"Ein Spottname der Schwaben": Die Gebrüder Grimm müssen's wissen

Der Ausdruck Gelbfüßler scheint als Schimpfwort schon seit vielen Jahrhunderten etabliert zu sein. So etabliert, dass schon die Gebrüder Grimm das Wort selbstverständlich in ihrem 1854 erschienenen Wörterbuch notierten. Unter Gelbfüszler ist dort vermerkt: vor zeiten ein spottname der Schwaben bei ihren nachbarn.

Wie der Begriff entstanden ist, dazu kursieren drei verschiedene Erklärungen:

1. Erklärung: die sozialgeschichtliche Variante

Die Menschen im Südwesten Deutschlands waren so arm, dass die meisten von ihnen barfuß gehen mussten. Dementsprechend staubig-lehmig-gelb waren ihre Füße. Mich überzeugt das allerdings nicht wirklich. Schließlich lebten die meisten Menschen in Europa des 16., 17 und 18. Jahrhunderts unter ärmlichen Bedingungen, viele von ihnen konnten sich keine Schuhe leisten. Aber diese Erklärung punktet immerhin mit Einprägsamkeit.

2. Erklärung: die gern erzählte Anekdote

Es klingt fast wie ein Schwabenstreich: Die Bopfinger (Bopfingen liegt im Nördlichen Ries, also ganz im Osten des heutigen Baden-Württembergs) mussten seinerzeit ihrem Herzog Tribut zollen – und zwar in Form von Hühnereiern. Es waren so viele gefordert, dass sie kaum in den Korbwagen passen wollten. Deswegen tragen die Bopfinger die Eier einfach mit den Füßen platt. Aus logistischen Gründen quasi. Wie die Füße hinterher aussahen, kann sich jeder leicht vorstellen. Diese Anekdote wird übrigens auch in anderen Landstrichen erzählt. Die Bopfinger standen mit dieser Strategie, herrschaftlichen Despotismus zu unterlaufen, offensichtlich nicht allein.

3. Erklärung: regionaltypische Beinkleider

Wer in Süddeutschland unterwegs ist, darf sich nicht irritieren lassen: Wenn da von langen Fiaß die Rede ist, sind damit die Beine gemeint. Insofern könnte auch die dritte Erklärung stimmen: Vielleicht waren es die ledernen Hosen der Winzer im Weinland Baden und Württemberg, die den Bewohnern der ganzen Region den Spitznamen Gelbfüßler einbrachten. Auch die gelbe Livree schwäbischer Bediensteter bei Hofe wird als Erklärung in Betracht gezogen.

Was Napoleon mit den Gelbfüßlern zu schaffen hat

Vielleicht wären die Schwaben auch heute noch Gälfiäßler, wäre nicht Napoleon auf den Plan getreten. Mit dem Reichsdeputationshauptschluss von 1803 wurden die Grenzlinien im Gelbfüßler-Reich neu gezogen, es entstand das Kurfürstentum Baden und das Kurfürstentum Württemberg, das sich 1806 sogar zum Königreich mauserte. Die Badener hatten anscheinend die deutlich größere Affinität zur Farbe Gelb: Ihr Wappen markiert den Rhein auf gelbem Grund und auch das Badische Regiment trug angeblich gelbe Gamaschen. Ob das die Erklärung ist? Egal wie, eines steht fest: Von 1900 an kommt allein den Badenern die Ehre zu, sich als Gelbfüßler verspotten zu lassen. Nur die Bezeichnung "Badenser" ist noch schlimmer. Das ist ein wirklich abfälliges Schimpfwort.

Zur Geschichte des Wortes Gelbfüßler hat Rudolf Post, der elf Jahre das Projekt Badisches Wörterbuch an der Uni Freiburg leitete, einen Aufsatz für die Muettersproch-Gesellschaft verfasst. Dort sind jede Menge Belegstellen aufgeführt. Aber besonders schön finde ich das Resümee des Dialektforschers am Ende der Abhandlung. Denn da kommt der Sprachforscher zu dem Schluss, dass sich die Badener ihres Gelbfüßler-Daseins keineswegs zu schämen brauchen:

Wie dem auch sei, der Name Gelbfüßler ist heute für die Badener gut eingeführt, und es gibt, egal welcher Deutung man zuneigt, keinen Grund, sich dafür zu schämen. Er kann (...) selbstbewusst geführt werden. Immerhin wissen wir nun, dass seine Ursprünge mehr als 400 Jahre zurück liegen.

