Eine "verrückte Idee" und ihre Vorgeschichte

Wenn ich es mir recht überlege, begann alles an einem Frühlingstag vor sechs Jahren, also 2010. Ich saß an meinem Schreibtisch vor dem Computer, damals noch in Bochum, und versuchte, meine Kenntnisse über Rock-Musik und die wirklich großen Rockbands aufzufrischen, da ich mich geradade beim Autorenportal "Suite 101" angemeldet hatte und dort gerne etwas über Rockmusik schreiben wollte. Da ging mir der Name Motörhead durch den Kopf, und ich dachte, dass die Rock-Band Motörhead vielleicht ein interessantes Thema wäre. Also begann ich mit der Recherche. Zunächst wollte ich allerdings herausfinden, ob bei "Suite" vielleicht schon etwas über Motörhead erschienen war, und wurde prompt fündig.

Ich erfuhr, dass der Kulturwissenschaftler René Schlaf schon mehrere Artikel über Motörhead veröffentlicht hatte und scheinbar ein großer Kenner der Band und ihrer Musik war. Ich verfasste nun meinen eigenen Artikel über Motörhead, setzte mich mit René Schlaf in Verbindung und bat ihn, meinen Artikel vor der Veröffentlichung zu lesen. Er kam meiner Bitte nach und bewertete meinen Artikel sehr positiv. Ich wagte daraufhin, ihn zu veröffentlichen. Später erfuhr ich von René, dass er gebürtiger Thüringer ist, seit einigen Jahren in Dresden lebt und nach dem Fall des Eisernen Vorhangs zahlreiche Konzerte von Motörhead in Ostdeutschland besucht hat, weil er schon seit seiner Jugend für die Band schwärmt.

Inzwischen hatte ich auch die - wirklich kenntnisreichen - Artikel über Motörhead gelesen, die René auf "Suite" verfasst hatte, und auf einmal kam mir der Gedanke, dass es für Lemmy und auch die anderen Bandmitglieder doch interessant sein müsste zu erfahren, wie deutsche Wissenschaftler die Band und ihre Musik einschätzen. Auch René war von diesem Vorhaben sehr angetan. Also suchte ich nach einer Möglichkeit, Lemmy und der Band unsere Artikel zu übermitteln.

Eine mühsame Prozedur

Unser Projekt erwies sich allerdings als schwieriger, als wir zunächst gedacht hatten. Denn wir mussten ja zunächst einen Ansprechpartner finden. Recherchen im Internet blieben ohne Ergebnis. Dann erschien zum Jahreswechsel 2010/2011 das 21. Studioalbum von Motörhead: "The Wörld is Yours", und im Begleitheft zur CD fand ich den ersehnten Adressaten, nämlich Todd Singerman, den Chef-Manager von Motörhead. Ich schickte Mr. Singerman eine E-Mail, in dem ich ihm kurz unser Anliegen schilderte, und erhielt umgehend eine Antwort. Und zwar riet er mir, unsere Artikel der internationalen Managerin von Motörhead Ute Kromrey, einer Deutschen, zu schicken. Sie könnte unsere Artikel während der laufenden Tour an Lemmy weiterleiten.

Das war nun wirklich eine gute Nachricht. Aber einfach Frau Kromrey unsere Artikel zuschicken, konnten wir nicht, da sie ja auf Deutsch verfasst waren und Lemmy bekanntlich kein Deutsch sprach. Also mussten wir die Artikel ins Englische übersetzen. Um unsere Arbeit in Grenzen zu halten und auch um Lemmys Zeit nicht über Gebühr in Anspruch zu nehmen, beschloss ich, von den Artikeln über Motörhead, die René verfasst hatte, drei besonders markante auszuwählen und diese zusammen mit meinem Artikel Lemmy zukommen zu lassen. Es waren folglich vier Artikel, die wir übersetzen mussten. Wir gingen dabei so vor, dass ich die Artikel zunächst bearbeitet habe und René dann meine "Übersetzungskünste" überprüft hat. Als wir dann davon überzeugt waren, dass die Artikel für Lemmy lesbar sind, habe ich sie abgeschickt. Das war Anfang November 2011.

Die Resonanz auf unsere Artikel

Mitte November 2011 kam eine erste Reaktion auf unsere Artikel, und zwar von Frau Kromrey. Sie schrieb kurz und knapp: "Sehr cool". Als ich weiter nichts hörte, habe ich Frau Kromrey angerufen und sie gefragt, ob sie unsere Artikel inzwischen an Lemmy weitergeleitet hätte. Anscheinend hatte sie dies noch nicht getan, denn sie fragte zurück: "Was wollen Sie von Lemmy?" Ich musste kurz um Fassung ringen, weil ich so viel Misstrauen nicht erwartet hatte, und versicherte ihr, dass wir keine Hintergedanken hätten, dass wir es lediglich für sinnvoll hielten, wenn Lemmy lesen könnte, was wir über ihn und seine Musik geschrieben hätten. Ich schickte noch eine E-Mail mit dem gleichen Tenor hinterher, und das hat sie offensichtlich beruhigt, denn daraufhin hat sie Lemmy unsere Texte gegeben und mir in einer E-Mail seine erste Reaktion geschildert.

