Was war Wirecard für ein Unternehmen?

Wircard war ein Zahlungsdienstleister ähnlich wie Sumup oder PayPal. Allerdings war das Unternehmen rein auf Geschäftskunden fokussiert, zu den Kunden zählten Namen wie Aldi, Ikea oder Telefonónica. Als sogenannter Acquirer leitete Wircard das Geld der Kunden an den Händler weiter. Sollte es zu einem Zahlungsausfall kommen, haftet der Dienstleister, der Händler bekommt trotzdem das Geld, in diesem Fall aber nicht den kompletten Betrag.

Als Sicherheit behält jeder Acqirer einen kleinen Teil der Zahlung ein, bis dieser das Geld komplett erhalten hat. Zahlt ein Kunde beispielsweise 50 Euro, überweist der Aquirer nur 45 Euro an den Händler. 4 Euro werden als Sicherheit einbehalten, 1 Euro beträgt die Geschäftsgebühr. Ist die Zahlung komplett geleistet, bekommt der Händler die restlichen 4 Euro. Die Margen der Zahlungsdienstleister sind tatsächlich nicht riesig, es ist ein Geschäft, dass rein über Masse läuft.

1999 wurde Wirecard gegründet und bewegte sich zunächst im etwas "anrüchigen" Geschäft der Zahlungsabwicklung für Porno- und Glücksspielseiten. 2002 kam dann der Österreicher Markus Braun in das Unternehmen und wurde dort zunächst Vorstandsvorsitzender. Braun baute das Geschäftsmodell zunächst grundlegend um - von Porno zu Business. Dafür beschaffte er unter anderem die Vollbanklizenz. Diese wird benötigt, um überhaupt Kreditinstitut beziehungsweise ein bankähnliches Unternehmen zu betreiben, wie Wirecard eines war. 2018 brachte Braun Wirecard an die Börse. In den Glanzzeiten war das Unternehmen mehr wert als die Deutsche Bank.

WebSummit 2019

WebSummit 2019 (Bild: Web Summit / Flickr)

1,9 Milliarden Euro - einfach verschwunden

Am 24. April 2019 schicken die Wirtschaftsprüfer von Ernest und Young (heute EY) eine 25 Seiten lange Präsentation an den Aufsichtstrat von Wirecard - einen Tag bevor die Bilanz veröffentlich werden soll. Die hat es in sich. Bei mehreren Wircard Tochterfirmen in Asien sind Scheinumsätze festgestellt worden. Es wurden insgesamt 10 Millionen Euro Umsatzerlöse ausgebucht, die es gar nicht gegeben hat. Die Öffentlichkeit erfährt zunächst nichts davon, denn Wirecard löst das Problem auf ganz eigene Weise - dazu weiter unten mehr.

Im Frühjahr 2019 berichtet die Financial Times dann mehrfach über Scheingeschäfte und sogenannte Kreislaufbuchungen der asiatischen Tochterfirmen von Wirecard. Die Unterlagen waren der renommierten Wirtschaftszeitung von einem heute bekannten Whistleblower zugespielt worden. Der CEO Markus Braun bestritt damals übrigens die Scheingeschäfte in einem Interview.

Zeitweise ermittelte die Staatsanwaltschaft München sogar gegen den Journalisten der Financial Times, Dan McCrum. Im Herbst 2019 folgen weitere Artikel der Financial Times über frei erfundene Geschäfte von Wirecard, die Aktie bricht daraufhin erneut ein.

Im Juni 2020 verweigerte EY dann Wirecard das Testat. Zwei Tage später ging eine Adhoc Meldung raus, dass insgesamt 1,9 Milliarden Euro, die eigentlich auf Treuhandkonten liegen sollten, vermutlich nicht existieren - was sich später als Wahrheit herausstellte. Kurz darauf mussten CEO Markus Braun und COO Jan Marsalek, der für den asiatischen Markt verantwortlich war, das Unternehmen verlassen.

Am 25.06.2020 wurde die Eröffnung des Insolvenzverfahrens beantragt. Die Wirecard Aktie, bis dahin eines der Top 30 Wertpapiere im DAX mit einer Marktkapitalisierung von 24 Milliarden Euro, verfällt auf Ramschniveau.

