Die Woodward Dream Cruise in Detroit
Wer US-Straßenkreuzer liebt, kann ins Museum gehen – oder im August nach Detroit reisen: Bei der Woodward Dream Cruise fahren getunte Amischlitten den Highway M-1 rauf und runter.Pontiac Firebird auf der Woodward Dream Cruise (Bild: Cornelia Schaible)
Immer am dritten Samstag im August cruisen die Muscle Cars über den Highway, als gäbe es keine Klimaerwärmung und als hätte der Preis für die Gallone Benzin die 4-Dollar-Marke nicht schon öfters überschritten. Kein Wunder: Als die Classic Cars ihre große Zeit hatten, wurde der Spritpreis in Cent angeben. Damals trugen die "Großen Drei" – die Detroiter Autokonzerne GM, Ford und Chrysler – ihren Namen noch zu Recht, und das amerikanische Selbstverständnis bemaß sich in Hubraum und Motorleistung. In Michigans Autostadt war das auf jeden Fall so. In den 1950er- und 1960er-Jahren bretterten Jugendliche in lauen Sommernächten in ihren aufgemotzten Schlitten die Woodward Avenue rauf und runter, machten kleine illegale Wettrennen, Drag Races genannt, wie James Dean in "…denn sie wissen nicht, was sie tun". Woodwarding nannte man das in der Motor City.
Plüschwürfel am Rückspiegel
In Erinnerung an diese goldenen Zeiten holen Auto-Fans ihren Oldie, an dem sie fast ein Jahr lang tüchtig herumgeschraubt haben, wieder aus der Garage. Und wie auf ein vereinbartes Zeichen tauchen im Hochsommer in der Großstadt plötzlich überall Heckflossen auf. Die historischen Gefährte mit den Plüschwürfeln am Rückspiegel haben alle eine gemeinsames Ziel: Bei der Dream Cruise die Woodward Avenue zu verstopfen.
Die autoverrückte Kultur brachte neben dem Cruisen auch noch andere US-typische Dinge hervor – etwa Drive-in-Restaurants. Ein paar dieser Lokalitäten im ursprünglichen Sinne, wo man das Auto einparkt, die Windschutzscheibe herunterkurbelt und wartet, bis die Bedienung zum Wagenfenster kommt, haben sich in der Motor City erhalten. In Berkley kann man unweit der Dream-Cruise-Strecke an der 12 Mile Road stilecht im A&W einkehren, und in Harrison Township wird man in Eddie's Drive-in noch wie einst auf Rollschuhen bedient. Gegessen wird, na klar, im Auto. Mahlzeit!
Woodward Avenue, zum größten Teil identisch mit State Highway M-1, ist heute 43,5 Kilometer lang und eine der Hauptarterien der Großstadt: Sie verbindet Downtown Detroit mit den nördlich gelegenen Vorstädten. Woodward beginnt an der Jefferson Avenue in Detroit und führt bis in die Stadt Pontiac im Nordwesten der Metropole. Dort beschreibt die Straße einen Kringel. Der Loop, wie der Kringel offiziell heißt, macht Woodward zur Traumstrecke für alle Besitzer von Straßenkreuzern, die am liebsten nur spazieren fahren – Wenden entfällt. Cruisen nennt man dieses ziellose Auf- und Abfahren, eine Art Flanieren mit dem Auto.
Dream-Cruise-Nachwuchs (Bild: Cornelia Schaible)
Cruisen bis zur 8 Mile in Detroit
Die Fastfood-Kultur hat sich seither fest etabliert; die Muscle Cars kamen nach der Ölkrise in den 1970er-Jahren aus der Mode. Und fürs Cruisen zum bloßen Zeitvertreib war der Sprit irgendwann zu teuer. 1995 kam jemand in Ferndale bei Detroit auf die Idee, als Fundraiser für ein Fußballfeld eine nostalgische "Dream Cruise" aufzuziehen. Es blieb nicht bei einem Mal. In wenigen Jahren entwickelte sich aus der Woodward Dream Cruise eine Riesensause, die durch neun Gastgeber-Städte und Gemeinden im Raum Detroit führt. In alphabetischer Reihenfolge sind das: Berkley, Birmingham, Bloomfield Hills, Bloomfield Township, Fendale, Huntington Woods, Pleasant Ridge, Pontiac und Royal Oak. Ein ehrenamtliches Komitee organisiert das Ganze.
