"Alternative Fakten" bei Donald Trumps Vereidigung

Als das amerikanische Fernsehen weltweit über Präsident Donald Trumps Amtseinführung Bilder ausstrahlte und die großen Lücken in der anwesenden Menschenmenge aufzeigte, beeilte sich sein Pressesprecher Sean Spicer anschließend, zu behaupten, "zur Amtseinführung des US-Präsidenten Anfang 2017 seien so viele Feiernde auf der Straße gewesen wie nie zuvor bei entsprechender Gelegenheit".

Am 22. Januar 2017 hatte Kellyanne Conway auf Fragen von US-Journalisten, warum Spicer widerlegbare falsche Angaben zu den Zuschauerzahlen bei der Trump-Vereidigung gemacht habe, in einer NBC-News-Sendung geantwortet: "Sie sagen, dass es eine falsche Behauptung ist, und Sean Spicer, unser Pressesprecher, hat alternative Fakten dazu vorgelegt."

"Alternative Fakten" als Unwort des Jahres

Die unabhängige Jury kam zu ihrer Auswahl, weil der Ausdruck inzwischen auch in Deutschland zum Synonym und Sinnbild für eine der besorgniserregendsten Tendenzen im öffentlichen Sprachgebrauch, vor allem auch in den sozialen Medien, geworden sei. Der Begriff stehe, so Janich, für die sich ausbreitende Praxis, den Austausch von Argumenten auf Faktenbasis durch nicht belegbare Behauptungen zu ersetzen, die dann mit einer Bezeichnung wie "alternative Fakten" als legitim gekennzeichnet werden.

Mit der Auswahl wolle die Jury darauf hinweisen, dass diesen Tendenzen in der öffentlichen Kommunikation Einhalt gegeben werde.

Die Bürger können ihre Vorschläge zum "Unwort des Jahres" entweder an das Institut für Sprach- & Literaturwissenschaft an der TU Darmstadt oder den Fachbereich II Germanistik/ Germanistische Linguistik an der Universität Trier senden.

Die Auswahl für das "Unwort des Jahres" 2017 erfolgte aus 1316 Einsendungen mit insgesamt 684 verschiedenen Vorschlägen. Allein der Ausdruck "Alternative Fakten" wurde 65 Mal eingeschickt.

Zwei weitere Unworte 2017

Wegen dieser Vielzahl von Vorschlägen rügte die Jury zwei weitere Begriffe, nämlich "Shuttle Service" und "Genderwahn".

Shuttle Service

Dieser Begriff fiel im Zusammenhang mit Seenotrettungseinsätzen von Nichtregierungsorganisationen im Mittelmeer für Menschen, die in Schlauchbooten flüchten. Dafür hatte der innenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Stephan Mayer, habe den Begriff Shuttle Service" benutzt. Mit dem Ausdruck "Shuttle-Service" habe Mayer sowohl die flüchtenden Menschen als auch vor allem diejenigen diffamiert, die ihnen humanitäre Hilfe leisten. Diese Hilfe wird mit dem Ausdruck "Shuttle-Service" als eine Dienstleistung dargestellt, die Flüchtlinge erst zur lebensgefährlichen Flucht über das Mittelmeer ermuntere, was die Jury für zynisch hält. Der Ausdruck "Shuttle-Service" stehe nach Meinung der Jury stellvertretend für Tendenzen im öffentlichen Sprachgebrauch, die Grenzen des Sagbaren in eine menschenverachtende, polemisch-zynische Richtung zu verschieben.

Genderwahn

Mit diesem Ausdruck würden, so die Jury, in konservativen bis rechtspopulistischen Kreisen zunehmend Bemühungen um Geschlechtergerechtigkeit in undifferenzierter Weise diffamiert.

 

Übrigens: "Jamaika-Aus" wurde das Wort des Jahres.

Die Kriterien für die sprachkritische Aktion "Unwort des Jahres"

Zum "Unwort des Jahres" wird seit 1991 jedes Jahr ein Begriff gekürt, der gegen das "Prinzip der Menschenwürde" oder gegen "Prinzipien der Demokratie" verstößt, weil er einzelne gesellschaftliche Gruppen diskriminiere oder "euphemistisch, verschleiernd oder gar irreführend" sei. Erfahrungsgemäß, so betonte Professorin Janich, entsprächen wie auch 2017 nur etwa ein Siebentel der eingereichten Vorschläge.

