Eisbären haben keine Mimik! Mythos oder Wahrheit?

Wer sich je für Eisbären interessiert hat, kennt diesen Standardsatz: "Eisbären verfügen kaum über eine sichtbare Mimik oder Gestik und gelten deshalb als schwer einzuschätzen und damit unberechenbar."

Haben Eisbären wirklich keine Mimik?

Wer außer Eisbär-Forschern vor Ort, also in der Arktis, könnten über Eisbären realitätsnah befragt werden? Es ist relativ einfach: Pfleger und Betreuer in Tiergärten/Zoos dürften wohl die sicherste Informationsquelle dafür sein. Doch schon Thomas Dörflein, der jahrelang noch vor seinem Ziehvaterdasein vom kleinen Eisbären Knut, die Eisbären im zoologischen Garten Berlin betreute, betonte: "Eisbären haben keine Mimik."

Auch Helmut Kern, der Pfleger in Hellabrunn in München, der die Eisbären Giovanna und Yoghi unter seiner Obhut hatte, stößt ins gleiche Horn: "Eisbären sind Einzelgänger, Einmischung schätzen sie nicht." und "Ein Eisbär hat keine Mimik", erklärt auch Kern. 'Man kann ihm nicht ansehen, ob er einen gleich attackiert oder nicht."

 

 

Auch Eisbären wollen kommunizieren

Doch stimmt das wirklich so? Kann man einem Eisbären durch seine Körperhaltung, durch sein Gebaren nicht doch sein Befinden ansehen? Fehlt es hier nicht vielmehr am menschlichen Verstehen? Beobachtet man zwei sich begegnende Eisbären, ob im Zoo oder in freier Wildbahn, gibt es ganz sichere Verhaltensmuster, die eindeutig besagen:

  • "Ich bin nur neugierig."
  • "Ich bin an dir interessiert." (besonders in der Paarungszeit/Bärzeit/Ranzzeit)
  • "Ich will Kräfte messen oder spielen."
  • Oder aber eindeutig: "Schau, dass du dich aus dem Staub machst."

Wozu dient normalerweise die Mimik?

Männliche Leser werden sofort bei diesem Satz jubeln: Mimikforscher haben Ähnlichkeiten zwischen dem Lächeln einer Frau und dem von Affen festgestellt.

Das meist offene Lächeln einer Frau sei vergleichbar mit dem Verhalten von Primaten im Tierreich. "Wenn Affen einem Gegner gegenüber unterwürfig sind, zeigen sie die Zähne", sagt Nicole Krämer, Professorin für Sozialpsychologie der Universität Duisburg-Essen. "Frauen würden dies auch tun, wenn sie sich ihrem Gegenüber nicht dominant fühlten. Mit diesem Verhalten versuchten sie, zu beschwichtigen." (Focus online)

Nun haben aber Eisbären keine ebenbürtigen Gegner, außer ihren eigenen Artgenossen. Vielleicht benötigen sie daher auch kein so breites Spektrum an Mimik oder Gesten, da ja auch die gegenseitigen Begegnungen sich auf ein Minimalmaß nur im Laufe der Bärzeit (der paarungsbereiten Zeit) reduzieren.

Beobachtungen aus Churchill/Manitoba über das Zusammentreffen von Eisbären

Aus Churchill/Manitoba in Kanada erfährt man, dass sich in der Wartezeit auf das Zufrieren des offenen Meeres, Dutzende Eisbären, die bereits lange fasten, äußerst friedlich und konfliktarm auf relativ engem Raum befinden. Also müssen sie ein für sie lesbares Verhalten und eine eindeutige Mimik an den Tag legen, der Konflikte erst gar nicht aufkommen lässt. Der Mensch muss sie nur erst selber lesen und verstehen lernen.

"Zwei Bären treffen aufeinander, sie schlendern näher, beschnüffeln sich kurz. Der größere stellt sich auf die Hinterbeine, lässt die Vorderpfoten seitlich herunter hängen. Er wiegt den Kopf leicht hin und her." Die Bären beginnen ihre Kräfte zu messen, bis der Kleinere aufgibt, sich auf den Rücken legt. Der größere Bär legt sich schließlich dazu und beide ruhen Seite an Seite. (Theresia Hay, Bärenwinter) Diese und ähnliche Szenen, Eisbären zu zweit oder zu dritt, kann man wiederholt beobachten.

Relaxt, Körperkontakt suchend, tiefenentspannt ... so kann Eisbär sein

(Bild: IMAGE-WS / Pixabay)

Verschiedene Sozialkontakte bei Eisbären in Zoos

Bei der Zusammenführung von Eisbären in Zoos besteht ein großes Problem darin, dass trotz langer Erfahrung von Zooseite die Sprache der Eisbären untereinander doch nicht so eindeutig zu lesen ist. Und in Gefahrenmomenten man nicht einfach dazwischen gehen kann, da der Eisbär dem Menschen um ein Vielfaches überlegen ist.

