Alpenblumen erfreuen den Bergwanderer - Wie lange noch?

Leuchtende Kissen erfreuen das Auge des Bergwanderers noch in Gipfelnähe. Geradezu wie ein Wunder erkämpfen sich Blumen, wenn auch oft winzig, mit Farbenpracht und List hier ihren Lebensraum. In jeder noch so kleinen Felsspalte finden sie noch einen geeigneten Platz.

Nicht nur Enzian oder Edelweiß, auch Aurikel, Mehlprimel, Gletscher-Hahnenfuß, Kissen von Leimkraut und Alpenmannsschild sind oft Motivation genug, um die steilen Höhen zu erklimmen. Doch wie lange währt noch die Artenvielfalt?

 

Panorama mit Alpenblumen - wie ...

Panorama mit Alpenblumen - wie lange noch? (Bild: https://pagewizz.com/alpenb...)

Veränderung der Hochgebirgsflora durch Klimawandel

Der Klimawandel mit seinen wärmeren Sommern und niederschlagsärmeren Wintern verändert großräumig die gesamte Hochgebirgsvegetation. Man wusste oder ahnte es schon länger. Um dies allerdings auch zu beweisen, wurde die erste paneuropäische Studie zum Vegetationswandel durchgeführt. Das GLORIA-Programm (Global Observation Research Initiative in Alpine Environments). Die Ergebnisse liegen veröffentlicht im Fachjournal "Nature Climate Change" vor.

Publikation in Science: Recent plant diversity changes on Europe's mountain summits.

Dabei wurden (und werden weiterhin) in regelmäßigen Zeitabständen

  • 867 Probeflächen auf
  • 66 verschiedenen Gipfeln zwischen Nordeuropa und dem südlichen Mittelmeergebiet in allen größeren europäischen Hochgebirgen untersucht.
  • Vergleichszeitraum 2001 bis 2008

Was kam dabei heraus?

In Kürze zusammengefasst: Man fand deutliche Anzeichen, dass kälteadaptierte Pflanzen von Wärme liebenden Arten zunehmend aus ihren Lebensräumen verdrängt werden. So weit, so gut. Was bedeutet das?

So reagieren alpine Pflanzen auf die Klimaerwärmung

Wie bereits vermutet, weichen die kältetoleranten und Kälte liebenden Pflanzen in die Höhe aus, sie wandern quasi gen Himmel. Am Gipfel ist allerdings ihr Streben in die Höhe beendet und damit ihr langsames Aussterben besiegelt. Im Vergleichszeitraum 2001 bis 2008 fanden sich auf kontinentalem Niveau deutliche Anzeichen, dass kälteadaptierte Pflanzen von Wärme liebenden Arten zunehmend aus ihren Lebensräumen verdrängt werden.

Etwa 2.500 Arten leben in diesen Gebieten mit langen Wintern und sehr kurzen Sommern. Das entspricht einem Fünftel des europäischen Pflanzenbestandes auf einer Fläche von nur gerade drei Prozent Kontinentaleuropas.

Die Pflanzen wandern in die Höhe -

von Schottland bis Kreta, der Effekt ist europaweit zu beobachten.

So hoch hinauf wie es geht - Alpenblumen streben gegen den Gipfel

Thermophilisierung: Dieses Phänomen, also der direkte Zusammenhang zwischen erhöhter Sommertemperatur und dem Ausweichen von Pflanzen wärmebedingt in höhere Regionen, wird von den Wissenschaftern als Thermophilisierung bezeichnet.

Reagieren alle Gebirgsregionen gleich?

  • In den mediterranen Regionen verringerte sich die Anzahl der Arten. Da es sich bei vielen noch dazu um endemische (nur dort ansässige) Arten handelt, droht über kurz oder lang ein Aussterben.
  • In den Gebirgen Nord- und Zentraleuropas führt das höher Steigen der Arten kurzfristig sogar zu einem Anstieg der Artenzahl in den Gipfelbereichen. Allerdings werden den kälteadaptierten Pflanzen allmählich von den zugewanderten Pflanzen schön langsam die Lebensbereiche genommen.

Warum gerade die mediterranen Gebirge so bedroht sind

So vereinfachend es klingt: Nur Schnee sichert das Überleben der Pflanzen auf mediterranen Bergen. Die hohen mediterranen Gebirge sind kleinflächige kalte Lebensräume, die sich wie Inseln im viel wärmeren Umland verteilen. Regenarme Sommer sind charakteristisch für die gesamte Region um das Mittelmeer. In den Hochgebirgen fällt fast der gesamte Niederschlag in Form von Schnee im Winter und Frühjahr. Das Schmelzwasser ist deshalb für die mediterranen Hochgebirgspflanzen essentiell für die Wachstumsperiode während der trockenen Sommer. Fällt kein Schnee so ist das Aussterben nur mehr eine Frage der Zeit.

Der Temperaturanstieg und die fortgesetzten niederschlagsarmen Sommer (Trockenstress) der letzten Jahrzehnte bedeuten einen Todesstoß für die kälteangepassten Pflanzen.