Die Jury wählt Formulierungen aus der öffentlichen Kommunikation, die gegen sachliche Angemessenheit oder die Humanität verstoßen. Die Wörter sollen zudem eine "gewisse Aktualität" haben und der Kontext, in denen sie gefallen sind, muss belegt sein. Sprachliche Ausdrücke werden dadurch zu Unwörtern, dass sie von Sprechern entweder gedankenlos oder mit kritikwürdigen Intentionen im öffentlichen Kontext verwendet werden. Die Kritik an ihnen ist Ausdruck der Hoffnung auf mehr Verantwortung im sprachlichen Handeln.

Die Grundsätze für das Unwort des Jahres

Die Aktion "Unwort des Jahres" möchte auf öffentliche Formen des Sprachgebrauchs aufmerksam machen und dadurch das Sprachbewusstsein und die Sprachsensibilität in der Bevölkerung fördern. Sie lenkt daher den sprachkritischen Blick auf Wörter und Formulierungen in allen Feldern der öffentlichen Kommunikation, die gegen sachliche Angemessenheit oder Humanität verstoßen, zum Beispiel:

  • - weil sie gegen das Prinzip der Menschenwürde verstoßen (Beispiel "Geschwätz des Augenblicks" für Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche),
  • - weil sie gegen Prinzipien der Demokratie verstoßen (beispielsweise "alternativlos" als Haltung/Position in der politischen Diskussion, um eine echte Argumentation zu vermeiden und sich der Argumentationspflicht zu entziehen),
  • - weil sie einzelne gesellschaftliche Gruppen diskriminieren (zum Beispiel durch unangemessene Vereinfachung oder Pauschalverurteilung, zum Beispiel "Wohlstandsmüll" als Umschreibung für arbeitsunwillige ebenso wie arbeitsunfähige Menschen),
  • - weil sie euphemistisch, verschleiernd oder gar irreführend sind (beispielsweise "freiwillige Ausreise" als Behördenterminus für die nur bedingt oder gar nicht freiwillige Rückkehr von Asylbewerbern in ihre Heimatländer aus Abschiebehaftanstalten).

Die Jury

Die Jury besteht aus vier SprachwissenschaftlerInnen und einem Journalisten, die Sprachkritik auch außerhalb der Universität für relevant halten. Die Jury wird im jährlichen Wechsel durch ein weiteres sprachinteressiertes Mitglied aus dem Bereich des öffentlichen Kultur- und Medienbetriebes ergänzt. Sie arbeitet institutionell unabhängig, d.h. ist weder an einzelne Universitäten, Sprachgesellschaften/-vereine oder Verlage gebunden.

Die Jurymitglieder beteiligen sich ehrenamtlich und aus Interesse und verstehen sich als Vermittler öffentlichen Unbehagens an bestimmten Sprachgebrauchsweisen, nicht aber - das ist ein häufiges Missverständnis - als "Sprachschützer".

Wesentlich ist, dass die betreffenden Wörter und Formulierungen öffentlich geäußert wurden, eine gewisse Aktualität besitzen und der Äußerungskontext bekannt oder belegt ist. Die Anzahl der UnterstützerInnen eines Vorschlags spielt dagegen im Unterschied zu den genannten inhaltlichen Kriterien keine Rolle.

Die Vorgänger der "alternativen Fakten" aus den letzten Jahren

Die bisherigen "Preisträger"sind heute so aktuell wie im Jahr ihrer Auswahl. Denken Sie nur an den von Teilen unserer Gesellschaft geprägten Begriff "Volksverräter" des Jahres 2016, der wie der "Gutmensch" aus dem Jahr 2015 noch allzu häufig benutzt wird. Auch die "Lügenpresse" des Jahres 2014 taucht immer wieder in Diskussionen auf. Ebenfalls aus dem Jahr 2014 stammen der "Russland-Versteher" genauso wie der Begriff "erweiterte Verhörmethoden", der euphemistisch als Umschreibung der Folter benutzt wurde.

2013 wurde sowohl die erwünschte als auch die nicht erwünschte Zuwanderung als "Sozialtourismus" bezeichnet. 2012 spielte das "Opfer-Abo" von Wetterfrosch Jörg Kachelmann in der Berichterstattung über seinen Prozess eine gewichtige Rolle.

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