Die unrühmliche Rolle der BaFin

Eine sehr unrühmliche Rolle beim WireCard Skandal spielte die deutsche Bankenaufsicht BaFin, unter anderem sollen Mitarbeiter Wertpapiere von WireCard gekauft und mit Derivaten gehandelt haben. Ein Mitarbeiter wurde mittlerweile angezeigt. Als der Börsenkurs von WireCard abschmierte, verhängte die BaFin ein Leerverkaufsverbot, da sie sogenannte Shortseller am Werk sah. Bis dato ein einmaliger Vorgang. Journalisten, die über die Machenschaften des Zahlungsdienstleisters berichteten, wurden von der Bankenaufsicht lieber angeprangert, als dass die Vorgänge untersucht wurden.

Die BaFin hat daraus Konsequenzen gezogen. Felix Hufeld der Chef der BaFin verlies die Behörde, ebenso wie die Vizepräsidentin Elisabet Roegele - man spricht offiziell von "gegenseitigem Einvernehmen". Mark Branson, der Nachfolger Hufelds, hat seitdem strenge Regeln für den Handel mit Wertpapieren eingeführt.

… und die ebenso unrühmliche Rolle von EY

Kommen wir an dieser Stelle noch einmal auf die 10 Millionen Euro Umsatzerlöse der asiatischen Tochterfirmen zurück. Denn Wirecard hatte für dieses kleine "Problem" natürlich eine Lösung. Das Unternehmen buchte einfach 11 Millionen bislang nicht erfasste Umsatzerlöse dagegen - die es ebenfalls nicht gab. Es wurden also Scheinumsätze mit Scheinumsätzen abgedeckt und das während der Prüfung durch EY.

Schon 2018 informierte der Whistleblower die Konzernzentrale über die Scheingeschäfte. Ebenso gingen belastende Dokumente bei EY ein. Diese wurden auch geprüft und ebenso Mitarbeiter von Wirecard befragt. Der Chefbuchhalter räumt irgendwann ein, dass tatsächlich Umsätze von asiatischen Wirecard Töchtern nur auf dem Papier existent sind - was auch in der Präsentation erwähnt wird. Zum großen Haken an der Sache kommen wir aber gleich.

Wirecard hatte die Anwaltskanzlei Rajah & Tann in Singapur beauftragt, um die Vorwürfe der Scheingeschäfte zu untersuchen. Diese kam zu dem Schluss, dass es sich dabei um Bilanzmanipulation, Betrug und Urkundenfälschung handelt - worüber EY auch informiert wurde, im Testat von 2018 aber mit keiner Silbe erwähnt wurde.

Im Geschäftsbericht heißt es tatsächlich abschließend, dass bei den Untersuchungen in Asien "keine Feststellung mit wesentlichem Einfluss auf die Vermögens-, Ertrags- und Finanzlage der Gesellschaft" getroffen wurde (Quelle BR). Im April 2019 bekommt Wirecard dann das uneingeschränkte Testat für den Abschluss 2018 von EY. Erst im Juni 2020 verweigert die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft dem Zahlungsdienstleister das Testat für den Abschluss 2019, während in den Jahren davor (in denen es auch schon Unregelmäßigkeiten gab) die Testate immer erteilt wurden. Die Bilanzen aus den Jahren 2017 und 2018 wurden mittlerweile von einem Zivilgericht für nichtig erklärt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Das mehr als unrühmliche Verhalten der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft hat allerdings Konsequenzen. Die Wirtschaftsprüfungsaufsicht APAS verhandelt derzeit gegen EY. Das Urteil, welche Sanktionen verhängt werden, wird im nächsten Jahr erwartet. Das Spannende daran ist, dass nicht nur gegen EY ermittelt wird, sondern auch gegen einzelne aktuelle und ehemalige Mitarbeiter. Im Raum stehen Urteile, die von einer Rüge bis hin zu einem Berufsverbot und/oder einer Geldstrafe bis zu 1 Million Euro reichen. Der Imageschaden, den EY und dadurch auch die ganze Branche erlitten hat, dürfte allerdings nicht wiedergutzumachen sein.

Im nächsten Teil der Artikelreihe - der Fall ist einfach zu umfangreich, um alles in einem Artikel zu behandeln - geht es dann unter anderem um den Ex-CEO Markus Braun und den flüchtigen Jan Marsalek.

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