Daniel Knorr, Solo Bunker ...

Daniel Knorr, Solo Bunker, Courtesy: the artist and Galerie nächst St. Stephan Rosemarie Schwarzwälder, Wien

Materialfeier und versteckte Sinnlichkeit

Yitzhak Golombek

Foto: Oded Lobl, courtesy Galerie koal / Berlin

 

Kunterbunt durchmischt ist diese Nicht-Messe und man leidet wegen der Konzentration auf ausgewählte Werke nicht unter eine Überflutung des Wahrnehmungssystems. Auffällig ist eine ausgebrannte Bushaltestelle, die von Scott Miles (Meyer Riegger) präsentiert wird und nicht speziell für die diesjährige ABC geschaffen wurde (Entstehung 2012). Der kleine, unverglaste Überdachungsraum ist verkohlt und schwarz, ein großes Loch ist hineingebohrt: Der erste Tag nach einer Straßenschlacht. Im Gedächtnis haftenbleiben wird wohl Erwin Wurms Gurken-Ästhetik. Zusammengestelle Gurkenstücke schicken den Rezipienten auf eine kleine Imaginationsreise. Einen absoluten Blickfang bietet die Galerie koal mit dem 1956 im polnischen Lodz geborenen Künstler Yitzhak Golombek, der autobiografische Elemente in sein Werk eingebaut hat. Dass er ein starker Raucher ist, beweist ein in Weiß gehaltenes Kartoffel-Werk, das mit einer Zigarette ausgestattet ist. Wesentlich interessanter sind allerdings Golombeks holzlastige Skulpturen, die von tränenartigen Tropfen getragen werden. Auf zwei schmalen Holzlatten werden Kunstwerke transportiert, die zum einen an die aus zusammengefügtem Obst entstandenen Gesichter von Arcimboldo erinnern und zum anderen an den Surrealismus-Schriftsteller André Breton: Süße Melancholie und geistiger Aufbruch zugleich. Etwas sinnlicher wird es bei Eva Grubinger (Tobias Naehring Leipzig). Sie liefert ein unauflösbares Kombinationsspiel, bestehend aus einem vertikalen Metallklotz und zwei Kugeln, die miteinander durch ein froschgrünes Seil verbunden sind. Erotische Dimensionen lassen sich dabei nicht ganz ausklammern.

Sean Snyder, Aspect Ratio ...

Sean Snyder, Aspect Ratio ("Topaz",Detail einer Wandinstallation),2015 – 2016 (Bild: Courtesy: the artist and Galerie Neu, Berlin)

Aus Marginalien wird große Kunst

Hohe Kunst und vorzügliche Beratung erwarten einen wie immer bei der Galerie Neu. Wir sehen eine Einzelpräsentation vom 1972 in Virginia Beach geborenen US-Künstler Sean Snyder, der sich vor allem mit der Rezeption von optischen, visuellen Informationen beschäftigt. Beispielsweise hat ihn eine wilde, ungestüme See (Bateau Tableu) inspiriert, die er dann digital manipuliert hat, um das raue Unterwegssein festzuhalten. Seine stärkste Arbeit ist Aspect Ratio, die an eine Endlosschleife eines Archivs gemahnt und fast in die Welt von Kafka eintaucht: Eine seelenlose, entmenschlichte Bürokratie, die selbst Nichtigkeiten für aktuelle und zukünftige Generationen unwiderruflich verankert. Bei der Galerie neugerriemenschneider fühlt man sich zunächst in die Zeit von US-Präsident Franklin D. Roosevelt versetzt, der bei einem seiner seltenen Museumsbesuche ein dadaistisches Kunstwerk (Marcel Duchamp) für eine Steppdecke der Navajo-Indianer hielt. Doch sind die Arbeiten von Noa Eshkol (Orange Sunset) wesentlich variantenreicher,

Dirk Lange, Grenzgebiet 2015/2016

Foto: Lea Gryze, Courtesy
Dirk Lange / Galerie Michael Haas

ausgefallener und suggestiver. Grandios ist das Werk Grenzgebiet von Dirk Lange (Galerie Michael Haas). Ein orangefarbenes menschliches Skelett liegt in einer prähistorischen Zeit in einem Sarg und fängt die Exkremente einer gefiederten fliegenden Schlange auf. Die Frage lautet: Holt uns das Archaische wieder ein? –Hervorzuheben sind noch Despina Stokou (Eigen + Art), die mit bildhaften Zeichen und Symbolen arbeitet, und Marcel Dzama ( Sies + Höke, Düsseldorf), der mit seinen Bühnenmodellen eine Theaterwelt inszeniert, die völlig unerwartete theatralische Bilder generiert. Denn eine Kunst, die nicht die Phantasie anstachelt und nur leicht von der Profanität abweicht, ist eine verlorene Kunst. Die Galerie Helga Maria Klosterfelde wartet mit Portfolios von bekannten Künstlern ( S.M.S., Shit Must Stop) auf, die im Arrangement wie ein großer Wurf erscheinen, aber etwas beliebig aneinandergereiht sind. Insgesamt hat die Direktorin Maike Cruse viel Fingerspitzengefühl bewiesen: Dank ihrer Auswahl ist es besser als im Vorjahr.

ABC 2016

Luckenwalder Straße 4-6, 10963 Berlin

Vom 15.-18 September 2016

 

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