Wie die Kreuzfahrerstaaten entstanden

Der päpstliche Aufruf trifft in Europa auf ein enormes Echo. Von Abenteuerlust, religiösem Idealismus und Beutegier mobilisiert, machen sich regelrechte Menschenmassen auf den Weg ins Heilige Land. Der Erste Kreuzzug (1096-1099) hat begonnen. Ein ungeordneter Haufen um den Einsiedler und Prediger Peter von Amiens wird vollständig vernichtet (sogenannter Volkskreuzzug, Peter selbst kann allerdings entkommen). Doch ein Heer unter Gottfried von Bouillon siegt schließlich auf ganzer Linie, erobert Teile Syriens sowie Palästinas und bringt Jerusalem in die Gewalt der Kreuzfahrer. Insgesamt bilden diese Landstriche jedoch nur einen schmalen Korridor. Eine dauerhafte Sicherung durch Befestigungen und Ansiedlungen erscheint nötig. Daher proklamiert man das eroberte Gebiet zum "Christlichen Königreich" und unterteilt es in vier Herrschaftsbereiche, für welche sich der pauschale Begriff Outremer einbürgert.

Die Grafschaft Edessa

Die im Norden liegende Grafschaft Edessa entstand 1098 als erster Kreuzfahrerstaat. Die gleichnamige Hauptstadt wird gern mit der Legende um das Grabtuch Christi in Verbindung gebracht, welches durch die Kreuzfahrer nach Europa gelangt sein soll. Die ausgedehnte Grafschaft Edessa wurde aufgrund ihrer vorgeschobenen Position ständig bedroht, verfügte jedoch nur über rund 700 Ritter. Bereits 1144 fiel dieser Kreuzfahrerstaat an die Türken zurück.

Das Fürstentum Antiochia

Das Fürstentum Antiochia wurde ebenfalls im Jahr 1098 errichtet. Unter Bohemund von Tarent (1051 – 1111) und dessen Neffen Tankred (†1112, zeitweise auch Herr über Edessa) entstand daraus ein gefestigter Staat, der sogar um byzantinische und muslimische Gebiete erweitert wurde. Ab 1233 setzte wirtschaftlich und politisch ein langer Niedergang ein. Ein Mameluckenheer unter Sultan Baibar von Ägypten eroberte das Fürstentum schließlich im Jahr 1268 zurück.

Die Grafschaft Tripolis

Als letzter Kreuzfahrerstaat wurde 1109 die Grafschaft Tripolis gegründet. Sie war eigentlich ein Vasallengebiet des Königreichs Jerusalem. Nachdem Graf Raimund III. im Jahr 1187 kinderlos starb, wurde Tripolis quasi ab 1189 (offiziell ab 1201) fast durchgängig von Antiochia aus mitregiert. Auf dem Gebiet von Tripolis befand sich die bis heute eindrucksvolle Johanniterburg Krak de Chevalier. Die Grafschaft geriet mehrfach in erhebliche Bedrängnis, wurde aber erst 1289 als vorletzter Kreuzfahrerstaat durch die Mamelucken erobert.

Akko und das Königreich Jerusalem

Gegründet nach der Eroberung der gleichnamigen Stadt 1099, galt es als Primat der vier Kreuzfahrerstaaten. Auch hier waren ungefähr 700 Ritter fest stationiert. Zunächst kam es zu Gebietserweiterungen. Doch Sultan Saladin besiegte das Königreich 1187. Vier Jahre später konnte Richard Löwenherz zumindest die Stadt Akko befreien und mit Saladin einen Kompromiss aushandeln. Den Kreuzfahrern blieb demnach ein Küstenstrich zwischen Jaffa und Tyrus erhalten.

Während des Fünften Kreuzzugs gelang es 1228/29 dem Stauferkaiser Friedrich II. auf diplomatischem Wege, Jerusalem und weitere Gebiete wieder zu erlangen. Doch bereits 1244 ging die Hauptstadt erneut, diesmal endgültig, verloren. Fortan fungierte Akko als Hauptstadt des restlichen Königreichs. Die Stadt fiel 1291 als letzte Bastion der Kreuzfahrer im Heiligen Land. Im engeren Sinne endete damit die Geschichte der Kreuzfahrerstaaten. Den abendländischen Rittern blieb nun als östlichste Bastion lediglich die Insel Zypern.

Die Kreuzfahrerstaaten: Eine historische Ausnahmesituation

Das Entstehen der Kreuzfahrerstaaten wurde begünstigt durch die Uneinigkeit der muslimischen Herrscher. So entrissen beispielsweise die arabischen Fatimiden die Stadt Jerusalem 1098 den Türken, ehe sie ein Jahr später selbst von den Kreuzfahrern besiegt wurden. Doch die abendländischen Besatzungsmächte waren militärisch zu jeder Zeit ihren Feinden unterlegen. Viele Kreuzfahrer kehrten beispielsweise nach erfolgreicher Mission nach Hause zurück. Ersetzt wurden sie nur zum Teil durch Neuankömmlinge. Als einzig wirklich erfahrene und permanent anwesende Kämpfer fungierten die Ritterorden der Johanniter und Templer. Im Prinzip konnten die Kreuzfahrerstaaten also nur überleben, weil ihre Feinde zu schwach waren.

Die Verhältnisse verkehrten sich während der knapp 200 jährigen Geschichte der Kreuzfahrerstaaten jedoch ins Gegenteil. Die zunehmende Einheit der Mohammedaner verhielt sich proportional zur Schrumpfung des christlich beherrschten Gebiets, welches durch Fehden seiner Fürsten und Ritterorden untereinander zusätzlich geschwächt wurde.

Geblieben sind von den Kreuzrittern und ihren verschiedenen Orden nur einige bauliche Hinterlassenschaften. Ihr Untergang aber beflügelt bis heute die Phantasie von Forschern, Mystikern und Verschwörungstheoretikern. Denn ohne das knapp 200 jährige Kapitel der Kreuzfahrerstaaten wären zahlreiche Sagen um die Tempelritter, das Grabtuch Jesu, den Heiligen Gral und andere Mysterien nie entstanden. Aber das ist schon wieder ein neues Thema...

(1) Zitat nach: Gerhard Linne, Panorama der Weltgeschichte, Bd. 2, Bertelsmann Lexikon Verlag, Gütersloh 1990

Donky, am 05.03.2017
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