Trotzdem firmieren österreichische Musiker spätestens seit den 1970er-Jahren unter eben jenem Label, das zugegebenermaßen einengend scheint. Vier Dekaden nach dem als Startschuss zum Austropop betrachteten "Da Hofa" kann von international erfolgreichen österreichischen Musikern keine Rede mehr sein, sodass jeder Artikel über moderne österreichische Musik zwangsläufig wie eine Grabrede wirken muss. Mit Falcos frühem Unfalltod 1997 verblich auch der Austropop endgültig. Ein Grund mehr, sich der bisweilen erfreulicheren Vergangenheit zuzuwenden.

Die 1970er-Jahre: Ambros, Danzer, Watzmann

Frech und unverblümt: "Da Hofa"!

Bis in die späten 1960er-Jahre hinein dominierte in der austro-heimischen Musikbranche handzahmer, braver Pop in Form gediegener Schlager. Akustische Denkmäler wurden der vorgeblich heilen Alpenwelt errichtet, Sehnsüchte nach Küsschen und Händchenhalten mal schüchtern, mal fordernd ausgesprochen. Die Welt endete an den Wänden kitschiger Blumentapeten. Allenfalls der schon damals nicht mehr ganz taufrische Udo Jürgens wagte sich auch mal in etwas mutigere textliche Gefilde vor.

 

Bis ein durchschnittlich attraktiver und ebenso wenig stimmlich gesegneter junger Mann mit seiner Gitarre die Musikbühne betrat und seinen "Da Hofa" mitten in die verlogene bürgerliche Gesellschaft rotzte. Natürlich kann man den Austropop nicht an einem einzigen Lied festmachen. Trotzdem wird "Da Hofa" als Klassiker einer neuen, kein Blatt vor den Mund nehmenden Musikergeneration angesehen.

 

Und tatsächlich: Mutig traten neben Wolfgang Ambros weitere Austropopper in Erscheinung, die nicht einfach nur für Aufsehen sorgten, sondern auch höchst erfolgreich waren. Georg Danzer etwa beschrieb in "Jö schau" (1975), wie ein nackter Mann das ehrenwerte Café Hawelka betritt und damit für, nun ja, Erregung sorgt. Ein Skandal! Aber nur, bis sich herausstellt, dass es sich bei dem "Nackerten" um den bekanntesten Flitzer der Donaumetropole handelt. Der bis dahin unerwünschte Skandalgast wird augenblicklich in der Runde geduldet. Denn: In Österreich zählt der Schein immer noch mehr als das Sein …

 

Der Watzmann ruft – und tausende folgten ihm!

Der Watzmann ruftAusgerechnet das auf den ersten Blick volkstümlich wirkende Rustical (Kunstwort aus "Musical" und "rustikal") "Der Watzmann ruft" erlangte sofort nach der Veröffentlichung Kultstatus.

Das Trio Wolfgang Ambros, Joesi Prokopetz und Manfred Tauchen – die beiden Letztgenannten sollten als DÖF in Deutschland für Furore sorgen – entwickelte ein satirisches Album, das mit wonniglicher Inbrunst sämtliche Heimatfilm- und Volksmusik-Klischees aufgriff und als pathetischen Schwachsinn entlarvte.

 

Alpenerotik in Form der von Manfred Tauchen verkörperten Gailtalerin, die Jagd nach Ruhm, Ehre und dem Edelweiß sowie der unheilvolle "Schicksalsberg", der Watzmann, bilden Grundstock für eines der erfolgreichsten österreichischen Alben überhaupt.

Natürlich bildeten die zuvor genannten Interpreten allenfalls die Speerspitze einer wundersam erblühenden Musikszene. Der junge Wilfried erblickte ebenso das Rampenlicht der Muskwelt, wie die Gruppe "Supermax" mit ihrem Welthit "Lovemachine", die auch in Deutschland höchst erfolgreichen "Waterloo & Robinson" ("Meine kleine Welt", "Hollywood") Peter Cornelius oder die Synthie-Pop-Band "Ganymed".

 

Für Skandale sorgte immer wieder die aktionistische Wiener Band "Drahdiwaberl", die mit Titeln wie "Nazioper" oder "Heavy Metal Holocaust" zwar erst in den frühen 1980er-Jahren schockieren sollte, aber bereits Jahre zuvor dem "guten Geschmack" den gestreckten Mittelfinger entgegnete. 1972 etwa wurde bei einem Auftritt an der Wiener Universität ein Schwein zerlegt. Tierfreunde seien beruhigt: Das Schwein war zu diesem Zeitpunkt längst tot. Bemerkenswert an "Drahdiwaberl" war insbesondere der Umstand, dass einige Jahre lang der spätere Falco als Bassist tätig war. Dank eben jenes jungen Musikers sollten im nächsten Jahrzehnt einige internationale Hits "Made In Austria" folgen.

Bildungsfernsehen: Drahdiwaberl live bei Alfred Biolek

Surfin’ Neue Deutsche Welle!