Demnach war Lemmy sichtlich beeindruckt, wollte aber gerne noch wissen, warum wir uns als Wissenschaftler mit Motörhead beschäftigt hätten. In meiner Antwort verwies ich darauf, dass Herr Schlaf (René) seit seiner frühen Jugend ein großer Fan von Motörhead sei und mit seinen Artikeln Lemmys Lebenswerk würdigen wollte, quasi als Dankeschön für die tolle Musik, die er uns seit vielen Jahren beschert. Und ich wäre inzwischen genauso enthusiastisch wie René.

Anfang Dezember hat uns dann Frau Kromrey eine ausführlichere Stellungnahme von Lemmy übermittelt. Und zwar fand Lemmy es wirklich erstaunlich, dass sich Wissenschaftler mit ihm und seiner Musik beschäftigen. Für ihn hat das dem Ganzen eine andere Tiefe gegeben. Offensichtlich waren für ihn unsere Texte ein wohltuender Kontrast zu den oberflächlichen Kommentaren von Journalisten und manchen anderen Fans. Er hat dann noch auf ein paar kleine Fehler hingewiesen, die uns unterlaufen waren. Abschließend hat er uns seine besten Grüße ausrichten lassen und uns angeboten, als Gäste ein Konzert von "Motörhead" zu besuchen, wenn die Band in unserer Nähe sei.

Über all das haben wir uns natürlich sehr gefreut. Eine weitere gute Nachricht erhielten wir im Januar 2012, als auf der offiziellen Homepage von Motörhead unter "News" gemeldet wurde: "…two German scientists/academics discovered Motörhead in recent years and wrote an article about them, saying: This band is loud and fresh, hard and relevant. Motörhead are the hardest trio of the rock world. The band is rocking. - We agree!!” – Damit waren offensichtlich wir gemeint, und folglich waren unsere Texte sogar auf der Homepage von Motörhead gewürdigt worden.

Unsere Belohnung

Blieb die Frage, wann wir wohl in den Genuss eines Motörhead-Konzerts kommen würden. Tatsächlich ist dies geschehen, aber die Umstände, unter denen ich dieses Konzert schließlich erlebt habe, hätte ich mir Anfang 2012 nicht in meinen kühnsten Träumen vorstellen können. Im Laufe dieses Jahres habe ich nämlich bei mehreren Besuchen die Stadt Dresden kennen- und lieben- gelernt und habe als Reaktion darauf den Entschluss gefasst, in dieser Stadt mein weiteres Leben zu verbringen. Im September bin ich dann umgezogen.

Am 30. November 2012 sollte in Erfurt – das ja nicht weit von Dresden entfernt liegt - ein Motörhead-Konzert stattfinden, und Anfang Oktober habe ich mich deswegen noch einmal an Frau Kromrey gewandt. Sie reagierte prompt und bat uns, uns 10 Tage vor dem Konzert noch einmal bei ihr zu melden und ihr auch noch mal unsere Namen zu nennen. Das habe ich Mitte November getan und erhielt sofort von Frau Kromrey die Zusicherung, unsere Namen seien auf der Gästeliste und wir könnten unsere Tickets vor dem Konzert am Gästeschalter abholen.

Also fuhren René und ich am 30. November 2012 gemeinsam von Dresden durch Sachsen und das bereits verschneite Thüringen nach Erfurt, und ich erlebte abends mein erstes und leider auch mein letztes Motörhead-Konzert. Lemmy war an diesem Tag in Hochform, und nichts deutete auf den gesundheitlichen Absturz hin, den er im Jahr darauf erleiden sollte. Für René und mich war dieses Konzert jedenfalls ein tolles Erlebnis, und wir waren Lemmy sehr dankbar dafür, dass er uns für unsere Arbeit auf diese Weise belohnt hat. Und natürlich hat auch Frau Kromrey maßgeblich dazu beigetragen, dass sich für uns alles so positiv entwickelt hatte, weil sie ja Lemmy unsere Artikel gegeben und dann für uns gedolmetscht hatte.

Was bleiben wird

Die Erinnerung an das Konzert in Erfurt wird uns bleiben und damit die Erinnerung an einen ganz großen Rockmusiker. Ich möchte hier aber auch hervorheben, dass Lemmy nicht nur mitreißende Musik gemacht und die Rock-Musik konsequent weiterentwickelt hat, sondern dass er auch dezidiert zu Fragen von Politik und Religion Stellung genommen, ja dass er eigentlich – wenn man seine entsprechenden Äußerungen im Zusammenhang betrachtet - einen kompletten philosophischen Ansatz hinterlassen hat. Ich glaube, kein anderer Rockmusiker hat so etwas geleistet. (S. dazu meinen Artikel unter: https://pagewizz.com/die-revolutionierung-der-rockmusik-durch-motoerhead/)

Bleiben werden natürlich auch die 23 Alben, die Motörhead veröffentlicht hat, wobei die drei letzten Alben "The Wörld is Yours" (2010), "Aftershock" (2013) und "Bad Magic" (2015) ein bemerkenswertes "Spätwerk" darstellen, da man Lemmy hier seine zunehmenden gesundheitlichen Probleme in keinster Weise anmerkt. Besonders bei "Aftershock" und "Bad Magic" hat man den Eindruck, als ob Lemmy bei den Aufnahmen noch einmal zu alter Stärke zurückgefunden hätte. Vermutlich hat er hier noch einmal alle Kräfte mobilisiert, um seine Fans nicht zu enttäuschen. Sie werden es ihm ewig danken, aber sie sind natürlich traurig, dass es keine weiteren Alben von Motörhead mehr geben wird.

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