An positiven Sozialkontakten wurden bei der Studie: "Untersuchung an Eisbären in europäischen zoologischen Gärten, Dipl. Biol. Ulrike Stephan, 2006" folgende Verhalten dokumentiert:

  • Fellkontakt
  • Schnauzenkontakt
  • Beschnüffeln des Artgenossen
  • Lecken des Artgenossen.

Die Verhaltensweisen

  • Drängen oder Folgen - wurden nur als Aktion der Männchen gegen die Weibchen in der Gruppe beobachtet.

Verhaltensweisen, wie

  • Spielen miteinander
  • Liegen beieinander - kamen ebenfalls bei Eisbärengruppen vor.

Fazit: Eisbären haben sehr wohl ein Muster an Kommunikation, um möglichst gewaltfrei miteinander auszukommen.

An Aggressionskontakten kamen die schwerwiegenden, wie

  • Blessuren
  • Zähnefletschen
  • oder Kampf - im Studienzeitraum nie vor, auch nicht
  • Umkreisen
  • Drängen
  • Schlagen
  • Beißen
  • Jagen

Außerhalb dieser Studie aber sehr wohl, auch mit tödlichem Ergebnis für den anderen Bären. Zusammenführungen von Eisbären sind auf jeden Fall immer eine heikle Angelegenheit.

Maul aufreißen

Knut und Giovanna (Bild: Simone fruehlingsstern)

Warum reißt der Eisbär gegen den anderen das Maul so auf?

Beobachtet man die verschiedenen Eisbärengruppen in den Zoos, dann stellt man wiederholt vorkommende Rituale fest.

Erste Erkenntnis: Was für uns, den Menschen furchterregend aussieht, ist für den anderen Eisbären Information.

  • Eisbär A nähert sich Eisbär B vorsichtig an und dann wird das Maul aufgerissen. Begleitet von Gebrumm oder auch Gebrüll. Jeder zeigt mal seine große Klappe, abwartend wird wieder Respektabstand geschaffen. Beobachtet, wieder angenähert, dazwischen geruht, dabei hoffentlich auch Stress abgebaut. Scheinangriffe werden gestartet. Das Ganze solange, bis die Fronten geklärt sind: Wer ist der Boss? Wer ordnet sich unter?

Und bei jeder weiteren Begegnung geht das Gebärden- und Gestenspiel von vorne los: Zuerst wird aneinander geschnuppert. Manche Medienleute nennen das dann gerne plakativ: Küsschen geben. Knapp daneben ist auch vorbei.

  • Nur wenn alles passt, dann wird anschließend gebalgt, im Wasser eingetunkt, nachgesprungen, aber auch gewinkt, zum Spielen aufgefordert und im besten Fall gemeinsam gekuschelt. Es wird gelangweilt oder verträumt dreingeschaut, dass es ein wahres Vergnügen ist. Eisbären verstehen also eindeutig die Sprache und Mimik eines anderen Eisbären.

 

Eisbärensprache

Schnüffeln, Maul aufreißen nach dem Motto: "Wer hat die größere Klappe?", Brummen, Grollen, verschiedene Lautgebungen, die alle eine spezielle Bedeutung haben; Warnung, genauso wie Zustimmung.

Sozialkontakte, wie Beschnüffeln, Ablecken, aber auch eine Tapirlippe ziehen, unsicher den Rücken krumm machen, den Schwanz einziehen. Speicheln, Zittern, ein ganzes Repertoire an Signalen gibt es da zu deuten. Was die Eisbären untereinander anscheinend problemlos verstehen.

Wie aber geht es da einem Eisbären, der von klein auf von Menschen aufgezogen wurde?

Eisbär Knut - ein Eisbär musste erst "eisbärisch" lernen

Knut, der Berliner handaufgezogene Eisbär, allerdings lernte von seinem ersten Lebenstag an nicht "eisbärisch", sondern "menschig".

So gut er die Gebärden und Worte und den Tonfall seines Pflegevaters und seiner anderen Betreuer einzuordnen wusste, umso mehr musste er von dem Verhalten von Giovanna, einer echten, von der Mutter aufgezogenen Eisbärin, verwirrt sein. So darf es nicht weiter verwundern, dass er Wochen gebraucht hat um diese fremde Sprache mühsam zu erlernen.

 

Eisbär Knut (Bild: Gofio / Flickr)

Wie man Eisbären im Zoo zusammen bringt

Was hilft, wenn zwei sich nicht auf Anhieb verstehen - in Zoos, wie im menschlichen Leben?