Die 1980er-Jahre waren unbestritten die Blütezeit des Austropop. Zu den inzwischen altgedienten Granden der Szene gesellten sich mit Reinhard Fendrich und der "Ersten Allgemeine Verunsicherung" weitere Musiker hinzu, die trotz der oft im Dialekt gesungenen Werke auch in Deutschland und der Schweiz reüssieren konnten. Die parallel zur "New Wave" sich etablierende Neue Deutsche Welle" erwies sich insbesondere für österreichische Musikschaffende als Glücksfall. Neben Reinhard Fendrich und der EAV stürmten Bands wie "Minisex" oder die in Anspielung auf die mit dem ungemein populären Faschismus-Vorwurf konfrontierte Band DAF als DÖF (Deutsch-Österreichisches Feingefühl) betitelte Band (größter Hit: "Codo") der bereits in den 70er-Jahren aktiven Prokopetz und Tauchen die deutschsprachigen Hitparaden.

 

In Österreich selbst formierten sich im Schatten der großen Erfolge ihrer Landsleute Bands und Interpreten wie Ludwig Hirsch, Stefanie Werger, STS oder Reinhold Bilgeri. Das Abebben der "Neuen Deutschen Welle" wirkte sich zunächst aber nicht negativ auf die Erfolge so mancher Künstler aus der morbiden Alpenrepublik aus. Im Gegenteil: Der Wiener Falco (bürgerlicher Name: Johann Hölzel. Sein Künstlername verstand sich als Verbeugung vor dem ehemaligen ostdeutschen Skispringer Falko Weißpflog – nicht zu verwechseln mit der weitaus berühmteren Stimmungskanone Jens Weißflog) feierte sowohl vor, als auch nach der NDW internationale Charterfolge. Sein größter: "Rock Me Amadeus" – bis dato das einzige auf Deutsch gesungene Lied an der Spitze der US-Hitparaden.

 

Unvergesslich: FalcoEinige weitere Hits wie "Der Kommissar" oder "Jeanny" machten ihn zum mit Abstand bekanntesten und populärsten österreichischen Künstler der Musikgeschichte. Sein Tod war geradezu bezeichnend für seine Karriere: Mit nur 43 Jahren verunglückte der "Falke" mit einem Auto in der Dominikanischen Republik tödlich. Wie eine Obduktion ergab, stand er zum Zeitpunkt des Unfalls unter Drogen. Auch bei seinem Tod kannte er also keine Kompromisse: Alles oder nichts!

 

Neben Falco zeigte insbesondere die steirische Band "Opus", dass Österreich mehr als Klassik oder unbetrunken nur schwer zu überlebende Volksmusik zu bieten hat. "Live is Life" setzte sich an die Spitze vieler Hitparaden weltweit und ist noch heute aus Bierzelten, Sportstadien und ähnlichen kulturellen Höhepunkten kaum wegzudenken.

 

1988 schlug die Stunde des letzten rot-weiß-roten Welthits. "Bring me Edelweiss" der Band "Edelweiss". Das unspektakulär gesammelte, mit dem Refrain von Abbas "S.O.S." versehene Dancefloor-Stück spielte geschickt mit allen verfügbaren Alpen-Klischees. Drei Jahre später folgte noch "Raumschiff Edelweiss", das allerdings nur in Österreich erfolgreich war. Danach hatte es sich ausgejodelt und das Edelweiß wieder unter Naturschutz gestellt.

Es war einmal ... Der Austropop!

"Superstar" Christina Stürmer

Ende der 1980er-Jahre war es mit den musikalischen Höheflügen des Austropop endgültig vorbei. Angelegentliche Erfolge wie die in den Dance-Charts erfolgreiche Single "How To Dance" von den Bingoboys konnten nicht verbergen, dass die große Zeit unweigerlich zu Ende war. Der Techno- und Eurodance-Zug fuhr weitgehend ohne österreichische Beteiligung ab. Legitime Nachfolger Falco & Co. wurden zwar gesucht, aber nicht gefunden.

 

National und allenfalls in Deutschland oder der Schweiz konnte etwa Hubert von Goisern noch reüssieren. Aber selbst die einst jede Konzerthalle füllenden Stars wie Reinhard Fendrich oder die "Erste Allgemeine Verunsicherung" lockten keinen Musikfan mehr hinterm Ofen hervor.

 

Bezeichnend ist, dass der einzige neue Austropop-Star des 21. Jahrhunderts durch eine Castingshow Bekanntheit erlangte. Die ehemalige Buchhändlerin Christina Stürmer konnte dank massiver Unterstützung des Öffentlich-Rechtlichen Senders ORF große Erfolge in ihrer Heimat, teilweise auch in Deutschland erzielen. Abseits nostalgisch verklärter Rückblicke oder allenfalls Szenemitgliedern bekannten Acts spielt der Austropop international eine ähnlich bedeutende Rolle, wie der österreichische Fußball.

 

Angesichts der musikalischen Misere wirkt einer der größten Hits von Wolfgang Ambros geradezu prophetisch: "Es lebe der Zentralfriedhof".

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