... Es kann auch vorkommen, dass sich im Bernstein eine Vakuole mit Wasser und Gaseinschlüssen gebildet hat. Sie lassen den Stein milchig wirken – als ob Wolken im Inneren wabern.

Aber wer kennt sich schon mit tropischen Insekten der Urzeit aus? Ein gutes Nachschlagewerk, um herauszufinden, mit welchem Getier man es zu tun hat, ist der Atlas der Pflanzen und Tiere im Baltischen Bernstein von Wolfgang Weitschat und Wilfried Wichart. Wer da nicht fündig wird, kann sich an Fossilienkenner wenden. Auf der Online-Plattform Steinkern.de treffen sich Experten einer engagierten Fossilien-Community. Dort hat jeder die Möglichkeit, Fotos von rätselhaften Funden hochzuladen und eine kompetente Auskunft zu erhalten.

Was jedoch in jedem Fall ein Märchen ist: Die Sache mit "Jurassic Park". In dem Kinohit von 1993 züchten die Helden Dinosaurier, indem sie Blut und damit DNA aus dem Bernstein extrahieren – Blut von Riesenreptilien, die von der im Bernstein eingeschlossenen Stechmücke gestochen worden waren. Humbug? Nicht ganz: Die Idee hat britische Wissenschaftler noch eine ganze Zeit nach Erscheinen des Science Fiction beschäftigt: Sie kamen 2013 in einer Studie aber zu dem Schluss, dass es höchst unwahrscheinlich ist, Dino-Erbgut aus Bernstein zu gewinnen.

Schicht um Schicht erhärtet: Bernstein-Schlaube (Bild: privat)

Last not least: Was ist Bernstein eigentlich wert?

Bernstein wird gerne als das Gold der Ostsee bezeichnet. Noch in den 90er-Jahren galt: Ein Gramm für eine Mark. Doch inzwischen hat die Nachfrage in Asien die Preise in die Höhe schnellen lassen. In China gilt Gelb als die Farbe des Wohlstands, und die wachsende, gut situierte Mittelschicht im Reich der Mitte greift aus Prestige gerne zu. Relativ dunkler Bernstein ist in arabischen Ländern sehr beliebt, um daraus Gebetsketten zu machen. Wenn Farbe, Form und Größe stimmen, sind mit Bernstein erstaunliche Preise zu erzielen.

Apropos Form: Am häufigsten sind die sogenannten Schlauben. Sie entstanden, als das Harz am Baumstamm herunterlief. Es sind flache Stücke, die oft schichtweise aufgebaut sind. Jede Schicht steht für einen Harzfluss. Einschlüsse sind bei Schlauben oft an den Trennflächen zwischen den einzelnen Schichten zu finden. Man kann sich leicht vorstellen, wie ein Insekt auf einer Schicht festklebte und dann von der nächsten Harzschicht bedeckt wurde.

Manchmal tropfte das Harz aber auch vom Baum herunter, zog dabei Fäden und es bildeten sich Tropfstein-Zapfen. Am seltensten und wertvollsten sind aber die Tropfenbernsteine, die als einzelne Tropfen des Harzes im Herunterfallen aushärteten.

Doch egal, welcher Preis mit Bernstein zu erzielen ist: Der eigentliche Schatz befindet sich sowieso im Inneren. Und deswegen ist es auch nicht schlimm, wenn man beim Suchen nur auf Stücke stößt, die gerade einmal so groß sind wie ein Fingernagel. Denn in kleinen Steinen verbergen sich oft die schönsten Insekten, lautet die Erfahrung von Andreas nach 30 Jahren Sammelleidenschaft. Und wenn er es nicht weiß, wer dann?

Mondstein, am 26.11.2017
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