Süßer Nachschlag: Im Land der bauchigen Berge

Ob Spitzname oder Schimpfwort: Die Badener nehmen's mit Humor, Gälfiäßler zu sein. Und sind auf bestem Weg, der Bezeichnung zu einem positiven Image zu verhelfen. Die alemannisch-badische Gälfiäßler-Band ist im Guinness-Buch der Rekorde vertreten, weil die Musiker es schaffen, zu viert mit mehr als 150 skurrilen Instrumenten zu hantieren – darunter ein Abflusstöner und ein Hufeisen-Xylophon. Sie kriegen es hin, das Badnerlied auf 22 verschiedenen Instrumenten zu intonieren.

Wer den Songs der Gälfiäßler lauscht, bekommt im "Kulinarischen Badnerlied" sämtliche Köstlichkeiten wie Brägele (Bratkartoffeln) oder sure Leberle (saure Leber) serviert. Oder erfährt, was das wichtigste Körperteil des Mannes ist: de Ranze nämlich. Im Schwarzwald, wo selbst die Berge Bäuche haben, ist das vielleicht kein Wunder. 

Das süße Teilchen Badens

Apropos Leibesfülle: Wem es nichts ausmacht, ob der Ranze ein bisschen mehr oder weniger rund ist, kann unbeschwert von den leckeren Kalorienbomben kosten, die von den Gälfiäßlern inspiriert sind: In der Konditorei Mario Köhler aus Ubstadt bei Karlsruhe locken nämlich Torten, Desserts, Schokotaler und Pralinen in Form von Füßen – 20 Prozent der Einnahmen sind für soziale Zwecke bestimmt. Eine prima Gelegenheit, um de Ranze zu pflegen. Infos: wir-gelbfuessler.de. 

Die Website der Konditorei ist übrigens zweisprachig: Da wird alles auf Hochdeutsch und Badisch erklärt. Eine Kostprobe gefällig?

Bade hat a kulinarisch Idändität. Der Gelbfüßler - Das süße Teilchen Badens. Hol da uff unsere Seite ordentlich Appetit. Und wend dem badische Scharm nemmer widerschtehe kannsch, b'schtellsch glei für dich un an liebe Mensch a Pärle Gelbfüßler. Denn: Gmoinsam gnieße isch oifach schener.

Das süße Teilchen Badens möcht in kloine Schritte d'Region positiv veränerre. Deshalb lasse mer 20 Prozent vom Preis gern soziale Eirichtunge, wie zum Beischpiel "De Tafel" zukomme. Außerdem welle ma em Schleckermäulche was Gudes dun. Der Gelbfüßler bschteht aus echte Zutate. 100 Prozent Fruchtfloisch un koi künschtliches Gedöns.

Literarischer Nachschlag: Einer der sieben Schwaben

Zugegeben: Den Namen des Autors Ludwig Aurbacher muss man nicht kennen. 1784 ist er in Türkheim geboren. Er war also selbst Schwabe, verbrachte aber einen Großteil seines Lebens als Ordensmann in Bayern. Bis heute ein Begriff sind jedoch seine Geschichten von den sieben Schwaben, die er von 1827 bis 1829 in seinem "Volksbüchlein" veröffentlichte. Der Clou: Einer der sieben Schwaben ist der Gelbfüßler!

Originalausgabe der 1832 erschienenen "Sieben Schaben" Wie die verbleibenden sechs Schwaben hießen? Da ist der Seehas, der Nestelschwab, der Knöpfleschwab, der Allgäuer, der Blitzschwab und der Spiegelschwab. Aurbacher führt jeden seiner Helden sorgfältig ein und erzählt genau, woher der jeweilige Namen stammt. Zuerst kommen der Seehas und der Nestelschwab dran:

Es ist aber an der Zeit, daß ich dich, günstiger Leser, mit den Helden dieser Geschichte näher bekannt mache, und was dir sonst zu wissen nöthig ist, aufrichtig erzähle. Vernimm also, daß der Seehaas ausgegangen ist (...). Er ist aber zu Ueberlingen am Bodensee zuerst Eschhay, dann Bannwart gewesen. Der traf unweit Freiburg im Breisgau den Nestelschwaben an. (...) Und die Geschichte weiß noch bis heutig's Tag nicht anzugeben, was dieser Mensch für ein Landsmann gewesen, ob ein Schwab oder ein Schweizer, oder ein Pfälzer, oder sonst einer aus dem deutschen Reich; denn er redete in allen Landssprachen und in keiner recht. Er wird aber der Nestelschwab darum genannt, weil er, statt der Knöpfe, Nesteln hatte an Janker und Hosen; und da die meiste Zeit eine und die andere zerrissen war, besonders an den Hosen, so mußte er immer nachhelfen mit der einen Hand, was ihm dann so sehr zur Gewohnheit geworden, daß er auch dann so that, wann er nicht also hätte thun dürfen.