Historisch gesehen war das Cruisen ein Phänom der Suburbs, und so führt auch die Dream-Cruise-Strecke nur an den Rand der Stadt Detroit, über die 8 Mile bis zum früheren Messegelände, den State Fair Grounds. Um die Innenstadt in das Spektakel miteinzubeziehen, gibt es neuerdings auch dort verschiedene Begleitveranstaltungen. Nicht zuletzt lohnt sich ein Abstecher zu den ehemaligen Autofabriken in Detroit, etwa Fords Piquette-Werk, wo das Model T zuerst gebaut wurde. Heute befinden sich die meisten Fabriken außerhalb.
Inzwischen gilt die Woodward Dream Cruise als "das weltgrößte eintägige Fest der Autokultur". Das stimmt allerdings nur zum Teil – um ein eintägiges Ereignis handelt es sich dabei schon lange nicht mehr. Vor allem denjenigen, die zur Anreise ein Flugticket brauchen, sei versichert: Auch ein weiter Weg lohnt sich.
Schon den ganzen August über sind auffällig viele Muscle Cars auf der Woodward Avenue unterwegs, und in der Woche vor der Dream Cruise scheinen sie dann aus allen Ecken zu kommen. Täglich stehen auch mehr Campingstühle am Straßenrand. Am Freitag vor dem großen Ereignis kommen dann die Imbissbuden dazu. Und aus den Lautsprechern dröhnt guter alter Rock'n'Roll.
Stilvoll cruisen auf der Woodward Avenue (Bild: Cornelia Schaible)
Viel Blech, von barock bis kantig
Auch Leuten, die sich sonst wenig aus Autos machen, dürften bei der Dream Cruise die Augen übergehen. Allein die schiere Größe dieser rollenden Oldieshow ist überwältigend. Kaum zu glauben, wie viele historische Fahrzeuge es in Michigan gibt. Corvettes, Camaros und Cudas, Mustangs und Thunderbirds – fast alle sind ausgezeichnet erhalten oder restauriert. Man sieht auch Nummernschilder aus anderen US-Bundesstaaten oder dem benachbarten Ontario, also Kanada. Vom Straßenrand aus lässt sich die Entwicklung ganzer Modelllinien ohne weiteres nachvollziehen.
Wie die barocken Formen der 1950er-Jahre sich innerhalb einer Fahrzeuggeneration zur kantigen Karosse der 1960er wandelten, sieht man am besten am Chevy Impala, der zunächst als Edelausgabe der Bel-Air-Serie gebaut wurde. Der nach einer Antilope benannte Impala mit der charakteristischen Dreier-Anordnung der Rücklichter konnte 2008 einen runden Geburtstag feiern: Der erste Wagen mit der charakteristischen Dreier-Anordnung der Rücklichter lief vor 50 Jahren vom Band. Der ikonische Chevy Bel Air mit Heckflosse ist in Detroit ebenfalls höchst präsent, in allen Farben und Varianten.
Bei der Anreise ist zu beachten: Öffentliche Verkehrsmittel sind in der Motor City praktisch nicht existent. Um vom Flughafen zum Hotel und dann später an die Schauplätze der Dream Cruise zu kommen, braucht man auf jeden Falls einen Mietwagen. Darin darf man sogar mitcruisen – zeitgenössische Karossen sind allerdings lediglich auf den beiden inneren Spuren der Woodward Avenue zugelassen. Nur automobile Sammlerstücke fahren außen.
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