Kennenlernen

Er macht sich nicht wirklich beliebt, der innere Kritiker. Kein Wunder, dass wir uns am liebsten die Ohren zuhalten würden, wenn er anfängt zu reden.

Es macht aber Sinn, unseren inneren Kritiker ein bisschen besser kennenzulernen. Wenn man weiß, in welchen Situationen er besonders gerne "zuschlägt", können wir auf seine Angriffe besser vorbereitet sein und mit Einwänden rechnen. So sind wir dem inneren Kritiker immerhin schon einen Schritt voraus.

"Danke" sagen

Sehr praktische und effektive Strategien für einen besseren Umgang mit der kritischen Stimme in unserem Kopf hat die Akzeptanz- und Commitmenttherapie (kurz: ACT) parat.

Zum Beispiel:

  • Dem inneren Kritiker einfach "Danke" sagen – schließlich meint er es mit seinen Ratschlägen ja im Grunde nur gut und möchte uns helfen. Es ist die Aufgabe unseres Gehirns, uns vor Gefahren zu schützen und uns auf Negatives aufmerksam zu machen. Würde es das nicht tun, könnten wir kaum überleben. Deshalb sollte das "Danke" auch nicht ironisch sein, sondern wirklich ernst gemeint. "Danke, dass du mich darauf hingewiesen hast." Oder: "Danke für den Tipp."

  • Neutral auf die Hinweise des inneren Kritikers reagieren: "Aha." "Interessant …" "Du meinst also, dass ich …"

  • Sich wiederholende Gedankenschleifen stoppen: "Danke, aber das kenne ich doch schon."

Worum es dabei geht: Die innere Stimme und ihre kritischen Äußerungen einfach etwas weniger ernst zu nehmen, sich vom inneren Kritiker zu distanzieren.

Es sind schließlich nur Gedanken. Nur Worte. Nur eine Aneinanderreihung von Buchstaben. Diese können uns weder bedrohen noch verletzen – und auch unser Leben nicht beeinflussen, wenn wir es nicht zulassen.

Auf Distanz gehen

Distanz zur inneren Stimme aufbauen kann man zum Beispiel mit diesen Strategien:

  • Wie wäre es, dem inneren Kritiker die Stimme einer witzigen Cartoonfigur zu geben, etwa Donald Duck, Fred Feuerstein oder Bugs Bunny?

  • Wie würde es aussehen, wenn der "böse" Spruch des inneren Kritikers auf einem quietschbunten T-Shirt abgedruckt wäre?

  • Wie würde es sich anhören, wenn wir die Worte des inneren Kritikers mit übertrieben unheilvoller und über-dramatischer Stimme wiederholen? ("Oh du meine Güte, du hast ja absolut recht, ich bin wirklich der mit Abstand unfähigste Mensch der ganzen Welt!")

  • Wirkungsvoll kann es auch sein, dem inneren Kritiker einen Namen und eine Persönlichkeit zu geben: Vielleicht sehen wir unseren inneren Kritiker als einen ewig nörgelnden alten Onkel. Oder als ein unsicheres Kind. Oder als einen zerstreuten Professor.

Weitere originelle und wirkungsvolle Ideen, um "böse" Gedanken in harmlose Worte zu verzaubern, bietet die Akzeptanz- und Commitmenttherapie.

Meine Leseempfehlungen: 

Keine Aufmerksamkeit schenken

Wer es sich noch leichter machen möchte: Die beste, wirkungsvollste und sinnvollste Strategie gegen den inneren Kritiker ist, ihm keine weitere Aufmerksamkeit zu schenken. Negative Gedanken lassen sich zwar nicht verdrängen – im Gegenteil, Widerstand macht sie nur stärker – man muss sich aber auch nicht länger als nötig mit ihnen beschäftigen.

Die Gedanken dürfen da sein, man muss aber nicht auf sie reagieren. Nimmt man den "Gedankenbumerang" nicht auf, dann bleibt er liegen. Wirft man ihn jedoch weg, kommt er postwendend wieder zurück.

ACT-Therapeuten weisen darauf hin, sich bewusst zu machen: Es ist eigentlich vollkommen egal, was der innere Kritiker sagt, solange ich mein Handeln nicht nach seinen Anweisungen ausrichte und mich durch ihn in meinen Aktionen und Entscheidungen nicht einschränken lasse.