Beim Gelbfüßler greift der volkstümliche Autor auf die Geschichte der Bopfinger zurück: 

Man erzählt, daß als die von Bopfingen ihrem Herzog die jährliche Abgabe, die in Eiern bestanden, einstmals geben wollten, hätten sie die Eier in einen Krättenwagen Gethan, und damit recht viele hinein gingen, mit den Füßen eingetreten, was denn ihrer Ehrlichkeit keine Schande macht. Daher haben sie denn alle, die aus jener Gegend sind, in böser Leute Mund den Namen Gelbfüßler erhalten. 

Die sieben Schwaben sind eine Form südwestdeutscher Musketiere. Ihr Motto: Alle für einen und einer für alle. Oder wie Aurbacher es ausdrückt: Wie alle Sieben für Einen, so für alle Sieben nur Einen. Der Gelbfüßler wird als sehr pragmatisch-praktischer Zeitgenosse charakterisiert: Die Sporen für seine Stiefel kauft er sich nicht nur, um sein Pferd anzutreiben, sondern für den Fall der Fälle auch selbst nach hinten austreten zu können.

Auf dem Weg von Augsburg zum Bodensee ist es der zielorientierte Gelbfüßler, der vorschlägt, statt über die Berge mit dem ständigen Auf und Ab lieber entlang der Flusstäler zu wandern. Durchsetzen kann er sich mit dieser Idee allerdings nicht: 

Der Gelbfüßler aber sagte: Über das Gebirg sei es ein Umweg; sie sollten ihm folgen bis an den Neckar; der Neckar fließe in den Rhein, und der Rhein in den Bodensee. »Potz Blitz!« sagte der Blitzschwab, »ein braver Mann geht gradaus.« Und die andern lobten ihn deshalb, und sie beschlossen, gradaus zu gehen, zwischen Göggingen und Pfersen durch, und weiter. Und so wateten sie denn durch die Wertach, weil die Brücke abseiten lag, und gingen weiter über Stock und Stein, über Wiesen und Felder, durch Wüsten und Wälder, Berg auf Berg ab, bis sie an Ort und Stelle kamen. 

Auch ansonsten ist bei Aurbachs Gelbfüßler der Name Programm. Immer wieder geht es um seine "Stiefele" oder das Weglaufen. Auch bei der Geschichte mit der Wahrsagerin ist das so: 

Die sieben Schwaben hatten aber auf dem Wege dahin noch viele Abenteuer zu bestehen, woran sicher die Zigeunerin schuld war, die alte Hex. Die saß nämlich außerhalb Kriegshaber an einer Staude am Weg und kochte ein wunderliches Zeug durcheinander. – »Knöpfle sind's einmal nicht,« sagte der Knöpfleschwab, als er in den Kessel hineinguckte; und der Blitzschwab meinte gar, er sehe auf der schwarzbraunen Brüh statt Pfeffer und Schmalz Mausdreck und Krötenaugen schwimmen, so daß es ihm fast den Magen im Leibe umkehrte. Der Spiegelschwab aber ging auf die Zigeunerin zu und sagte: »Alte Trampel! du mußt mir wahrsagen.« Die besah ihm die Hand und sagte: »Wer Weiberjoch auf sich muß tragen. Hat wohl von großer Not zu sagen.«

»Die Blitzhex redet wahr,« sagte der Spiegelschwab und schob den Gelbfüßler hin. Dem lugte sie auch in die Hand und sagte: »Einem, der ist übermannt, Dem ist das Fliehen keine Schand.«

»Die stichelt auf meine Stiefele,« dachte er, »und sie weiß, daß ich laufen kann.«  

Wer Lust hat, die komplette Geschichte der sieben Schwaben zu lesen, hier ist sie in voller Länge zu finden: http://gutenberg.spiegel.de/buch/abenteuer-der-sieben-schwaben-und-des-spiegelschwaben-2006/1

 

Titelfoto: Hans Braxmeier/pixabay.com

Mondstein, am 30.12.2013
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