 

Mediterrane Gebirgsregionen am Beispiel Sardinien

Trichternarzisse (Pancratium illyricum), Affodil und Heiligenkraut (Bild: a.sansone)

Endemische Arten reagieren leider besonders sensibel auf die Klimaänderungen. Drei von vier dieser Arten könnten mindestens 80 Prozent ihres derzeitigen Verbreitungsgebietes einbüßen.

"Dies ist besonders besorgniserregend, weil endemische Arten ein natürliches Erbe darstellen, das einzigartig für eine Region ist und im Falle des lokalen Aussterbens einen unwiederbringlichen Verlust bedeutet", erläutert Karl Hülber vom Wiener Institut für Naturschutzforschung und Ökologie (VINCA).

Lesetipp:

Wie schnell wandern die Gebirgspflanzen höher?

Ein Team europäischer WissenschafterInnen um Stefan Dullinger vom Department für Naturschutzbiologie, Vegetations- und Landschaftsökologie der Universität Wien stellt in der Fachzeitschrift "Nature Climate Change" ein neues Modell zu den Dynamiken von Wanderungsprozessen von Alpenpflanzen vor.

Mit der Fragestellung: "Wie und in welchem Zeitraum verschieben sich die Verbreitungsgrenzen der Pflanzenarten - Richtung Pol und Richtung Hochlagen der Gebirge?"

Basierend auf prognostizierten Klimaänderungen wurden die Arealveränderungen von 150 Pflanzenarten der Hochlagen ausgehend von ihrer heutigen Verbreitung innerhalb der Alpen berechnet.

Fazit: Bis zum Ende des 21. Jahrhunderts werden diese Hochgebirgsarten im Durchschnitt 44 bis 50 Prozent ihrer heutigen Fläche verlieren.

Enzian (Bild: https://pagewizz.com/alpenb...)

Der neue Modellierungsansatz zeigt aber auch auf, dass Alpenpflanzen nicht sofort auf klimatische Veränderungen reagieren. Der Grund dafür hat einen zweifelhaft schönen Namen verpasst bekommen. Das Phänomen nennt sich

"Aussterbe-Verzögerung"

Auch wenn die pflanzlichen Hochgebirgskünstler mit Tricks die kurze Vegetationsperiode überlistet haben, der Zyklus

  • "Heranwachsen, blühen, Samen bilden, keimen und schließlich wieder Samen bilden" muss durchgehend möglich sein. Wird dieser Zyklus durch Veränderungen der Standortbedingungen infolge des Klimawandels unterbrochen, ist die Art an diesem Standort todgeweiht.

Doch es dauert geraume Zeit, bis sie tatsächlich verschwindet, denn ausgewachsene alpine Pflanzen "halten durchaus Einiges aus, auch klimatische Veränderungen". Diese Aussterbe-Verzögerung beträgt im Schnitt der 150 untersuchten Arten 40 bis 50 Jahre.

Lesetipp: Womit haben Alpinpflanzen zu kämpfen?

Mit den Pflanzen wandern auch die betreffenden Tiere höher

Das Klima verändert nicht nur die Höhenverteilung von Pflanzen, sondern in deren Folge natürlich auch von den tierischen Gebirgsbewohnern.

Eine Meldung dazu der Universität Basel im Online-Fachmagazin «Plos One».

Die Pflanzen, Schmetterlinge und Vögel in den Schweizer Tieflagen sind im Zeitraum 2003–2010 zwischen 8 und 42 Meter die Hügel hinaufgewandert. 

 

Wer also die alpine Blumenwelt besonders liebt, sollte sich noch beizeiten an Küchenschelle, Mannsschild & Co freuen, sie fotografieren und im eigenen Raum seinen ökologischen Fußabdruck möglichst klein halten.

Lesetipp:

 

 

Quellen:

  • Publikation in Nature Climate Change: Extinction debt of high-mountain plants under twenty-first-century climate change: Stefan Dullinger et al.;
  • Publikation in Science: Recent plant diversity changes on Europe's mountain summits:
  • Publikation in Nature Climate Change. Continent-wide response of mountain vegetation to climate change: Michael Gottfried et al..

GLORIA - ein besonderes Projekt

Das GLORIA-Programm (Global Observation Research Initiative in Alpine Environments) ist ein Netzwerk von mehr als 100 Forschungsgruppen aus sechs Kontinenten, dessen Ziel ein weltweites Monitoring der Gebirgsregionen ist. 32 Autoren aus 13 Ländern arbeiteten an dieser Studie mit und benutzten die gleiche Untersuchungsmethodik für diesen europaweiten Vergleich.

Adele_Sansone, am 15.02.2016
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Bildquelle:
https://pagewizz.com/users/Adele_Sansone (Wer sind die ersten blühenden Alpenblumen?)
Karin Scherbart (Die Sophienhöhe - Entstehung, Natur und Wanderwege)

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