Wie also zähmt man den inneren Kritiker?

Man muss ihn nicht zähmen. Es gelingt sowieso nicht und es lohnt sich auch nicht. Es geht nur darum, sich vom inneren Kritiker nicht abhalten zu lassen, weiter den gewünschten Weg zu gehen.

Ganz praktisch ist es zum Beispiel möglich, selbst mit dem Gedanken "Ich bin eine schlechte Mutter" liebevoll für das eigene Kind zu sorgen – das eine schließt das andere nicht aus. Es ist nur ein harmloser, belangloser, zufälliger Gedanke, auf den man nicht reagieren muss.

Weitere Beispiele:

Der innere Kritiker sagt: "Ich kriege das mal wieder nicht hin, ich stelle mich dumm an, ich bin so ungeschickt."

Aber ich bleibe trotzdem dran und versuche es.

Der innere Kritiker sagt: "Bestimmt stehe ich auf der Party wieder ganz alleine in der Ecke und keiner spricht mich an ..."

Aber ich gehe trotzdem hin und schaue mal, was passiert.

Der innere Kritiker sagt: "Ganz sicher werde ich in der Prüfung versagen, das weiß ich jetzt schon."

Aber ich werde es trotzdem versuchen und mein Bestes geben.

Manchmal tut's einfach weh

Stimmt, manchmal tut es einfach nur weh, was der innere Kritiker uns da an den Kopf wirft …

Wenn der innere Kritiker also einen wunden Punkt trifft oder mit besonderer Härte zuschlägt, wenn man das Gefühl hat, sich nicht wehren zu können: Ein bisschen Selbstmitgefühl kann manchmal Wunder wirken!

Mein persönlicher Lieblingstipp: Sich in diesem Moment einfach mal "klein" sein lassen und sich gleichzeitig durch Selbstmitgefühl stärken.

Ernst Bohlmeijer und Monique Hulsbergen (Autoren des Ratgebers Im Augenblick leben: In 9 Wochen zu mehr Achtsamkeit mit der Akzeptanz- und Commitmenttherapie) schreiben:

"Wenn Sie merken, dass Sie anfangen, sich klein zu fühlen, können Sie versuchen, dies zuzulassen und sich liebevoll sich selbst gegenüber zu verhalten. Vielleicht wird Ihnen dann klar, dass Sie so, wie Sie sind, völlig okay sind."

Manchmal hilft es schon, wenn man sich sagt: "Ganz schön ungerecht, dass mich diese nörgelnde innere Stimme permanent quält. Dabei gebe ich doch mein Bestes, um das hier richtig zu machen. Ich wünschte, ich hätte es etwas einfacher …"

Zugegeben: Schöner, leichter und angenehmer wäre es ohne diese negative, nörgelnde und zuweilen sogar quälende Stimme in unserem Kopf. Doch ganz eliminieren können wir sie wahrscheinlich nie.

Ist aber auch besser so: Schließlich brauchen wir die Warnungen unseres Gehirns, damit wir nicht zu unvorsichtig und leichtsinnig werden.

Und wenn wir ganz ehrlich sind: Ab und zu hat unser innerer Kritiker ja sogar mal recht … er könnte seine Kritik nur etwas netter formulieren.

"Mob im Kopf"

Für alle, die bildhafte Vorstellungen mögen, eine Idee aus einem Buch von Julia Hastings:

Die Autorin schlägt vor, sich eine Menschenmenge vorzustellen, die auf einem großen Platz mitten in einer Stadt versammelt ist. Es herrscht viel Lärm, die Menschen schreien durcheinander, manche pöbeln sogar und beschimpfen sich gegenseitig.

Es dauert eine Weile, aber ganz allmählich löst sich der Mob auf. Es wird immer ruhiger, die Stimmen verhallen, einer nach dem anderen gehen die Menschen nach Hause ...

Bis der Platz am Ende menschenleer und vollkommen still ist.

So ähnlich können wir uns auch die Stimme bzw. den "Lärm" in unserem Kopf vorstellen. Allmählich lässt er nach und es wird immer ruhiger. Belastende Gedanken können wir einfach beobachten und ziehen lassen. Warten, bis sie von selbst wieder verschwinden. 

Michaela, am 24.03.2017
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Autor seit 13 Jahren
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