Bei der Zusammenführung von Eisbären aus verschiedenen Zoos, ist es wie im realen menschlichen Zusammenleben: Wenn man sich aufgrund von sprachlichen Missverständnissen nicht auf Anhieb versteht, dann muss man sich zeitweise aus dem Weg gehen können. Wie aber bitte soll das ein Tier, das in seinen territorialen Räumen begrenzt ist?

Die Strategie lautet: Wenn ein Gehege mit einer hinreichend komplex gestalteten Raumstruktur ausgestattet ist, können Eisbären in Gefangenschaft dennoch so gehaltenen werden, dass es mit großer Wahrscheinlichkeit kaum zu Agressionen kommt.

Eisbären sind sehr wohl in der Lage im selben Raum mit einem geringen Risiko von Aggression zu leben. "Dafür muss aber das Gehege eine topographische Komplexität und verschiedene Wege durch das Gehege aufweisen, um soziales Vermeidungsverhalten zu erleichtern." (Studie: Behavioral Decisions for Managing Social Distance...) Man muss sich plakativ gesagt: aus den Augen und aus dem Weg gehen können.

Ein richtiges Design der Anlage und das angemessene Management des Verhaltens der Tiere kann einen wesentlichen Beitrag zur Verbesserung des Wohlergehens von Eisbären in Gefangenschaft ausmachen. Es gibt bereits genügend positive Beispiele an internationalen Zoos, die diesen Grundsatz umgesetzt haben oder daran arbeiten.

Studie: Behavioral Decisions for Managing Social Distance and Aggression in Captive Polar Bears (Ursus maritimus)

Wie nehmen die Eisbären uns Menschen wahr?

Eisbärengebärden contra Menschengebärden, Missverständnisse sind ähnlich den verschiedenen Verhaltensmustern von Hund und Katze, leicht möglich.

Michaela Hofmann, die ehemalige Pflegerin von Arktos und Nanuq, den beiden Eisbärenbuben aus dem Tiergarten Schönbrunn in Wien, erklärt:

 

"Wie die Eisbären die Pfleger wahrnehmen? Nicht als Gleichgesinnte, denn wir Menschen haben einen ganz anderen Bewegungsablauf und eine andere Mimik als sie. Wenn die Kleinen, die Eisbären Arktos und Nanuq, anfangs mit uns zusammen gekommen sind, hatten sie ein großes Problem mit unserer Mimik umzugehen.

Wenn wir reden, haben wir einen gespitzten Mund, und das bedeutet unter Bären eine Bedrohung. Da muss man als Pfleger umlernen und Worte suchen, bei denen der Mund nicht so gespitzt ist. - Also hilft auch da nur: Maul aufreißen! -

Ich darf zum Beispiel nicht "Puutzi" sagen, sonst fühlt sich der Eisbär angegriffen. Außerdem haben wir eine aufrechte Haltung – auch das ist für die Tiere bedrohlich. Die Kleinen lernen aber rasch von ihrer Mutter, dass von uns Pflegern keine Gefahr ausgeht, und passen sich an." (aus Leben im Zoo)

Gute Zeiten für "Polarbear-Watching"

Wer sich nun auf die Suche nach Beweisen für verschiedene mimische Äußerungen von Eisbären machen möchte, dem kann man

  1. den realen Zoobesuch ans Herz legen. Wogibt es Eisbären? In Berlin-Tierpark, Berlin-Zoo, Bremerhaven, Gelsenkirchen, Hamburg, Hannover, Karlsruhe, München, Neumünster, Nürnberg, Rostock, Stuttgart, Tallinn, Wien und Wuppertal.
  2. Aber auch den Besuch von Blogs oder Foren, die sich mit Eisbären beschäftigen. Fotomaterial gibt es dort in Hülle und Fülle. Bilder von Begegnungen, von dramatisch-aussehenden, von eindeutig vergnüglichen, auch vom Kuscheln. Bilder von traurigen, fröhlichen, entspannten, gefährlich dreinblickenden Eisbärengesichtern. Man muss nur die Augen offen halten und bereit sein zu sehen.

 

Wo gibt es Eisbärenbabys zu sehen?

In zahlreichen Zoos gibt es wieder Eisbärinnen mit Jungtieren. Dazu muss man nur die diversen Zooseiten besuchen.

Quellen: u.a. Studie Untersuchungen an Eisbären in europäischen zoologischen Gärten: Verhalten und Veränderungen von Stresshormon-Konzentrationen unter Berücksichtigung der Gehegegröße und Gruppenzusammensetzung, Dipl. Biol.Ulrike Stephan 2006

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Adele_Sansone, am 13.11.2015
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Bildquelle:
a.sansone (Kapern - Woher sie kommen, wie sie aussehen und wo sie besonders gu...)

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